10 Gartner-Prognosen
Kaufsucht im Internet wird ein Problem
Daryl Plummer, Vizepräsident und Fellow bei Gartner, entwarf auf dem IT Symposium/Xpo in Orlando ein ZukunftsbildZukunftsbild davon, wie sich Menschen in ihrer digitalisierten Umwelt verhalten und bewegen werden. Hier sind die zentralen Vorhersagen des Analysten. Alles zu IT Trends auf CIO.de
1. Bis 2023 werden drei Mal so viele Arbeitnehmer mit Behinderungen in Lohn und Brot sein wie heute. Dieser positive Trend verdankt sich dem Einsatz von KI und anderen modernen Technologien, mit denen Zugangsbarrieren abgebaut werden.
"Menschen mit Behinderungen bilden einen bislang nicht erschlossenen Pool an qualifizierten Talenten", sagte Plummer. Sie könnten von Technologien wie KI oder Augmented und Virtual RealityVirtual Reality (AR, VR) profitieren. Dem Analysten zufolge beginnen schon heute erste Restaurantketten mit der Erprobung von KI-Robotik-Technologien, die es gelähmten Mitarbeitern ermöglichen, Roboterkellner fernzusteuern. Alles zu Virtual Reality auf CIO.de
Den Marktforschern zufolge können Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, nicht nur ihr Image aufbessern, sie erhalten auch Mitarbeiter, die besonders loyal sind und nicht so schnell kündigen werden wie andere. Ihre Produktivität sei besonders groß, so dass sich auch ertragsseitig Vorteile einstellen sollten.
KI wird Emotionen erkennen
2. Bis 2024 wird KI in der Lage sein, Emotionen von Internet-Nutzern zu erkennen. Das wird signifikante Auswirkungen auf Online-Werbung haben.
"Künstliche emotionale Intelligenz" ist laut Gartner die nächste Grenze, die die KI-Entwicklung überwinden wird. Das dürfte vor allem für Unternehmen interessant werden, die Emotionen interpretieren wollen, um Kaufentscheidungen ihrer Kunden zu beeinflussen. Schon heute zählen den Analysten zufolge 28 Prozent aller Marketingspezialisten KI und Machine LearningMachine Learning (ML) zu den Technologien, die den größten Einfluss auf das zukünftige Marketing haben werden. 87 Prozent der Marketing-Teams beschäftigen sich zudem mehr oder weniger intensiv mit Personalisierung. Alles zu Machine Learning auf CIO.de
Maschinelles Sehen (Computervision) ermöglicht es Systemen, mithilfe von KI physische Umgebungen zu erkennen und zu interpretieren. Was im industriellen Umfeld in Form von Produktkontrolle, Defekterkennung oder Oberflächeninspektion bereits zum Einsatz kommt, wird sich zu einer der Schlüsseltechnologien auch für das Erkennen von Emotionen entwickeln. Gartner stuft Computervision als eine der wichtigsten Technologien der kommenden drei bis fünf Jahre ein.
Mit künstlicher emotionaler Intelligenz werde es möglich, sowohl digitale als auch physische Erlebnisse bis ins Detail zu personalisieren. Dann spielten nicht Klicks und Browsing-Verläufe eine Rolle, sondern die Frage, wie sich ein Kunde zu einem bestimmten Kaufzeitpunkt fühlt. Erstmals wird es möglich, Verbraucher auf der Grundlage immaterieller Aspekte zu bewerten und zu binden. Laut Gartner ist das die Geburtsstunde des "empathischen Marketings". Der Mehrwert für Marken wie für Konsumenten werde immens sein, solange die Datenschutzgrenzen eingehalten würden.
3. Bis 2023 werden 30 Prozent der IT-Organisationen ihre ByoDByoD-Richtlinien um Guidelines für "Bring your own Enhancement" (ByoE) erweitern. Gemeint sind damit Technologien und Wearables, mit denen Mitarbeiter ihre persönliche Arbeitswelt effizienter gestalten werden. Alles zu BYOD auf CIO.de
Große Fortschritte im Bereich der Wearable-Technologien führen dazu, dass immer mehr Beschäftigte einer Zukunft als "Augmented Worker" entgegensehen. Sichtbar ist das bereits an den Datenbrillen, die an Arbeitsplätzen in Branchen wie Automotive, Öl und Gas, Einzelhandel oder auch dem Gesundheitswesen im Einsatz sind. Dabei sind Brillen und andere Wearables nur ein Beispiel für physische Erweiterungen, implantierte Chips oder Exoskelette für das Tragen schwerer Lasten sind weitere. Laut Gartner werden die Menschen zunehmend nach physischen Augmentationen suchen, die ihr persönliches Leben verbessern und ihnen helfen, ihre Arbeit zu erledigen.
