Aktie im freien Fall
Wirecard will Insolvenz beantragen
Der Wirecard-Vorstand habe entschieden, beim Amtsgericht München die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, teilte der Dax-Konzern am Donnerstag in Aschheim bei München mit. Als Gründe nannte er eine drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Es werde geprüft, ob man auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe stellen müsse.
An der Börse wurde die Nachricht mit einem weiteren herben Kursverlust quittiert. Seit der abermaligen Verschiebung der Bilanzvorlage in der Vorwoche und dem Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe hat sie damit inzwischen fast 98 Prozent an Wert eingebüßt.
Die Wirecard-Aktie war kurz vor der Mitteilung vom Handel ausgesetzt worden, nachdem ihr Kurs schon am Morgen erstmals seit 2011 unter die Marke von 10 Euro gefallen war. Nach dem Ende der Unterbrechung startete das Papier mit nur noch 2,50 Euro in den Handel. Noch vor gut einer Woche war es zu mehr als 100 Euro gehandelt worden.
WirecardWirecard steckt spätestens seit dem Bekanntwerden mutmaßlicher Luftbuchungen in Milliardenhöhe vor einer Woche in einem milliardenschweren Bilanzskandal. Der langjährige Wirecard-Chef Markus BraunMarkus Braun ist zurückgetreten und hat sich nach einem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft gestellt. Gegen Zahlung einer Kaution in Millionenhöhe ist er wieder auf freiem Fuß. Top-500-Firmenprofil für Wirecard Profil von Markus Braun im CIO-Netzwerk
Wirecard nur noch ein Fall für die Staatsanwaltschaft
Wirecard ist somit auch im Fokus der Strafverfolgungsbehörden. "Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten", hatte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I am Montag gesagt. Bei der Behörde läuft bereits ein Ermittlungsverfahren gegen Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Spitze wegen des Verdachts der Falschinformation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmitteilungen.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte ihr Testat für den Jahresabschluss für 2019 verweigert, weil sie keine ausreichenden Nachweise für die Existenz angeblicher Guthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen finden konnte. Zuvor hatte das Unternehmen die Vorlage des Jahresabschlusses bereits mehrfach verschoben. Wirecard räumte inzwischen ein, dass das fragliche Geld "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" überhaupt nicht existiert.
Banken geraten in Bedrängnis
Im Zentrum des Bilanzskandals stehen der ehemalige Wirecard-Finanzchef in Südostasien und ein Treuhänder, der bis Ende 2019 für Wirecard aktiv war und das - wie sich nun herausgestellt hat - in großen Teilen wahrscheinlich gar nicht existente - Geschäft mit den Drittpartnern betreute.
Eine Insolvenz von Wirecard könnte eine Reihe von Banken teuer zu stehen kommen, die dem Unternehmen über eine Kreditlinie einem Anleiheprospekt zufolge bis zu 1,75 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt haben. Dazu gehören als führende Institute die Commerzbank und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die niederländische ABN Amro und die Deutschland-Tochter der niederländischen ING .
Vertrauen in Wirecard auf dem Nullpunkt
Nach Informationen der Nachrichtenagenturen dpa und Bloomberg hatten die Banken Wirecard gerade erst einige Tage Aufschub gewährt, um die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu prüfen, bevor sie die ausstehende Summe zurückfordern.
Die Beratungsfirma FTI war dem Vernehmen nach im Auftrag der Kreditgeber dabei, Wirecard zu durchleuchten und möglichst viele Informationen zur finanziellen Lage des Unternehmens zusammenzutragen. Auf dieser Basis wollen die Banken dann möglichst bald die weiteren Gespräche führen, hieß es.
Über mögliche Bilanzmanipulationen bei Wirecard hatte schon vor über einem Jahr die britische "Financial Times" berichtet. Im Oktober hatte die "FT" dann berichtet, dass ein beträchtlicher Teil der Wirecard-Umsätze mit Drittfirmen in Asien womöglich auf Scheingeschäften beruhe.
Rauswurf aus dem Dax erst im September
Braun hatte die Berichterstattung der "FT" über Monate als haltlos zurückgewiesen. Da es schon nach den ersten "FT"-Artikeln zu außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie an der Frankfurter Börse gekommen war, hatten die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet, ob Kursmanipulationen von Börsenspekulanten dahinter steckten.
Trotz des Insolvenzantrags droht Wirecard allerdings wohl kein schneller Rauswurf aus dem Dax. Im Regelwerk der Deutschen Börse heißt es nach Angaben eines Sprechers, dass es eine außerplanmäßige Anpassung nur bei einem abgelehnten Insolvenzantrag geben kann, zum Beispiel falls der Antrag mangels Masse abgewiesen wird. "Bei einem regulären Insolvenzverfahren dagegen bleibt die Aktie bis zum nächsten regulären Anpassungstermin im Dax", sagte der Sprecher.
Die nächste reguläre Index-Überprüfung der Deutschen Börse steht am 3. September an. Umgesetzt werden etwaige Änderungen dann zum 21. September. Als Nachfolger beim aktuell indes so gut wie sicheren Dax-Abschied bei der regulären Indexüberprüfung gelten der Online-Essenslieferant Delivery Hero und der Aromen- und Duftstoffhersteller Symrise . Beide Werte erreichten am Donnerstag ein Rekordhoch. (dpa/rs)