Bargeld verliert
Corona-Krise ändert Zahlungsverhalten
Die Corona-Krise könnte Kartenzahlungen im Handel zulasten von Bargeld kräftig vorantreiben. Mit der Pandemie dürfte sich die Nutzung von kontaktlosen Bezahlverfahren, Giro- und Kreditkarten sowie mobilem Zahlen per Smartphone beschleunigen, glauben Zahlungsexperten der Beratungsfirma Oliver Wyman. Der Anteil von Barzahlungen nach Umsatz könnte bis 2025 auf 32 Prozent sinken, schreiben sie in einer am 19. April 2020 veröffentlichten Studie. Zum Vergleich: Für das Jahr 2019 schätzen sie den Bargeld-Anteil auf 47 Prozent. Berücksichtigt wurden Käufe in Geschäften sowie im Online-Handel, die dort mit Karte oder etwa Paypal bezahlt wurden.
"Eine Entwicklung, die mehrere Jahre dauern sollte, wird durch die Corona-Pandemie nun auf wenige Monate kondensiert", sagte Gökhan Öztürk, Partner bei Oliver Wyman. Wegen der Corona-Pandemie bieten Handelsketten, Restaurants und Geschäfte verstärkt Kartenzahlungen anstelle von Bargeld an, um Kontakt mit Beschäftigten an den Kassen und potenzielle Übertragungen zu vermeiden.
Entwöhnung von Barzahlungen
Die Hygienemaßnahmen führten zu einer Entwöhnung von Barzahlungen, meinen die Berater. Sollte die Beschleunigung nach der Pandemie anhalten und viele Kunden ihr Bezahlverhalten beibehalten, sei auch eine Quote von nur 20 Prozent der Cash-Zahlungen nach Umsatz bis 2025 durchaus möglich. Auch vor der Corona-Krise hatten die Berater einen Rückgang von Barzahlungen vorhergesagt - aber nur auf 37 Prozent.
Grundsätzlich gibt es in Deutschland seit Jahren einen Trend zu weniger Zahlungen mit Scheinen und Münzen. 2018 gaben Verbraucher im stationären Einzelhandel laut dem Handelsforschungsinstitut EHI erstmals mehr Geld per Giro- und Kreditkarte aus als in bar. Drei Viertel aller Einkäufe im Handel werden demnach aber weiter bar beglichen - vor allem bei kleinen Summen. Oliver Wyman erwartet nun, dass auch bei den Transaktionen der Bargeldanteil sinkt. 2025 könnte nur noch bei jeder zweiten Zahlung Cash zum Einsatz kommen.
Für eine schnellere Ausbreitung von Kartenzahlungen sehen die Berater mehrere Gründe: Eine steigende Akzeptanz digitaler Verfahren bei Händlern und Kunden sowie die Einführung von Apple Pay in Deutschland. "Das Schwierigste bei der Einführung einer neuen Zahlungsoption war und ist immer, die Konsumenten dazu zu bringen, es auszuprobieren", sagte Oliver-Wyman-Partnerin Martina Weimert. "Wer aber erste Erfahrungen gemacht hat und feststellt, dass alles problemlos funktioniert, der nutzt diese Zahlungsoption auch weiter."
25 Prozent haben Zahlverhalten geändert
Die meisten Verbraucher zahlen seit Beginn der Corona-Krise ihre Einkäufe indes noch wie gewohnt, wie jüngst Umfragen der Bundesbank zeigten. Erst 25 Prozent von rund 1000 Befragten hatten zuletzt ihr Zahlverhalten geändert. "Unmittelbare Auswirkungen auf das mittelfristige Bezahlverhalten können wir aus der momentanen Situation nicht erkennen", so Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann.
Fast alle, die ihr Zahlungsverhalten geändert haben, begleichen aber Einkäufe laut der Umfrage seltener bar (90 Prozent) - aus Hygiene-Gedanken, zum Infektionsschutz und zur Kontaktvermeidung. Beermann betonte, es gebe keine Erkenntnisse, dass Verbraucher bei Bargeld einem höheren Corona-Ansteckungsrisiko ausgesetzt seien.
Auch die Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) wehrt sich. "Die Anbieter unbarer Zahlungsmittel locken Händler mit Flatrates und verbesserten Zahlungsmodalitäten. Das Infektionsrisiko ist vorgeschoben, um auf bargeldlosen Zahlungsverkehr umzusteigen", sagte jüngst BDGW-Hauptgeschäftsführer Harald Olschok. Bei Kunden und dem Verkaufspersonal würden Ängste geschürt. "Wer im Supermarkt einkauft und seine Karte aus dem Geldbeutel holt, ist nicht weniger gefährdet, als derjenige, der bar zahlt", so der Verband.
Kürzlich hatten Kreditkartenanbieter wie Mastercard das Limit für das kontaktlose Bezahlen heraufgesetzt. Dabei müssen Kunden Kreditkarten oder Girocards nicht in ein Gerät schieben, sondern nur an ein Terminal halten. Die Daten werden dann verschlüsselt ausgetauscht. Bei geringen Beträgen ist keine PIN-Eingabe nötig. Um kontaktloses Zahlen als "hygienische Bezahlmethode" zu unterstützen, hat auch die Deutsche Kreditwirtschaft das Limit für Kartenzahlungen ohne PIN-Eingabe im Handel von 25 auf 50 Euro verdoppelt.
In seiner Analyse stützt sich Oliver Wyman auf Daten der Bundesbank sowie eigene Schätzungen. Berücksichtigt für die Rechnungen wurden Einkäufe an der Ladenkasse sowie im Online-und Versandhandel. Nicht erfasst wurden regelmäßig wiederkehrende Zahlungen, die im Allgemeinen abgebucht oder per Dauerauftrag überwiesen werden (z. B. Miete, Versicherungen, Darlehensrückzahlungen, Abonnements, Sparen).
Das Modell von Oliver Wyman berücksichtig unterschiedliche Parameter wie ein verändertes Kundenverhalten, das veränderte Marktumfeld (Einführung von Apple Pay), die veränderte Marktstruktur (erhöhte Akzeptanz) sowie Weiterentwicklung von Regulatorik und Technologien. - Das Marktforschungsinstitut forsa befragte in zwei Wellen - vom 23. bis zum 26. März und vom 2. bis 7. April 2020 - im Auftrag der Bundesbank repräsentativ telefonisch jeweils 1.000 Personen ab 16 Jahren in Deutschland. Forsa fragte dabei unter anderem nach der Änderung des Zahlungsverhalten seit Beginn der Coronavirus-Epidemie. (dpa/rw)