Verkannte Fachkräfte
Autisten haben es im Job nach wie vor schwer
Die Kulisse, vor der Aleksander Knauerhase seinen Vortrag hält, hätte selbst einen versierten Redner aus dem Konzept gebracht. Während er spricht, setzen sich die Jalousien in Gang, Zu-Spät-Kommer drängen in den Raum, suchen Plätze in der ersten Reihe. Knauerhase blickt konzentriert auf seinen Laptop und spricht weiter. Die Situation wäre schwer zu ertragen für einen gesunden Menschen, noch schlimmer ist sie für jemanden mit Asperger-Syndrom - wie Knauerhase.
Menschen wie er haben Schwierigkeiten mit der Reizverarbeitung. Ein Vogelzwitschern sendet das gleiche Signal ans Gehirn wie eine Autohupe. Der Blogger und Autor hat trotz Abitur, Ausbildung, Diplomstudium und fast abgeschlossenem Master bislang keinen Job gefunden. Inzwischen hält er Vorträge über Menschen mit Autismus. Der 39-Jährige wird immer noch von seinen Eltern unterstützt.
Das Problem: Autisten mit Asperger-Syndrom können hochintelligent und wertvolle Fachkräfte sein, sind gleichzeitig aber meistens unfähig, sich im sozialen Gefüge "Unternehmen" zurecht zu finden. Die Reizverarbeitung ist nur ein Punkt. Small Talk ist vielen ein Graus, Teamarbeit fällt einigen schwer, sie sind häufig gnadenlos ehrlich - eine Eigenschaft, mit der viele Vorgesetzte nicht umgehen können.
Ihre Stärke: Sie können sich in einem Fachgebiet verlieren und zu absoluten Experten werden. Diesen Vorteil versuchen sich Firmen inzwischen zunutze zu machen. Prominentes Beispiel ist SAPSAP: Vor einem Jahr startete der Softwarekonzern die Initiative, ein Prozent der weltweiten Belegschaft sollen bis 2020 Menschen mit autistischer Störung sein. Die Idee sorgte für große Aufmerksamkeit, doch: "Es hat sich nicht viel verändert" sagt Friedrich Nolte, Fachreferent im Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Alles zu SAP auf CIO.de
Dem Verband zufolge sind in Deutschland sechs bis sieben von 1000 Menschen Autisten. Ein bis drei von 1000 Menschen haben Asperger-Autismus. Matthias Dalferth, Professor für angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule Regensburg und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Autismus-Bundesverbands, geht davon aus, dass die allermeisten Menschen dieser Gruppe mit entsprechender Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein könnten. Doch drei Viertel der Menschen mit Asperger-Syndrom oder hochfunktionalem Autismus seien Untersuchungen zufolge trotz guter Schul- oder sogar Studienabschlüsse arbeitslos. "Es funktioniert nur mit Begleitung", ist die Erfahrung von Dalferth.
Doch das können sich vor allem kleinere Firmen nicht unbedingt leisten. Im Mittelstand hänge die Einstellung manchmal einfach von einem Geschäftsführer ab, der sich für das Thema stark mache, sagt Matthias Prössl, Geschäftsführer der dänischen Firma Specialisterne in Deutschland. Specialisterne hilft SAP bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter mit Autismus. Bei den Walldorfern kümmern sich eigens Job-Coaches um die inzwischen eingestellten sieben Autisten. Noch einmal so viele will SAP in diesem Jahr werben.
Der Softwarekonzern ist nicht das einzige Unternehmen, das sich für das Thema engagiert. L'Oreal arbeitet in Italien mit Autisten zusammen. Die Telefonkonzerne Vodafone und Telekom, aber auch die BayernLB beschäftigen Mitarbeiter von Auticon. Die Berliner Firma hat Dirk Müller-Remus aus eigener Betroffenheit gegründet. Sein 21 Jahre alter Sohn hat das Asperger-Syndrom.
Auticon verleiht seine Mitarbeiter betreut durch einen Coach - bislang nur für Aufgaben in der Informationstechnologie. Die Firma expandiert: Aktuell hat sie 24 Mitarbeiter, 2016 sollen es 100 sein.
Die Nachfrage Klaus Schuldes vom Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit bestätigt das. Aktuell bestehe im Feld der Software-Prüfung eine hohe Nachfrage nach Menschen mit Asperger-Autismus, sagt er. Darüber hinaus sei die Vermittlung aber nach wie vor schwierig. Gerade mal eine Person mit Autismus betreut die Stelle aktuell in Deutschland.
Auticon-Gründer Müller-Remus will das ändern: "Wir müssen nach und nach Geschäftsfelder entwickeln, die Sinn machen", sagt Müller-Remus. Er flöht die Lebensläufe seiner Bewerber nach möglichen neuen Aufgaben, wie beispielsweise Übersetzung. Mustererkennung ist die große Stärke von Menschen mit Asperger-Syndrom, sagt er: "Das wird stark nachgefragt in der Wirtschaft."
Aleksander Knauerhase hilft sich inzwischen selbst. Der Blogger will sich jetzt selbstständig machen - und als Berater über Autismus aufklären. Das ist sein Spezialgebiet. Sein erstes Ziel: Die Politik müsse aufhören, andere Menschen als autistisch zu bezeichnen. Denn: "Solange das Wort als Schimpfwort gebraucht wird, kann es keine Inklusion geben", sagt Knauerhase. (dpa/rs)