Analyst Plummer glaubt, dass der Antrieb, solche Technologien einzusetzen, von den Beschäftigten selbst kommen wird. Sie wollen ihre Arbeitswelten angenehmer gestalten. "Unternehmen müssen die Kontrolle über diese Geräte haben, den Benutzern aber gleichzeitig ermöglichen, sie einzusetzen." Deshalb müsse die ByoD- zur ByoE-Strategie ausgebaut werden.
4. Bis 2025 wird die Hälfte jener Menschen, die ein Smartphone, aber kein Bankkonto haben, ein mobil zugängliches Kryptowährungskonto nutzen.
Von Ende 2020 an werden führende Online-Marktplätze und Social-Media-Plattformen Zahlungen in Kryptowährungen unterstützen. Mindestens die Hälfte jenes Teils der Weltbevölkerung, die kein Bankkonto besitzt, wird laut Gartner bis 2025 diese neuen mobil zugänglichen Kryptowährungs-Konten verwenden. Dies wird die Märkte in Ökonomien wie Afrika (Sub-Sahara) und Asien/Pazifik beleben, glaubt der Gartner-Analyst.
Regulierungsbehörden entdecken die KI
5. In mindestens vier der G7-Länder werden sich bis 2023 Regulierungsbehörden bilden, um die Arbeiten von KI- und ML-Designern zu beaufsichtigen.
Plummer führt aus, dass die Regulierung von KIKI- und ML-Algorithmen eine komplexe Aufgabe sei. Häuften sich die Fehler in der Software, würden die Auswirkungen schnell sichtbar. Beispiel sei das autonome Fahren, wo erste Unfälle mit Todesfolge weltweit Schlagzeilen erzeugten. Alles zu Künstliche Intelligenz auf CIO.de
Die Menschen erwarten Schutz vor den Folgen fehlerhafter Algorithmen. Das erzeugt Druck auf die Gesetzgeber, die sich Gedanken zu Haftungsfragen im Zusammenhang mit fehlerhaften Algorithmen machen müssen. Die unvermeidliche Regulierung wird die Zykluszeiten für die Entwicklung und Bereitstellung von KI- und ML-Algorithmen erhöhen. Unternehmen müssen auch damit rechnen, mehr Geld für die Schulung und Zertifizierung von Praktikern, die Dokumentation von Prozessen sowie für höhere Gehälter für zertifiziertes Personal ausgeben zu müssen (siehe auch den Beitrag: Kritik an Vorschlägen der Datenethikkommission).
6. Bis 2023 werden 40 Prozent der Business-Software-Nutzer in den Unternehmen ihre Anwendungen ähnlich orchestrieren, wie sie es von ihrer Musik- oder Video-Streaming-Plattform her gewohnt sind.
Die Menschen wünschen sich eine digitale Arbeitswelt, die ähnlich komfortabel ist wie ihr privates Umfeld. Am liebsten würden sie sich ihre Anwendungen im Self-Service zusammenstellen, um die als überflüssig empfundene Grenze zwischen privater und beruflicher Benutzererfahrung zu überwinden. Moderne Anwendungen und User Interfaces haben entsprechende Erwartungen an Geschäftsanwendungen erhöht.
"Anwendungen definieren unsere Arbeit", sagt Plummer. Viele Unternehmen hätten das verstanden. Sie designten ihre Anwendungen neu und nutzten Mobile und Cloud-Technologien, um ortsunabhängiges, komfortables Arbeiten zu ermöglichen. "So wie Menschen ihre Streaming-
Erfahrung individuell anpassen, werden sie auch ihre Anwendungswelt auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden."
7. Bis 2023 können bis zu 30 Prozent der Nachrichten und Videoinhalte weltweit durch Blockchain-Technologien authentifiziert werden, so dass es manipulative Fake-News schwerer haben werden.
Gefälschte Nachrichten, die Konsumenten als echte News präsentiert werden, sind eine gesellschaftliche Bedrohung. Sie sorgen für Desinformation und helfen, Propaganda zu verbreiten. Die rasante Verbreitung in den letzten Jahren ging meistens von Bot-gesteuerte Social-Media-Konten aus, denen es gelang, mit den richtigen Techniken und Schlagzeilen rasch Verbreitung zu finden.
