Wilder Westen beim Coaching
Berater-Boom nimmt unseriöse Entwicklung
Coaching "boomt und nimmt zu", sagt Sarah Pohl. Sie arbeitet als Leiterin der Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen (ZEBRA) in Freiburg. Die Gründe sieht sie in einer Gesellschaft, die sich ständig optimieren will; manche sehen darin ein Lifestyle-Produkt. Gleichzeitig ersetzt damit der ein oder andere eine Therapie: Worte wie "Therapie" oder "Therapeut" schreckten oft ab, vermuten die ZEBRA-Berater - "Coach" klinge besser.
Zuletzt häufiger erhalten Pohl und ihr Team Hinweise auf dubiose Scharlatane: "In letzter Zeit melden sich einige, die auf windige Erfolgsberater reingefallen waren, die das Blaue vom Himmel versprochen hatten." Pohl erzählt gern die Geschichte eines Mannes, der von einem Coach berichtete, der ihm 30.000 Euro abgenommen hatte. Der Prepper habe ihm Überlebenstrainings und Kurse verkauft, mit denen er Millionär werden und in Krisenzeiten überleben könne.
"Vom Tellerwäscher zum Millionär"
Problematisch wird es, mahnt Pohl, wenn Versprechungen mit der Erzählung "Vom Tellerwäscher zum Millionär" gemacht werden oder Berater ihre Methode als exklusiv anpreisen. "Wir erleben häufig, wie Berater eine Selbstüberschätzung an den Tag legen, wenn sie sagen, sie könnten mit jedem Menschen arbeiten und jeder Person helfen, ohne eine Ausbildung zu haben." Der Job ist kein geschützter Beruf - jeder kann beraten oder Berater beraten.
Coachings fördern nicht selten tiefsitzende Probleme zutage. Nach einem Termin, bei der eine Frau Probleme ihrer Beziehung erörtern wollte, habe sie erzählt, sie sei vom Vater missbraucht worden. Sie könne sich nicht mehr erinnern, aber sich nun einige Probleme erklären, berichtete ihre verdutzte Mutter den Beratern in Freiburg.
"Bei manchen stark emotionalisierenden Techniken können bei sensiblen Personen Traumata und Psychosen ausgelöst werden", sagt Siegfried Greif. Der 77-Jährige ist nach eigenen Angaben einer der ersten deutschen Coaching-Forscher.
Scharlatane wollen Burn-out mit Atemtechniken behandeln
Der habilitierte Psychologe, der bis zum Ruhestand an der Uni Osnabrück lehrte, hält nichts von Scharlatanen, die einen BurnoutBurnout mit Atemtechniken behandeln wollen. "Die meisten Coaches haben Berührungsprobleme mit der Wissenschaft", sagt er. "Das ist für mich als Psychologen grausig, was manche Coaches für selbstgebastelte Theorien über Menschen haben." Er fordert von Beratern einen Kontakt zu Psychologen für schwierige Situationen. Alles zu Burnout auf CIO.de
Bei psychischen Erkrankungen kann mit falscher Beratung viel falsch gemacht werden, sagt die Bundespsychotherapeutenkammer. "Psychische Erkrankungen, die nicht erkannt und nicht richtig behandelt werden, können sich erheblich verschlimmern", sagt Sprecher Kay Funke-Kaiser. Menschen in psychisch schwierigen Phasen sollten sich an qualifizierte Therapeuten oder Fachärzte wenden.
Beraten ist ein Produkt der Wohlstandsgesellschaft
Coaching hat seinen Ursprung in den USA. "In den Anfangsjahren waren es vor allem Führungskräfte, die sich Hilfe durch Coaching geholt haben", sagt Greif. Das Beraten ist Produkt einer Wohlstandsgesellschaft, erklärt er.
Pohl und ihr Team in Freiburg beobachten, wie vermehrt junge Menschen zwischen 20 und 25 Jahren an dubiose Ratgeber gelangen. Oft rufen Angehörige bei der Beratungsstelle an - für Betroffene sei es mit Scham belastet, wenn sie über das Ohr gehauen worden seien. "Das sind oft junge erfolgssuchende Männer, die mit dem Versprechen geködert werden, das große Geld zu machen", sagt Pohl. Bei Frauen werde häufiger mit dem Wunsch nach Beziehung und Partnerschaft gelockt.
"Oft sind diese Coaches dubios."
Aufgrund der Fülle an Angeboten gebe es zunehmend Coaches, die wieder neue generieren, sagt Marketing-Professorin Sabine Kuester von der Uni Mannheim. "Oft sind diese Coaches dubios. Ich wäre bei ihnen generell vorsichtig." Ökonomisch könne man die Angebote häufig als "asymmetrische Information" einordnen: "Als Kunde weiß ich nicht, welche Qualität dahinter steckt." Der Markt sei "ein bisschen wie der Wilde Westen".
Wie kann man dubiose Angebote erkennen? Die ZEBRA-Berater aus Freiburg halten es für angemessen, wenn Coaches für Sitzungen - ähnlich wie Therapeuten - bis zu 150 Euro nehmen. In einem Fall hätten Teilnehmer für ein Wochenendseminar 15.000 Euro aus dem Fenster geworfen.
Der Deutsche Coachingverband rät, sich nach Merkmalen der Professionalität umzusehen. Der Verband vergibt Beratern, die sich zu Ethik und Transparenz verpflichten, ein Zertifikat. Vorstandsmitglied Alexander Brungs empfiehlt bei seltsam wirkenden Coaches, dem Bauchgefühl zu vertrauen - und abzulehnen. Denn bei der Vielzahl an Angeboten sei es nicht schwer, einen anderen Berater zu finden. (dpa/rs)