KI in der Fertigung
Die Technologie ist wichtig – der Business-Nutzen noch wichtiger
In den meisten Diskussionen zum Thema KI dreht sich alles um Algorithmen, Plattformen, Tools und Infrastruktur. Das ist verständlich, denn schließlich handelt es sich bei KI um eine komplexe Technologie, die bis an die Grenzen unseres mathematischen Verständnisses reicht. Hinzu kommt, dass die Technik dem jeweiligen Zweck gerecht werden muss. "Die deutschen Fertigungs-Unternehmen sind hochspezialisierte Marktteilnehmer in vielen internationalen Branchen. Dazu bedarf es IT-Architekturen und KI-Plattformen, die genau auf diese speziellen Bedürfnisse angepasst sind", sagt Dr. Florian Baumann, CTO bei Dell Technologies mit Spezialgebiet Automotive & AI.
Darüber hinaus teilt er die Ansicht mit anderen erfolgreichen KI-Anwendern und -Experten, dass vor allem der KI-Nutzen und die Anwendungsproblematiken im Vordergrund stehen müssen. Doch das Artikulieren der Vorteile scheint nicht so einfach zu sein, wie es bei anderen diskreten IT-Anwendungen der Fall ist. "Im produzierenden Gewerbe gibt es sehr viele Unternehmen, die noch am Anfang der KI-Nutzung stehen und einen wirklichen Geschäftsnutzen erst noch entdecken müssen", erklärt Baumann.
KI - eine innovative Option gegen Fachkräftemangel
Folglich sieht er auch keine Patentrezepte für den erfolgreichen KI-Einsatz. "Die Geschäftsnutzen sind äußerst vielfältig und reichen von der Vorhersage des Materialbedarfes, der intelligenten Kostenschätzung, der automatisierten Qualitätskontrolle und der Ermittlung von Lagerkapazitäten bis hin zur vorausschauenden Wartung - entsprechend breit sind die jeweiligen Problemfelder", so Baumann weiter. Auch Überlegungen, mit automatisierten Prozessen und vollintegrierten Entwicklungsplattformen dem Fachkräftemangel zu begegnen, gehörten inzwischen zu den möglichen Business-Benefits.
Das deckt sich mit den Erfahrungen von Jacek Burger, Project Leader E/E Embedded Systems & A.I. beim Mobility-Spezialisten EDAG Engineering. "Es gibt in den Fertigungsbranchen diverse Einsatzgebiete, wo KI eine herausragende Rolle einnehmen kann; denken wir nur an Smart Factory oder Predictive Maintenance", erklärt Burger. "Langfristig wird sich das Einsatzgebiet von KI auf unterschiedliche Tätigkeitsfelder ausdehnen und so das klassische Arbeitsumfeld positiv transformieren", lautet seine Prognose, die sich nicht nur auf die Fertigungsbranchen bezieht. Beispielsweise sollen künftig Entwicklungsarbeiten, Auftragsabwicklungen oder Kundenkontakte voraussichtlich von KI-Systemen mit einer wesentlich höheren Leistungsfähigkeit bearbeitet werden.
Von Microservices zum Gesamtbild
Bei Unternehmen, die sich früh mit dem Einsatz von KI beschäftigt haben, sind sowohl die Anwendungsszenarien als auch der daraus resultierende Nutzen wesentlich konkreter und detailreicher. "Der Erfolg von KI hängt zwingend vom Zusammenspiel der digitalen Elemente ab", sagt beispielsweise Dr. Patrick Ott, Director Digital Analytics & AI bei Rolls Royce. Im Geschäftsbereich Power Systems von Rolls-Royce entwickelt man unter anderem analytische Modelle zur Vorhersage der Restlebenszeit der Zündkerzen in den Motoren. Diese Modelle agieren in einem entsprechenden Framework als Microservices und lassen sich beliebig ergänzen und kombinieren.
"Die Connectivity von Maschinen ist dabei eine wichtige Voraussetzung, da nur so auf skalierbare Rechenressourcen in der Cloud zugegriffen werden kann", lautet einer seiner Hinweise. "Nimmt man mehrere solcher Microservices für verschiedene Bauteile des Motors und kombiniert sie mit weiteren Sensordaten, so ergibt sich ein ganzheitliches Bild über den Gesundheitszustand des Motors. Dieser lässt sich dann weiter aggregieren, so dass aus dem Zustand mehrerer Motoren Erkenntnisse über den Gesamtzustand einer Flotte gewonnen werden können."