Bis 2021, so glaubt Gartner, werden mindestens zehn große Nachrichtendienste und Verlage Lesern via BlockchainBlockchain die Authentizität des von ihnen verbreiteten Contents nachweisen können. IT-Organisationen aus Unternehmen, die sich mit Content-Produktion beschäftigen, sollten sich nach Meinung der Analysten gemeinsam mit den Urhebern der Inhalte intensiv mit der Technologie befassen. Alles zu Blockchain auf CIO.de
Unternehmen stöhnen unter den Kosten des digitalen Umbaus
8. Große Traditionsunternehmen werden in den nächsten beiden Jahren doppelt so hohe Kosten für ihre digitale Transformation hinnehmen müssen wie erwartet. Auch die Umbauarbeiten werden doppelt so lange dauern.
Gartner glaubt, dass sich die Erwartungen vieler Unternehmenslenker, den Umsatz durch digitale Optimierungsstrategien signifikant steigern zu können, nicht erfüllen werden. Ursachen sind die hohen Kosten für die Modernisierung der technischen Infrastruktur sowie eine unerwartete Komplexität, die durch unvorhergesehene Interdependenzen in der betrieblichen Infrastruktur entstehen. Damit werde nicht nur das Tempo des Wandels eingeschränkt, auch die Innovations- und Anpassungsfähigkeit, die für den Betrieb eines digitalen Unternehmens erforderlich sei, komme nur bedingt zustande.
"In den meisten traditionellen Unternehmen ist die Kluft zwischen digitalem Anspruch und Realität groß", beobachtet Plummer. "Wir erwarten, dass die Budgets der CIOs für die IT-Modernisierung bis 2021 jährlich um sieben Prozent steigen werden, um diese Lücke zu schließen."
9. Bis 2023 wird sich zusätzlich zum Internet of Things auch das "Internet of Behavior" etablieren.
Das individuelle Verhalten von Internet-Nutzern wird immer genauer erfasst. Gesichtserkennung, Standortverfolgung und die Analyse großer Datenmengen helfen Unternehmen, das Nutzerverhalten zu durchleuchten und daraus unmittelbare geschäftliche Konsequenzen zu ziehen. Versicherungsgesellschaften machen es bereits vor: Oft können sie Autofahrern bereits Sach- und Unfallversicherungen anbieten, deren Tarife sich am gemessenen Fahrverhalten orientieren.
"Langfristig ist es wahrscheinlich, dass fast jeder, der in einer modernen Gesellschaft lebt, mit einer solchen Form des Internet of Behavior zu tun haben wird", prognostiziert Plummer. Solche Modelle würden an die kulturellen und rechtlichen Normen der bestehenden "prädigitalen Gesellschaften" andocken.
10. Bis 2024 wird die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Online-Shopping als Suchterkrankung einstufen. Millionen Menschen werden den Versuchungen des digitalen Handels nicht widerstehen können und ihre finanziellen Belastungsgrenzen überschreiten.
Mindestens bis 2022 sollen laut Gartner die Konsumausgaben auf digitalen Handelsplattformen alljährlich um mehr als zehn Prozent steigen. Online-Shopping ist ultraeinfach, der nächste Kauf nur einen Klick entfernt. Damit können Millionen Menschen nicht umgehen, zumal die Versuchungen weiter zunehmen werden. Online-Händler nutzen Techniken wie KI und Personalisierung, um Verbraucher noch zielgerichteter anzusprechen und sie zu ermuntern, Geld auszugeben, das sie nicht haben. Die daraus resultierenden Schulden und Privatinsolvenzen werden laut Gartner Depressionen und andere stressbedingte Gesundheitsprobleme verursachen. Das werde die WHO auf den Plan rufen.
Laut Gartner ist dies nicht nur für die Privatkonsumenten selbst relevant. Auch CIOs bekämen es vermehrt mit Suchtkranken zu tun und müssten die Möglichkeit signifikanter Produktivitätsverluste bei Mitarbeitern einkalkulieren. Allzu leicht könnten diese ihre Arbeit beiseitelegen und Schnäppchen jagen oder anderen digitalen Ablenkungen nachzugehen. Plummer schließt nicht aus, dass es in der Folge neue gesetzliche Vorschriften für Einzelhändler geben wird, so dass Kaufsüchtige ähnlich wie Raucher vor den Konsequenzen ihres Verhaltens gewarnt oder gar von Seiten ferngehalten werden müssten.