Wachsen trotz Krise
So "Microsoft-en" Sie sich durch die Rezession
Die Tech-Welt implodiert: Entlassungen, Einstellungsstopps, Budgetkürzungen und Geschäftszahlen, die hinter den Erwartungen zurückblieben, prägen weite Teile des Jahres 2022. Zwar schwächelt die gesamte Weltwirtschaft - die Technologiebranche aber scheint es besonders hart zu treffen. Das ist zum Teil eventuell auch darauf zurückzuführen, dass in den guten Jahren zu viel gebaut wurde. Fakt ist: Plötzlich wird es eng in der Tech-Welt.
Dabei zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Selbst wenn offiziell eine Rezession eintritt, bedeutete das bislang nicht, dass das auch für die Technologiebranche gilt. Tech-Unternehmen sind selbst inmitten von Rezessionen weitergewachsen, wenn auch langsamer. Werfen Sie etwa einen Blick auf die aktuellen Zahlen der großen Cloud-Anbieter. Das Wachstum hat sich zwar verlangsamt, befindet sich aber weiterhin auf robustem Niveau. Das liegt vor allem daran, dass die Unternehmen weiterhin investieren müssen. Tun sie es nicht, laufen sie Gefahr, zurückzufallen und unter Umständen sogar irreparable Schäden zu erleiden.
Um in diesem Abschwung zu überleben und sogar zu gedeihen, können Sie sich eine Scheibe von Microsoft abschneiden.
Embrace, extend, emphatize
"Embrace, extend, extinguish" ("annehmen, ausbauen, auslöschen") entstammt internen Microsoft-Dokumenten, die das US-Justizministerium während seiner kartellrechtlichen Untersuchung in den 1990er Jahren aufdeckte. Das Motto bezeichnete die unlautere Strategie des Technologiekonzerns, weit verbreitete Industriestandards zu übernehmen, sie um proprietäre Erweiterungen zu ergänzen und dann diese nicht standardisierten "Standards" dazu zu nutzen, um die Konkurrenz auszuschalten. Heutzutage setzt der Windows-Konzern auf eine wesentlich verträglichere, weniger feindliche Version des Mottos - quasi "Embrace, extend, emphatize", also mitfühlen statt verdrängen.
Was Microsoft dabei besonders gut macht: Sie bringen Einfühlungsvermögen für IT-Experten in Unternehmen mit, die in die Cloud wechseln wollen, aber nicht wissen, wie sie das anstellen sollen. Obwohl jedes Cloud-Offering auch Modernisierungsprogramme enthält, die Unternehmen dabei unterstützen, Workflows zu migrieren, scheint man diesen Umstand im Fall von Microsoft wesentlich stärker zu betonen als bei der Konkurrenz.
Das könnte man als defensiv werten (es gibt sicher viele Windows-Shops, die Microsoft lieber in Azure als in Konkurrenz-Clouds sehen würde), es ist aber auch ein kluges Geschäft: Microsoft versucht, die Unternehmen dort abzuholen, wo sie sich befinden (meist noch On-Premises) und sie bei der Umstellung auf die Cloud zu ihren Bedingungen zu unterstützen. Deshalb hebt Microsoft auch immer wieder das Thema Hybrid Cloud hervor. Alle Cloud-Hyperscaler können eine starke Hybrid-Cloud-Story erzählen, aber für Microsoft war das von Anfang an ein zentrales, strategisches Element.
In Boom-Zeiten wäre es vielleicht in Ordnung gewesen, CIOs oder Entwicklern tiefgreifende Änderungen an ihren Anwendungen anzuraten, aber in einer schwächelnden Wirtschaft ist "iterativ" vielleicht der klügere Weg. Denken Sie daran: Die Unternehmen werden weiterhin Geld ausgeben, weil sie es müssen. Wie unser InfoWorld-Kollege David Linthicum argumentiert, ist Cloud Computing für Unternehmen jetzt eine Selbstverständlichkeit, um ihr Geschäft auf die nächste Stufe zu heben. Die Erweiterung durch die Cloud lässt sich jedoch leichter rechtfertigen, wenn es um kleinere, aber dennoch wichtige Schritte in Richtung digitale Transformation geht.
Kein Chance ohne Mitarbeiter
Um das zu erreichen, sollten Sie zunächst bedenken, dass Sie ohne gute Mitarbeiter keine Chance haben, Ihr Unternehmen erfolgreich zu transformieren und zu erweitern. Entlassungen bringen Sie vielleicht näher an die Rentabilität, haben jedoch einen gewichtigen Nachteil, wie eben genannter Kollege unterstreicht:
Wer den Faktor Mensch vernachlässigt, handelt also auf eigene Gefahr. Davon abgesehen: Suchen Sie nach Möglichkeiten, das Neue mit dem Alten zu verbinden. Wie RedMonk-Analyst James Governor kürzlich im Gespräch anmerkte: "Integration ist eine Kardinaltugend für Unternehmen. Betriebe können sich im Allgemeinen nicht den Luxus leisten, eine Umstrukturierung ohne Not vorzunehmen.
