Wachwechsel bei Siemens
Siemens-Chefaufseher Cromme geht
Er kam und geht in unruhigen Zeiten: Nach fast elf Jahren verabschiedet sich Gerhard Cromme zur Hauptversammlung am Mittwoch (31. Januar) als Chefaufseher von Siemens. Es ist der letzte große Aufsichtsratsposten eines der einst einflussreichsten Manager Deutschlands. Der 74-jährige Cromme hat ihn länger besetzt, als sich manche Investoren das vorgestellt hatten.
Zum Abschied kann er sich dennoch auf freundliche Worte der Anleger einstellen. "Er hinterlässt ein wohlbestelltes Haus", lobt etwa Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Nun gelte es, die Industrie-Ikone Siemens ins Digitalzeitalter zu führen, noch agiler und innovativer zu machen. Diese Aufgabe obliegt nun Crommes designiertem Nachfolger, dem früheren SAP-Co-Chef Jim Hagemann Snabe.
Jim Hagemann Snabe übernimmt Posten von Cromme
Den Aufsichtsratsvorsitz hatte Cromme im April 2007 übernommen, auf dem Höhepunkt des milliardenschweren Schmiergeldskandals bei SiemensSiemens. Nach dem Auffliegen schwarzer Kassen und dubioser Zahlungen in vielen Ländern stand der Elektrokonzern damals nah am Abgrund - vor allem, weil der Ausschluss von Staatsaufträgen in den USA drohte. Top-500-Firmenprofil für Siemens AG
Cromme half maßgeblich, diese Gefahren abzuwenden und wieder Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Der promovierte Jurist holte den Österreicher Peter Löscher als unbelasteten Mann von außen an die Konzernspitze und trieb mit ihm gemeinsam die Aufklärung voran. "Da hat er sicher die größten Verdienste", sagt Aktionärsvertreterin Bergdolt.
Auch Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment bescheinigt dem hochgewachsenen Ex-Manager einen hervorragenden Job: "Siemens hat Herrn Cromme viel zu verdanken, sein Mut zu unbequemen Entscheidungen hat sich ausgezahlt und dem Unternehmen nach der Korruptionsaffäre einen Neustart ermöglicht. Einen solchen Aufsichtsratsvorsitzenden hätte man VW in der Dieselaffäre gewünscht."
Kritik an Cromme
Doch nicht immer gab es so viele warme Worte für Cromme. Als Löscher nach einer Serie von Misserfolgen und einem Machtkampf im Aufsichtsrat im Sommer 2013 seinen Posten räumte und eine Millionen-Abfindung kassierte, trug das auch dem Chefkontrolleur auf dem nachfolgenden Aktionärstreffen viel Kritik ein. Inzwischen ist vom damaligen Führungschaos aber keine Rede mehr, denn Siemens-Chef Joe Kaeser hat die Zügel bei dem Konzern fest in den Händen.
Die Arbeitnehmervertreter im Siemens-Aufsichtsrat wünschen sich von Crommes Nachfolger, dass er wieder deutlicher zum Taktgeber für das Management wird. Gerade in Zeiten, in denen um Konzernumbau und strategische Weiterentwicklung gerungen wird, in denen der Abbau tausender Jobs sowie Werksschließungen in der Kraftwerkssparte drohen, sei ein Chefaufseher wichtig, der die Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern unter einen Hut bringt, heißt es.
Cromme sei ein "Mitbestimmungskapitän" gewesen, der stets auf Augenhöhe mit den Arbeitnehmervertretern sprach und die deutsche Mitbestimmung bei Siemens mit Leben gefüllt habe, sagt Siemens-Aufsichtsrat und IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner. "Jetzt erwarten wir neue Impulse und eine Intensivierung des Aufsichtsratsgeschäfts."
Vor fünf Jahren hatte sich Cromme beim Essener Industriekonzern Thyssenkrupp verabschiedet. Nach zwölf Jahren an der Aufsichtsratsspitze zog sich der Manager damals überraschend aus allen Ämtern zurück. Zuvor war ihm immer wieder vorgeworfen worden, für Fehlentwicklungen wie etwa das Milliarden-Debakel mit Stahlwerken in Brasilien und den USA mitverantwortlich zu sein, die den Ruhrkonzern in eine existenzbedrohende Krise gestürzt hatten.
Eine Mitschuld an dieser Krise wies Cromme in einem Interview des "Handelsblatts" kürzlich zurück: "Ich sehe keine persönliche Verantwortung, aber als Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp konnte ich auch nicht sagen: "Ich habe damit nichts zu tun gehabt." Es war also völlig richtig, dass ich dort aufgehört habe."
Lehrjahre bei Thyssenkrupp
Begonnen hatte seine Karriere beim damaligen Krupp-Konzern zunächst als Chef der Stahlsparte. Schon kurz nach dem Amtsantritt musste er sich 1987 mit Eierwürfen und erbitterten Arbeiterprotesten beim Widerstand gegen die Schließung des Stahlwerks Duisburg-Rheinhausen auseinandersetzen. Später galt Cromme unter anderem als einer der Strippenzieher bei der Fusion von Thyssen und Krupp.
Im Lauf seines Berufslebens lenkte er die Geschicke weiterer wichtiger Unternehmen - als Multi-Aufsichtsrat bei Konzernen wie Lufthansa, Eon, Allianz oder Hochtief etwa und als früherer Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die Grundsätze zur guten Unternehmensführung erarbeitete.
Nach seinem Abschied bei Siemens wendet sich der Wirtschaftslenker, der am 25. Februar 75 Jahre alt wird, jetzt der Start-up-Szene zu - als künftiger Aufsichtsratschef beim Gebrauchtwagen-Spezialisten Auto1, der erst kürzlich eine kräftige Finanzspritze aus Japan bekam. Mit diesem Plan habe er schon "eine gewisse Verwunderung ausgelöst", räumte Cromme im "Handelsblatt" ein: "Irgendwo habe ich gelesen, jetzt sei ich auf meine alten Tage beim Schrotthändler gelandet." (dpa/rs)