Ziele und Erwartungen
Fehler bei Chatbot-Projekten vermeiden
Sonja Stange ist Innovation & Business Development bei Materna Information & Communications SE.
Michael Kuschke ist IT Architekt bei Materna Information & Communications SE.
- Bei jedem Chatbot-Projekt kommt dem Erwartungsmanagement von Anwendern und Unternehmen eine zentrale Rolle zu.
- Themenbezogene Namen für Chatbots sind deutlich besser als Fantasie-Avatare.
- Der Input durch nicht verstandene Fragen sollte mindestens in den ersten Monaten alle zwei bis vier Wochen ausgewertet werden. Chatbots sind nie fertig.
- Nachdem Chatbots heute sehr gut mit geschriebenen Worten arbeiten können, liegt die nächste Herausforderung in gesprochener Sprache.
Chatbots sind seit einigen Monaten auf dem Vormarsch. Die Assistenzsysteme, die fast menschlich und quasi-intelligent Fragen der Kunden beantworten können, sind nicht nur in Form von Siri oder Cortana ein spannendes und hilfreiches Angebot. Auch Unternehmen und Behörden sehen das Potenzial der Chatbots. Vor allem in Bereichen, in denen häufig ähnliche Fragen zu einem bestimmten Themenkreis gestellt werden, können die Bots den Kundenservice signifikant verbessern.
70 Prozent aller Chatbots im Retail-Umfeld
Die Marktforscher von Juniper Research sehen dementsprechend vor allem den Einzelhandel, das Gesundheitswesen und Finanzdienstleistungen als wichtigste Branchen für den Chatbot-Einsatz. Juniper Research erwartet, dass bis 2023 über 70 Prozent aller Chatbots im Retail-Umfeld genutzt werden. Rund elf Milliarden Dollar an Kosteneinsparungen werden bis 2023 in den drei Kernbranchen möglich sein, so die Marktforscher.
Konkrete Themen mit immer wiederkehrenden Fragen
Dass Juniper Research besonders HandelHandel und Dienstleistungen als Chatbot-Treiber sieht, liegt an den klaren Use Cases: In diesen Branchen ist der Kundenservice meist mit fortlaufend wiederkehrenden Fragen zu einem konkreten Thema befasst. Auswertungen bei bereits realisierten Chatbot-Projekten im IT-Service-Desk etwa haben ergeben, dass 35 bis 50 Prozent aller Tickets auf nur fünf verschiedene Anfragen zurückgehen. Top-Firmen der Branche Handel
Lassen sich nur diese wenigen Fragen weitgehend automatisiert beantworten, werden im Kundenservice also enorme Ressourcen frei, um sich den komplexen Problemen zuzuwenden. Ähnliche Zahlen sind auch in anderen Bereichen zu erwarten, wo Fragen zu Produkten und standardisierten Dienstleistungen einen erheblichen Teil der Kommunikation zwischen Kunden und Unternehmen ausmachen.
Chatbot-Antworten sind Zitate von vorgefertigten Texten
Stand heute sind textbasierende Chatbots gut dazu in der Lage, innerhalb klar definierter Themenfelder die gewünschten Informationen zu liefern. Tippfehler oder mundartliche Ausdrücke stellen bei der Eingabe kein Problem mehr dar. Auf der Output-Seite liefern die Systeme vorgefertigte Antworten auf die erkannten Fragen, häufig unterstützt durch eine kognitive Suche. Vereinfacht gesagt: Die Antwort des ChatbotChatbot ist ein Zitat aus einem vorab von Fachleuten und Redakteuren erstellten Text. Alles zu Chatbot auf CIO.de
Fragenbaum für technischen Kundenservice
Auch das Abarbeiten eines konkreten Fragenbaums ist mit diesem Ansatz möglich. Gerade im technischen Kundendienst können dadurch die Mitarbeiter deutlich entlastet werden: Hier sind Fragenbäume ein häufig genutztes Instrument, um Störungen oder Defekte strukturiert zu bearbeiten. Diese können inzwischen zu einem großen Teil durch Chatbots abgedeckt werden, die alle relevanten Informationen sammeln und - so die Störung dadurch nicht behoben wurde - anhand dieser Daten automatisch ein Ticket erstellen und das Problem an einen Mitarbeiter aussteuern.