In der Regel suchen sie nach Möglichkeiten, bestehende Infrastrukturen und Anwendungen durch neue Alternativen zu ergänzen und zu erweitern." In ein Unternehmen zu gehen und zu verlangen, alles zu ändern, ohne zu respektieren, wie und warum die Architektur so ist, wie sie ist, sei sowohl gefühllos als auch ineffektiv. Es gelte, die Betriebe dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen dabei zu helfen herauszufinden, wie sie trotz und wegen des Abschwungs modernisieren können.
Schaffen Sie Ordnung!
"Trotz der Ratschläge, die Mitarbeiter zu schützen, ist es wahrscheinlich, dass Unternehmen in den Boom-Zeiten zu viele Mitarbeiter eingestellt haben", konstatiert der ehemalige GitHub-CEO Nat Friedman. Dennoch gibt es gute - und wie Elon Musk eindrucksvoll beweist - sehr schlechte Möglichkeiten, Unternehmen zu verkleinern.
Ich habe zwei bedeutende Abschwünge in der Technologiebranche miterlebt und meine Erfahrungen hätten dabei nicht unterschiedlicher sein können:
Zu Zeiten des Dot-Com-Booms arbeitete ich für ein Startup-Unternehmen im Bereich Embedded Linux. Wer diese Zeit nicht selbst erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, wie verrückt es wirklich war. Wir hatten so gut wie keine Einnahmen und waren weit von Rentabilität entfernt - aber unsere Banker wollten uns an die Börse bringen. Die einzige Möglichkeit, eine hohe Bewertung zu erhalten, bestand ihrer Meinung nach darin, uns auf der Grundlage unserer technischen Skills zu bewerten. Leider war es um die nicht allzu gut bestellt. Wenn ich mich richtig erinnere, beschäftigte das Unternehmen damals nur 40 Mitarbeiter, während wir eine Bewertung von über 200 Millionen Dollar anstrebten ("Einhörner" gab es damals noch nicht). Also taten wir, was jedes anständige Dot-Com-Unternehmen tun würde: Wir kauften sechs verschiedene Unternehmen und verzehnfachten unsere Mitarbeiterzahl, sowie unsere technische Basis und unsere Kosten, innerhalb eines Monats. Das funktionierte gut - bis die Dot-Com-Blase platzte und Kapital sowie Kunden verschwanden. Das unrühmliche Ende ließ nicht lange auf sich warten.
Während der Rezession in den Jahren 2007 und 2008 war ich schließlich bei einem späteren Open-Source-Startup - Alfresco - tätig. Der Unterschied: Unser CEO John Powell agierte in dieser Situation äußerst umsichtig. Als ehemaliger COO von Business Objects wusste er, was zu tun ist, um uns profitabel zu halten. Wir haben die Zahl der Mitarbeiter entsprechend dem Umsatzwachstum erhöht und die Ausgaben nach Bedarf gesenkt, um die Rentabilität zu erhalten. Die Wirtschaft lag in Trümmern, aber ich fühlte mich sicher und arbeitete mit meinen Kollegen hart daran, den Erfolg der Kunden trotz der schwierigen Umstände sicherzustellen. Der interne Zusammenhalt hat dem Unternehmen dabei massiv geholfen, während des Abschwungs zu gedeihen.
In Sachen Personalbestand sollten Sie nur reduzieren, wenn es sein muss - dann aber sehr sorgfältig vorgehen. Auch wenn Sie versuchen, nur die "schwachen" Mitarbeiter zu entlassen - die Realität in Unternehmen sieht oft anders aus. Und selbst wenn Ihnen das gelingen sollte: Durch (Massen)Entlassungen entsteht ein toxisches Umfeld, das es wahrscheinlich macht, dass Sie auch die besten Mitarbeiter verlieren, sobald die eine neue Job-Gelegenheit finden.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich behaupte nicht, dass das einfache Entscheidungen sind. Vielmehr möchte ich daran erinnern, dass die beste Strategie während einer Rezession darin besteht, den Menschen zu helfen, schrittweise mehr zu leisten (als Anbieter) und die innovativen Instinkte und Fähigkeiten der Menschen zu schützen (als Arbeitgeber). Erstere Idee schreibe ich Microsoft zu, die zweite geht auf mein Konto. (fm)
feelin' cute, might embrace, extend, extinguish later idk pic.twitter.com/GD1WeVpBUH
— Leon (@lievetraz) September 23, 2019
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation InfoWorld.