Hybrid-Work-Modelle

6 unbequeme Wahrheiten

Kommentar  08.09.2021
Mike Elgan schreibt als Kolumnist für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld und weitere Tech-Portale.
Hybrid- und Remote Work sind ein Silberstreif am Pandemie-Horizont. Leider gibt es da nur ein paar Probleme.
Heile Hybrid- und Remote-Work-Welt? Das bleibt vorerst ein schöner Traum.
Heile Hybrid- und Remote-Work-Welt? Das bleibt vorerst ein schöner Traum.
Foto: Olesya Kuznetsova - shutterstock.com

Remote-Arbeit wurde vielen Arbeitgebern im letzten Jahr durch die Pandemie aufgezwungen, was zu einem schnellen und einfachen Konsens führte: "Remote-Arbeit ist gekommen, um zu bleiben." Doch mit der abklingenden Krise werden Unternehmen die Wahl haben, wo ihre Mitarbeiter künftig ihre Arbeit erledigen - jetzt mit einer Reihe neuer Tools, Erwartungen und Erfahrungen.

Wie Netscape-Mitbegründer Marc Andreessen kürzlich sagte, unterliegen wir "einem permanenten zivilisatorischen Wandel", bei dem wir "den physischen Standort von den wirtschaftlichen Möglichkeiten trennen können." Langfristig betrachtet hat er damit wahrscheinlich recht. Bevor diese Utopie jedoch Wirklichkeit werden kann, müssen noch viele Fragen beantwortet werden. Im Folgenden lesen Sie sechs unbequeme Wahrheiten (und ungelöste Probleme) rund um den Trend zur Hybrid- und Remote-Arbeit.

1. Hybridkultur Fehlanzeige

Wir haben jetzt hybride Arbeit, aber noch keine hybride Arbeitskultur oder Management. Als die Pandemie Anfang 2020 Fahrt aufnahm, wurden viele Unternehmen vom plötzlichen Bedarf für Remote-Arbeitsplätze überrascht. Sie mussten sich mühsam Tools und Methoden zusammenschustern, um die Krise überstehen und das Geschäft am Laufen halten zu können.

Auf das, was jetzt ensteht, sind die meisten Unternehmen kulturell jedoch noch nicht vorbereitet: Hybride Arbeitsplätze, bei denen einige Mitarbeiter remote arbeiten, andere die ganze Woche im Büro sind und wieder andere je nach Wochentag hin- und herpendeln.

Diese neue Arbeitswelt erfordert neue Wege der Mitarbeiterführung, der Bewertung der Arbeitsleistung und auch neue Methoden in Bezug auf Meetings, Zielvorgaben, Teamorganisation, Recruiting, Onboarding und Beförderung. In den meisten Fällen werden diese Elemente entweder schlicht dem Zufall überlassen oder von einzelnen Managern und Führungskräften in Eigenregie erkundet. Solche Ad-hoc-Vorgaben führen allerdings oft nicht zum Erfolg.

2. Richtlinien-Lücken

Ein eklatantes Versäumnis: VollzeitmitarbeiterVollzeitmitarbeiter, die als digitale Nomaden arbeiten, werden in der Regel nicht durch Richtlinien erfasst. Die informelle Akzeptanz digitaler Nomaden und die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten über die Zulassung von Mitarbeitern an entfernten Standorten erinnern an den anfänglichen Bring-your-own-device (BYOD)-Trend. Damals neigten Geschäfts- und IT-Führungskräfte dazu, BYOD strikt abzulehnen. Viele Mitarbeiter waren hingegen stark dafür. Die Patt-Situation führte zu einem Mischmasch aus eingeschmuggelten Geräten und einer "Don't-ask-don't-tell"-Durchsetzung der meist ungeschriebenen Regeln. Schließlich wurde das BYOD-Konzept zur Norm und die Probleme mit neuen Tools, Methoden und Policies entschärft. Alles zu Personalführung auf CIO.de

Die erste und dringlichste Aufgabe für Unternehmen besteht darin, eine klare und konsequent durchgesetzte Richtlinie für Remote-Arbeit einzuführen, die unter anderem die zulässigen Praktiken für Mitarbeiter definieren, die als digitale Nomaden arbeiten. Es gibt viele rechtliche und andere Fragen im Zusammenhang mit Remote-Mitarbeitern - diese sollten formell und offen diskutiert und in der Richtlinie kodifiziert werden.