Dieses Verfahren hat sich zum Beispiel im IT-Help-Desk für Standardanfragen wie "Der Drucker druckt nicht" sehr gut bewährt. Etwas aufwändiger ist das Design eines Chatbots im Bereich der Produktberatung. Oft haben die Kunden keine völlig klare Vorstellung davon, was sie denn genau wissen wollen. Und auch die Antworten sind nicht immer eindeutig.
Content Management System für Chatbots gibt es noch nicht
Damit ist klar: Ein Gespräch über universelle Themen ist mit einem Chatbot nicht möglich. Jeder Bot ist ein Spezialist, der auf das aufbereitete Fachwissen menschlicher Experten zurückgreift. Dieser Aspekt ist auch die eigentliche Herausforderung in jedem Chatbot-Projekt - wie wird das Wissen weitergegeben, wie kommt die Fachlichkeit in das System? Vergleicht man die Entwicklung der Chatbots mit der Entwicklung des Internets vor 20 Jahren, befinden sich die Bots auf dem Niveau der statischen HTML-Seiten um das Jahr 2000.
Das Fachwissen muss von IT-Fachleuten, thematischen Experten und Redakteuren aufbereitet und in das System eingepflegt werden. Hier fehlen aktuell noch Lösungen, die die Pflege der Wissensbasis durch Sachbearbeiter auch ohne IT-Kenntnisse direkt ermöglichen - quasi das Content Management System für Chatbots. Doch ist das nur eine Frage der Zeit, erste Dynamisierungen des Outputs sind bereits möglich.
Standards fehlen noch
Auch auf Seite der Nutzer sind Chatbots noch neu, die Bedienung des Mediums ist noch nicht allgemein bekannt. Dazu trägt auch bei, dass sich bei dieser sehr jungen Technologie noch keine Standards ausgebildet haben. Dieses wird sicher auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Entsprechend spielerisch ist der Zugang der meisten Nutzer zu den Chatbots: Aus den Log-Dateien einiger bereits in der Praxis laufender Chatbots kann man ablesen, dass rund 50 Prozent aller Anfragen nicht themenbezogen sind. Viele Nutzer wollen ausprobieren, was die neue Technologie zu leisten vermag.
Auch Höflichkeitsformeln, wie sie in der zwischenmenschlichen Kommunikation üblich sind, finden sich häufig in den Logs. Die Anwender nehmen also den Chatbot als Maschine war, wollen aber ein gewisses Maß an Menschlichkeit nicht vermissen. Die Erfahrung zeigt hier, dass es auf Kleinigkeiten ankommt. So kann die Akzeptanz eines Chatbots zum Beispiel dadurch gesteigert werden, dass die Antwort mit einer minimalen Verzögerung von einer halben Sekunde ausgeliefert wird. Technisch möglich wären ohne Probleme Antwortzeiten von zehn bis 20 Millisekunden. Durch die künstliche Latenz folgt der Chatbot eher der gewohnten, menschlichen Geschwindigkeit.
Erwartungen von Unternehmen und Kunden zu hoch
Grundsätzlich kommt so bei jedem Chatbot-Projekt dem Erwartungsmanagement eine zentrale Rolle zu. Denn wie so häufig bei neuen Technologien liegen sowohl seitens der Unternehmen als auch seitens der Benutzer die Erwartungen weit über dem Machbaren. Um die Erwartungen der Anwender zu steuern, muss erfahrungsgemäß das Thema des Bots klar und deutlich vorgegeben werden. Themenbezogene Namen für Chatbots sind hier deutlich günstiger als Fantasie-Avatare. Über regelmäßige Auswertung der Log-Dateien kann das Projektteam erkennen, ob sich die Erwartung der Anwender nach einer Probierphase der Realität annähert.
