Wissenschaftler
Zeitungen für Lesekultur unabdingbar
Die Grundlage für Lesekultur wird nach Überzeugung des Mainzer Wissenschaftlers Prof. Gregor Daschmann ganz früh im Elternhaus gelegt. Kinder, deren Eltern am Frühstückstisch Zeitung lesen, informierten sich später selbstverständlich und regelmäßig über aktuelle Themen und könnten so auch besser über gesellschaftliche Fragen mitentscheiden. "Mündige Bürger müssen lesen", sagte Daschmann in einem Interview der dpa. Das Surfen im Internet könne die breite Zeitungslektüre nicht ersetzen. Daschmann forscht und lehrt am Institut für Publizistik der Universität Mainz.
Wie wird Zeitunglesen gelernt?
Prof. Gregor Daschmann: Ganz klar im Elternhaus, wenn die Eltern beim Frühstück Zeitung lesen. Es ist ein langsames Lernen. Jungen nehmen als erstes mit zehn oder elf Jahren den Sportteil, die Mädchen schlagen als erstes die Promiseite auf. Die machen dann die Erfahrung, dass es in den Ressorts, für die sie sich in dem Alter interessieren, durchaus gedruckte Nachrichten gibt, die sie interessant finden. Nach solchen positiven Erfahrungen schauen sie plötzlich auch die anderen Ressorts an. Jugendliche aus sogenannten zeitungsfernen Haushalten später noch zu gewinnen, ist außerordentlich schwer.
Ist die Zeitung im Internet-Zeitalter noch eine zeitgemäße Informationsquelle?
Prof. Gregor Daschmann: Die jungen Leute, die sagen, Zeitung lesen sei altbacken und unmodern, die haben es in der Regel nie ausprobiert. Wenn sie im Web etwas lesen, lesen sie ja im Grunde den gleichen Inhalt, das ist ja nur eine andere Distributionsform. Es erscheint ihnen da aber viel moderner. Das eigentliche Problem ist: Die meisten Jugendlichen aus zeitungsfernen Haushalten lesen gar nicht - oder nur, wenn ihnen auf FacebookFacebook jemand etwas empfiehlt. Und dieses Verhalten korreliert stark mit Bildung, das heißt Gymnasiasten lesen eher als Jugendliche mit niedrigerem Bildungsniveau. Deshalb haben wir bei den Azubis eine zeitungs- und nachrichtenferne Klientel. Das ist wie bei allen Altersgruppen: Lesen geht mit Bildung einher. Wortschatz, Ausdrucksvermögen und Schreibfähigkeit werden durch regelmäßige Lektüre verbessert und trainiert - alles Fähigkeiten, die heute Bedingungen für beruflichen Erfolg sind. Alles zu Facebook auf CIO.de
Kann man das, was vielleicht im Elternhaus versäumt wurde, nachholen - also kann man Menschen nachträglich für das Lesen gewinnen und begeistern?
Prof. Gregor Daschmann: Damit Betroffene selbst die Erfahrung machen, dass ihnen das etwas bringt - das geht nicht in vier Wochen. Und es geht um eine nachgeholte Lesesozialisation. Ob sie später im Netz lesen oder anderswo, ist eine andere Frage. Wenn ich aber nicht rechtzeitig gegen eine Kultur der Lesefeindlichkeit angehe, dann wird es ganz schlimm, denn dann rettet uns auch das Internet nicht. Lesekultur ist unabdingbar, und Lesen macht ja auch noch Spaß.
Im Netz gibt es alles, was auch in der Zeitung steht - warum dann noch Zeitung lesen?
Prof. Gregor Daschmann: Man muss zwischen Angebot und Nutzung unterscheiden. Im Internet steht alles drin - eine unendliche Vielfalt. Aber vieles wird wenig oder gar nicht genutzt. Es gibt eine Konzentration. Die größten zehn Anbieter - Facebook, GoogleGoogle und Co. - erhalten 60 Prozent aller Klicks. Im Netz findet man alles, was man sucht, aber vieles wird eben nicht abgerufen. Und auch in Online-Zeitungen wird weniger gelesen als in der gedruckten Ausgabe. Dort wird immer die ganze Seite gescannt, wenn man einen Artikel liest. Und dann fallen auch andere Überschriften ins Auge, die man vielleicht sonst nicht gesehen hätte. Das ist ein großer Vorteil der gedruckten Zeitung. Im Netz müssen Sie aktiv werden und einen solchen Artikel anklicken. Das passiert seltener. In der Online-Gesellschaft weiß man nur gezielt - das, wofür man sich sowieso interessiert. Allgemeinbildung geht verloren. (dpa/rs) Alles zu Google auf CIO.de