Japan-Reise
Merkel besucht japanische Wertepartner
Als Angela Merkel an diesem Montagmorgen nach knapp elf Stunden Flug in Tokio aus dem Regierungs-Airbus "Theodor Heuss" steigt, ist vieles anders als bei ihrem vorherigen Japan-Besuch 2015. Zwar sind auch diesmal die akuten internationalen Krisen wieder da - gleich beim ersten Termin mit Ministerpräsident Shinzo Abe werden sie wohl eine Rolle spielen: Die Kündigung des INF-Vertrags mit Russland über atomare Mittelstreckenraketen durch die USA, die unklare Lage in Venezuela. Doch die Bedeutung Japans als Partner für Deutschland dürfte in den vergangenen vier Jahren deutlich gestiegen sein.
Anfang März 2015, als Merkel zuletzt zu einem bilateralen Besuch in Japan war, sah die Welt noch anders aus. Barack Obama saß im Weißen Haus, der Multilateralismus, also dass Staaten ihre nationale Politik abstimmen und den Ausgleich suchen, war der grundsätzlich akzeptierter Ansatz für internationale Krisenlösung. Für Merkel ging es vor allem um die Vorbereitung des anstehenden G7-Gipfels der wichtigsten Industriestaaten im bayerischen Elmau und die Krise in der Ukraine. In der EU drohte das vor der Staatspleite stehende Griechenland damit, Zehntausende Flüchtlinge weiterzuschicken, wenn man Athen in der Schuldenfrage nicht entgegenkomme.
Kräfteverhältnisse verschieben sich
Knapp vier Jahre später haben sich viele Konstanten in der Weltpolitik dramatisch verschoben. In den USA regiert Donald Trump mit seiner Verachtung für internationale Organisationen und den freien Welthandel. China tritt offensiver auf, das Riesenreich strebt selbstbewusst eine stärkere internationale Position an. Und Russland mischt weiter kräftig mit, wenn es darum geht, das weltweite Kräfteverhältnis neu auszutarieren.
Dass sich da wohl etwas ändern könnte im Verhältnis zu Japan, war schon vor dem Abflug der Kanzlerin zu dem anstrengenden Blitz-Trip zu spüren - insgesamt 18.000 Kilometer und 23 Stunden Flug für nicht mal 26 Stunden in Tokio. Beide Länder eine, was man eine Wertepartnerschaft nenne, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Das sind schon außergewöhnlich zugewandte Töne. Man stehe vor ähnlichen Herausforderungen bei demografischem Wandel, Digitalisierung, Veränderung der Arbeitswelt und nachhaltiger Energieversorgung.
Partnerschaft betonen
Vor allem: Berlin und Tokio teilten grundlegende Überzeugungen wie das Bekenntnis zu Multilateralismus, Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und freiem Handel, ist geradezu überschwänglich in der Nähe der Kanzlerin zu hören. Kein Wunder also angesichts des Wandels in der Welt, dass sich Merkel und ihre Berater bei den schwieriger gewordenen weltpolitischen Rahmenbedingungen von dem Besuch ein starkes Signal der Partnerschaft erhoffen.
Multilateralismus, freier Welthandel: Diese Grundprinzipien einen die Deutsche und den Japaner, auch wenn Abe mit Trump öfters beim Golfen war und die USA seit dem Zweiten Weltkrieg wichtigste Schutzmacht Japans sind. Auch beim Streit über das Atomabkommen mit dem Iran stehen Berlin und Tokio Seite an Seite. Es soll erhalten werden, selbst wenn man sich mit der belastenden US-Sanktionspolitik herumschlagen muss.
Japan mit Territorialkonflikten beschäftigt
Für Abe ist das Verhältnis zu Peking und Moskau dabei besonders kniffelig. China ist einerseits größter Handelspartner Japans - im Süd- und Ostchinesischen Meer gibt es aber andauerende Territorialkonflikte. Gleiches gilt für Russland: Zwar spricht man über tiefere Wirtschaftsbeziehungen, aber eine Lösung der Territorialkonflikte zwischen Tokio und Moskau ist nicht absehbar.
Die deutsch-japanischen Beziehungen sind dagegen seit Jahrzehnten gut - zum Teil so gut, dass Langeweile auszubrechen schien. Das hatte sich auch im Reiseplan der Kanzlerin niedergeschlagen: Vor 2015 war Merkel zuletzt 2008 zu einem G8-Gipfel in Japan, damals traf man sich noch mit Russland. Nach China reist Merkel dagegen fast jedes Jahr - für manchen Japaner ein Grund für Neid, denn immerhin ist das Land nach den USA und China die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Pro Freihandelsabkommen
Gerade die wirtschaftliche Bedeutung Japans dürfte ein wesentlicher Grund für eine stärkere Hinwendung der Kanzlerin gen Tokio sein. Sie ist auf der Suche nach Verbündeten für ihre Wirtschaftspolitik des Freihandels. Erst am Freitag ist das seit Jahren verhandelte Freihandelsabkommen der EU mit Japan in Kraft getreten - es ist das bisher größte von der EU geschlossene Abkommen dieser Art. Es soll Märkte mit mehr als 600 Millionen Menschen verbinden und 40 Prozent des Welthandels umfassen. Trump, der mit Freihandel wenig bis nichts anfangen kann, dürfte das Abkommen nicht gerade gelegen kommen.
Am zweiten Tag der Reise stehen für Merkel mit dem schon dritten Treffen mit Kaiser Akihito und einem Gespräch mit Kronprinz Naruhito die protokollarischen Höhepunkte auf dem Programm. Der mit 58 Jahren älteste Sohn Akihitos folgt seinem Vater am 1. Mai auf dem Thron.
Daneben hat sich Merkel wieder eine Reihe von Terminen machen lassen, die ihren Interessen entsprechen und eigentlich bei keiner der längeren Reisen fehlen dürfen. Die Kanzlerin will mit Studenten über die deutsch-japanischen Beziehungen und die Herausforderungen der Zukunft diskutieren. Zum Mittagessen gibt es für die Physikerin Merkel ein Gespräch mit fünf Forschern und einer Forscherin, vor allem aus naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen. Es soll um um Robotik, Krebsforschung und Neurowissenschaften gehen.
Das liegt ganz nah an dem Thema, das Merkel seit langem als Schlüssel zum Erhalt des Wohlstands Zuhause umtreibt: Die Digitalisierung. Auch hier verbindet die Kanzlerin manches mit Abe. Der hat als Priorität für das G20-Treffen im Osaka Ende Juni die Bereiche Industrie 4.0, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und autonomes Fahren ausgegeben. Gut möglich, dass Japan hier ein Verbündeter Deutschlands sein könnte, auch als Alternative zu dem bei der Entwicklung in diesem Themen vorne liegenden China. Und Japan ist immerhin ein Wertepartner. Von China lässt sich das kaum sagen. (dpa/rs)