Die Erwartungen des Unternehmens wiederum müssen durch klare Einsatzszenarien und den daraus resultierenden Potenzialen in den Rahmen des Machbaren gefasst werden. Hier ist die Projektleitung gefragt, zwischen den Vorstellungen der Fachbereiche - meist das Marketing - und den verfügbaren Technologien zu vermitteln. Dabei ist es hilfreich, Chatbots zu Beginn nicht von einer technologischen Seite zu betrachten, sondern aus Sicht des Fachbereichs und der künftigen Anwender:
Was ist das Ziel? Stehen Kosteneinsparungen, Positionierung des Unternehmens oder andere Aspekte im Fokus des Projekts?
Wer sind die Nutzer? Je genauer die Zielgruppe eingegrenzt werden kann, desto exakter kann der Chatbot auf Anfragen reagieren - nicht zuletzt auch mit einer angepassten Ausdrucksweise.
Welche Bedürfnisse haben die Nutzer?Suchen die Nutzer in erster Linie Informationen zu einem bestimmten Produkt, benötigen sie Unterstützung oder soll der Chatbot etwa Anfragen von Bewerbern steuern?
Im Zweifelsfall steht der Anwender im Mittelpunkt
Dabei sollte im Zweifelsfall der Schwerpunkt auf der Sicht der Anwender liegen. Denn zunächst muss der Chatbot auch von den Anwendern genutzt werden, er ist kein Wissensspeicher. Zudem sollte der Chatbot auf Basis der historischen Anfragen regelmäßig gepflegt werden. Je mehr Anfragen bereits in einer frühen Projektphase verarbeitet werden, desto schneller kann der Bot verfeinert und ausgebaut werden.
Dabei spielen Anfragen, die der Chatbot nicht verstanden hat, eine wichtige Rolle. Dieser Input sollte zumindest in den ersten Monaten alle zwei bis vier Wochen ausgewertet werden. Später kann das Intervall reduziert werden. Jedoch muss klar sein: Chatbots sind nie fertig. Sprache, Kundenbedürfnisse und Produkte sind dynamisch, die dauerhafte Pflege des Bots ist unumgänglich.
Kundenservice guter Einstiegspunkt für Chatbot-Projekte
Wie bei allen Projekten mit neuen, noch fast experimentellen Technologien empfiehlt es sich, in kleinen Schritten vorzugehen. Jedes Projekt ist individuell, Chatbot-Projekte sind grundsätzlich agil und verlaufen in kleinen Iterationen. Ein möglicher Einstiegspunkt im Kundenservice könnte sein, dass der Chatbot das Problem aufnimmt, ein Ticket erzeugt und den Vorgang dann direkt an einen Mitarbeiter übergibt. Hier zeigt sich auch, welche Fragen besonders häufig gestellt werden. Anhand der dadurch gewonnenen Daten kann dieser Bot dann gezielt ausgebaut, mit Informationen angereichert und in seiner Effektivität optimiert werden.
Gesprochene Sprache mit künstlicher Intelligenz erkennen
Nachdem heute die Chatbots sehr gut mit geschriebenen Worten arbeiten können, ist die nächste Herausforderung die gesprochene Sprache. Erste Forschungsprojekte, etwa von Google, zeigen, dass hier ein großes Potenzial liegt. Dazu muss auch die technologische Basis noch einen Schritt nach vorne machen und in der Lage sein, aus dem gespeicherten Wissen selbstständig Informationen zu erzeugen. Eine Schlüsseltechnologie dabei ist die künstliche Intelligenz, respektive das maschinelle Lernen.
Mit der Verarbeitung und Ausgabe gesprochener Sprache wird zudem die Frage nochmal neu zu stellen sein, in welchem Rahmen ein Chatbot menschlich wirken sollte. Chatbots stehen noch am Anfang und haben bereits gezeigt, dass viele Abläufe in Unternehmen und Behörden damit schneller, komfortabler und letztlich besser organisiert werden können. Die kommenden Monate werden spannend.