Autodidakt oder Troubleshooter
So unterscheiden sich IT-Experten
Wir alle kennen den Nerd als Klischeefigur US-amerikanischer High-School-Filme: Die Jungs sind hochbegabte, aber unsportliche Kerle, die das Gegenstück zu den »Jocks« bildeten, den athletischen, aber stumpfen Footballspielern an der Spitze der Schulhierarchie. Der Nerd bildet dagegen so ziemlich das unterste Glied der sozialen Kette ab – ein eigenbrötlerisches Superhirn, das zähneknirschend und manchmal neidisch vorm Computer hockt und sich täglich als Smalltalk-untauglich erweist. Ein bisschen Kellerkind, kalte Pizza, eine hohe Affinität zu Computerspielen und fertig ist der Nerd als Stereotyp der 80er Jahre-Informationsgesellschaft.
Das Bild in der Gesellschaft hat sich mit zunehmender Durchdringung digitaler Alltagswelten geändert: IT-ler gelten in weiten Teilen der Bevölkerung glücklicherweise nicht länger als Freaks, sondern als technisch versierte Menschen, die viel Wissen in sich tragen, Technologien vorantreiben und damit auch die Fragen unseren Zeit, unserer Gesellschaft beantworten. Nebenbei verdienen sie dabei auch recht gut.
Next Generation Nerds (NGN) gefunden
Arbeitgeber finden ihre besten Mitarbeiter nicht über Stellenbörsen und auch nicht auf Recruiting-Messen. Passende NGNs finden DICH und suchen sich ihre Arbeitgeber selbst aus. In diesem Prozess spielen faires Miteinander im bestehenden Kollegenkreis, flache Hierarchien und eine Geschäftsführung, die den Kontakt zur Basis und zu den Projekten hält, Hauptrollen.
Auch Nachwuchsförderung wie die Bereitstellung von Praktika mit wirklichem Wunsch, Praktikanten und Studierende auch in die Firma zu integrieren, gehören für mich zum HR-Erfolgscocktail. Dies gilt für alle fünf IT-Typen, die ich im Folgenden beschreibe und die, da sind wir uns sicher einig, in ihrer Reinform nur selten vor uns stehen.
Der Autodidakt …
… besticht durch eine extrem hohe Auffassungsgabe. Er erkennt, oft an der Schnittstelle zwischen Hard- und Softwareprojekten eingesetzt, Zusammenhänge und Abhängigkeiten verschiedener Disziplinen sehr schnell und analysiert sie präzise. Gerne im Alleingang arbeiten Autodidakten oft unbeobachtet und sind, früher als Kellerkind-Entwickler belächelt, inzwischen zu gefragten Experten für ihre Unternehmen gereift.
IT-Autodidakten bilden sich aus Eigenantrieb permanent fort, sind äußerst kreativ und suchen Lösungen statt Gründen, warum etwas nicht funktioniert. Mit Vergnügen zeigen sie auch ihre Fähigkeiten als Tüftler, basteln und löten. Sie mögen ein stabiles, berufliches Umfeld, indem sie ihre Fähigkeiten nicht stets neuen Menschen unter Beweis stellen müssen und Freiräume zum eigenständigen Experimentieren nutzen dürfen.
Wenn die letzte Schraube gelötet und die letzte Code-Nuss geknackt ist, schaut er gerne Dr. Who.
Der digitale Halbnomade …
… mag es, sein Zelt bei einem festen Arbeitgeber aufzuschlagen, um von dort aus von Projekt zu Projekt zu reisen. Er ist flexibel, meist familiär ungebunden und neugierig auf andere Menschen, Teams und Unternehmen. Dementsprechend offen und mit Verve geht er auch in seine externen Projekte ein und integriert sich zügig in bestehende interne Strukturen. Ein Leben als Freelancer ist ihm zu anstrengend, weil dies mit Tätigkeiten einhergeht, die ihn von seiner eigentlichen IT-Route abbringen: Steuererklärungen, Krankenkassenaufwand und diese unsägliche Notwendigkeit, die sich Akquise nennt.
Halbnomaden verspüren einen temporären Freiheitsdrang und finden in IT-Beratungshäusern, die Experten anstellen und talentgemäß entsenden, häufig das Beste aus zwei Welten. Als positiven Effekt bilden digitale Halbnomaden mit ihrem kommunikativen Wesen oft die Grundlage für langfristige Kundenbeziehungen.
Am Abend, im Hotelzimmer einer fremden Stadt, läuft bei ihm Tatortreiniger.
Der Troubleshooter …
… sieht sich gerne als Art IT-Superheld, der in Not geratene IT-Projekte rettet. Oder businessmäßig formuliert als Interimsmanager, der für stockende Entwicklungen den Turnaround schafft. Aufgrund des dafür erforderlichen Talentmixes aus Einfühlungsvermögen (keinem Projektbeteiligten auf die Füße treten …) und Abstraktionsvermögen sind sie rar gesät. Der Troubleshooter arbeitet ruhig, zielorientiert, überblickend und mit psychologischem Feingefühl für Teamblockaden. Für Beratungshäuser, die oft hinzugezogen werden, wenn andere das IT-Kind bereits in den Brunnen haben fallen lassen, bildet er das Herzstück so mancher Taskforce.
Nach erfolgreicher Projektrettung entspannt er mit Better call Saul.
Der Cyberkriminalist …
… ist ein relativ junger, aber rasant wachsender Nachwuchs im IT-Job-Universum. Sozusagen das spezialisierte Nesthäkchen, das aus meiner Warte jedoch zukünftig in jedem Beratungsunternehmen Platz finden muss. Der Cyberkriminalist hat ein feines Näschen für Schwachstellen in IT-Strukturen, kennt DSGVO, IT-SiG und KRITIS aus dem Effeff und spürt eine Leidenschaft für Ethical Hacking. Je umfangreicher Cyberangriffe und Datenschutzfragen den Mittelstand durchdringen, desto erwachsener wird dieser IT-Typ, und desto unverzichtbarer auch.
Seine Cyberneugier stillt er mit Mr. Robot.
Der Tausendsassa …
… ist klassischerweise Quereinsteiger mit jahrelanger Berufserfahrung. Die heutigen Berufs- und Studienfelder, beispielweise aus den MINT-Bereichen, lassen IT-Nachwuchs viel Raum für anschließende Tätigkeiten. So entstehen Patchwork-Lebensläufe, in denen der Wirtschaftsinformatiker nach dem Abschluss vielleicht auch erstmal als Lehrer arbeitet, bevor ihn sein Weg zurück in die IT-Welt führt. Jeder besetzte Nebenschauplatz eines Tausendsassas hält wichtige Kenntnisse und Erfahrungen bereit, die sich später im Beratungs- und Projektumfeld als wertvoll herausstellen.
Diese Spezies hatte im Berufsleben schon mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun und weiß, dass IT-Begriffe und deren Zusammenhänge nicht selbsterklärend sind. Ergo kann er komplexe Sachverhalte verständlich erklären und nimmt sich dafür auch Zeit. Er ist von all den erwähnten NGNs am weitesten vom Urspungs-Nerd entfernt, hat zumeist Familie und Hobbies, die gänzlich ohne Strom auskommen!
Thematisch breit aufgestellt, lässt er doch eine verstärkte TV-Liebe für Big Bang Theorie erkennen.