3. Ungeeignete Tools

Die Lösung für hybrides Arbeiten besteht nicht darin, dass Mitarbeiter an verschiedenen Standorten unterschiedliche Tools verwenden. Stattdessen sollten unternehmensweit dieselben Werkzeuge zum Einsatz kommen, die das Arbeiten an jedem Ort ermöglichen - mit unternehmensweit einheitlichen Workflows.

Dies erfordert ein neues Engagement für die Digitalisierung, Cloud-Dienste und -Anwendungen, digitale Kommunikationssysteme sowie mobile Geräte und Dienste. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Cybersicherheit für Remote-Arbeiter und digitale Nomaden zu legen.

4. Veraltetes Arbeitsrecht

Für Mitarbeiter gilt immer das Arbeitsrecht seines Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes, nicht das, wo das Unternehmen seinen Hauptsitz hat. Diese Vorstellung ist antiquiert und veraltet. Selbst Vollzeitangestellte, die nicht remote arbeiten, erledigen einen Teil oder manchmal sogar den größten Teil ihrer Arbeit unterwegs auf Geschäftsreisen oder zu Hause. Manche Menschen entscheiden sich auch, in temporären Unterkünften oder Airbnbs zu leben. Die neue Realität ist, dass Menschen überall leben können. Aber die Gesetze gehen weiter davon aus, dass jeder Mensch an einen festen Wohnsitz gebunden ist. Hardcore-Digitalnomaden haben keine Adresse. Für Freiberufler und Berater ist das keine große Sache. Aber es ist ein großes Problem für die Mehrheit der digitalen Nomaden, die in Vollzeit angestellt sind.

All diese Probleme ließen sich lösen, wenn sich Steuer- und Arbeitsrecht nach dem Standort des Unternehmens und nicht nach dem des Mitarbeiters richten würde. Das wäre auch ethisch wünschenswert: Die aktuelle Gesetzeslage macht es möglich, dass Länder mit schwachen oder ausbeuterischen Gesetzen belohnt werden.

5. Vertrauensmangel im Valley

Viele der Produkte, die die Remote- und Hybrid-Arbeit erst möglich machen, kommen von Unternehmen aus dem Silicon Valley. Umso erstaunlicher ist es, dass diese offenbar kein Vertrauen in oihre eigenen Lösungen haben.

Die meisten Tech-Riesen sind nämlich zögerlich, wenn es darum geht, ihre Mitarbeiter in Vollzeit remote arbeiten zu lassen. Google etwa hat angekündigt, dass 20 Prozent seiner 135.000 Mitarbeiter im Büro arbeiten müssen, weitere 20 Prozent dürfen vollständig aus der Ferne arbeiten. Allerdings dürfen 60 Prozent maximal zwei Tage pro Woche remote arbeiten. Apple strebt Ähnliches an.

Während viele Führungskräfte innerhalb der Tech-Unternehmen die Vollzeit-Fernarbeit stark befürworten, sind sich andere nicht so sicher. Also gehen sie auf Nummer sicher und halten sich alle Optionen offen, indem sie einige Tage Remote-Arbeit erlauben.

6. Teilzeit-Fernarbeit

Der Hauptgrund für diese Politik ist höchstwahrscheinlich, dass nur tageweise erlaubte Möglichkeit, remote zu arbeiten, die Abwanderung von Mitarbeitern verhindern soll.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Vollzeit-Fernarbeit und Teilzeit-Fernarbeit: Bei der Teilzeitvariante sind die Mitarbeiter weiterhin an den Standort gebunden. Sie müssen in Pendelentfernung zum Büro bleiben. Vollzeit-Remote-Mitarbeiter hingegen können in die Wildnis, nach Kroatien oder Barbados ziehen - oder sie werden zu Vollnomaden und hören nie auf umzuziehen. Durch die Begrenzung der Vollzeit-Fernarbeit halten sich Unternehmen die Option offen, ohne größere Unterbrechungen wieder auf das althergebrachte Office-Modell umzuschwenken.

Die neue Welt der Hybrid-Arbeit ist endlich da, aber noch ist das kein Grund, die Sektkorken knallen zu lassen. Es gibt zu viele ungelöste Probleme. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.

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