Da Motoren typischerweise nicht autark laufen, sondern in einem System verankert sind, ergeben sich auch hier weitere Möglichkeiten der Nutzung von KI. Diese gehen weit über das klassische Portfolio eines Maschinenbauers hinaus. "Wir arbeiten bei Rolls Royce zum Beispiel aktiv an intelligenten Lösungen zur Flottenplanung, welche den Gesundheitszustand der Motoren und die nötigen Serviceintervalle in eine ganzheitliche und kosteneffiziente Wartungsplanung für Flotten münden lässt", so Ott weiter über den Nutzen dieser Technologie.
Mangelnde Transparenz als Megablocker
Angesichts der Bedeutung der mittelständischen Fertigungsindustrie für Deutschland haben sich in den letzten Jahren die Bemühungen verstärkt, auf dem Weg zur Industrie 4.0 die kleineren Player nicht links liegen zu lassen. Prof. Bodo Rosenhahn von der Leibniz Universität Hannover beobachtet den Einsatz von KI in diesem Bereich aus der Nähe. "Das ist in meinen Augen ein ganz heißes Thema und ganz viele setzen auch darauf", lautet seine Einschätzung. Aber er sieht im jetzigen Stadium auch Anwendungs- und Technologieprobleme.
"Man muss beim Einsatz von KI auch andere Faktoren berücksichtigen, wie Performance oder Datensicherheit. Aber ganz klar: Industrie und KMUs wollen KI nutzen und stellen sich auch darauf ein", so Rosenhahn weiter. Er geht fest davon aus, dass auch KMUs kräftig investieren werden. Technologisch sieht er aber noch das Problem der Erklärbarkeit von KI-Methoden, gerade bei tiefen neuronalen Netzen und ähnlichen Ansätzen. "Diesen Konflikt müssen wir in der Forschung noch lösen. Dazu sind neue Protokolle und Testverfahren erforderlich, denn nur so kann man letztendlich sicherstellen, dass das, was die intelligente Software macht, auch wirklich intelligent ist", sagt er über eine der eigenen Aufgabenstellungen auf diesem Gebiet.
Dr. Jochen Malinowski, Geschäftsführer für New IT bei Accenture, sieht darüber hinaus noch weitere Problemfelder beim Einsatz von KI in der mittelständischen Industrie. "Generell ist die mangelnde Verfügbarkeit an Arbeitskräften eine der größten Herausforderungen. Dazu kommt, dass deutsche Industrieanlagen im internationalen Vergleich weniger vernetzt sind und damit oft die Datengrundlage für KI fehlt. Hier gibt es seitens der Politik und der Wirtschaft noch deutlichen Nachholbedarf", mahnt Malinowski.
ROI-Planung als erster Schritt
Trotz aller Hindernisse und Unwägbarkeiten führt kein Weg an einer rechtzeitigen Beschäftigung mit dem Thema KI vorbei, betont Dr. Florian Baumann, CTO bei Dell in Deutschland. "Die ersten Maßnahmen für eine erfolgreiche KI-Nutzung sind die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Nutzen und darauf aufbauend die Berechnung des Return-on-Investment", so Baumann.
Auch sollten im Vorfeld die typischen Fallstricke und Herausforderungen rund um KI-basierte Geschäfts- und Entwicklungsprozesse vermieden werden. "Das beinhaltet unter anderem effiziente und vollintegrierte Entwicklungsplattformen, um so der Datenflut mit intelligenten Datenmanagement-Systemen zu begegnen sowie Prozesse, um die Algorithmen erfolgreich von der Entwicklung in die Produktion zu überführen. Dell Technologies unterstützt Unternehmen bei der Digitalisierung, der Transformation und der Einführung von KI. Das reicht von Erstgesprächen über Workshops und Proof-of-Concepts bis hin zur Produktion von KI-Algorithmen."
Die Experten: Prof. Dr.-Ing. Bodo Rosenhahn ist Professor an der Leibniz Universität Hannover und leitet dort eine Forschungsgruppe zur automatisierten Bildinterpretation. Der mehrfach ausgezeichnete KI-Wissenschaftler hat an mehr als 180 Veröffentlichungen mitgewirkt. Dr. Florian Baumann ist CTO bei der Dell Technologies GmbH mit Spezialgebiet Automotive & AI. Er ist Experte für maschinelles Lernen und hat über visuelle Erkennung und die Lösung anspruchsvoller Lernprobleme geforscht. Jacek Burger ist Project Leader E/E Embedded Systems & A.I. bei der EDAG Engineering GmbH. Dr. Jochen Malinowski ist bei Accenture Geschäftsführer für den Bereich New IT und Experte für die Planung und Implementierung komplexer technischer Architekturen und Anwendungen. Dr. Patrick Ott ist Director Digital Analytics & AI bei Rolls Royce und spezialisiert auf Maschinelles Lernen, Computer Vision und damit verbundene Geschäftsabläufe. |