Neue Arbeitsweisen
Veränderungen lassen sich nicht verordnen
Herr Böhnke, als Managing und Group Director bei Fjord Deutschland, der Design- und Innovationsagentur von Accenture Interactive, sind Sie mit der Implementierung neuer Arbeitsweisen befasst. Unternehmen haben damit Schwierigkeiten. Was sind die die größten Hürden?
Chris Böhnke: Auch wenn sich in den letzten Jahren schon einiges verändert hat, sind viele klassische Unternehmen immer noch sehr hierarchisch organisiert, sozusagen das Äquivalent zur Fabrik des 20. Jahrhunderts. Es gibt klare Befehle, Anreize und Sanktionen sowie eine strikte Hierarchie. Diese Art der Organisation hat lange Zeit hervorragend funktioniert, weil sie zu den Rahmenbedingungen passte. Und sie hat auch heute noch ihre Berechtigung.
Aber sobald Unternehmen auf Veränderung reagieren und schnelle Entscheidungen treffen müssen, greift der Ansatz zu kurz - und vor allem entsteht interner Widerstand. Führungskräfte wie Mitarbeitende müssen sich erst an neue Arten des Denkens, Arbeitens und Entscheidens gewöhnen. Davon kann sich niemand freimachen.
Welchen Einfluss haben neue Arbeitsweisen auf die interne Zusammenarbeit, aber auch die mit den Kunden?
Böhnke: Das kommt ganz drauf an. Ich habe schon oft beobachtet, dass in Firmen plötzlich die Geschäftsführung ankam und neue ArbeitsweisenArbeitsweisen quasi von oben verordnet hat. Ein gutes Beispiel ist Design Thinking, eine sehr nützliche Methode, die wir seit vielen Jahren anwenden, die aber ganz oft einfach missverstanden oder falsch eingesetzt wird. Auf diese Weise - nach dem Motto "Wir führen da mal schnell eine neue Methode ein" - können neue Arbeitsweisen nicht wirklich Potenzial entfalten, sie sorgen eher für Verunsicherung. Alles zu Personalführung auf CIO.de
Wie gehen Sie vor?
Böhnke: Wir erarbeiten als Business Designer gemeinsam mit unseren Kunden die Methoden und Arbeitsweisen, die zu ihren Herausforderungen passen. Dabei beantworten wir gemeinsam Fragen wie zum Beispiel: Wie entwickle ich gute Services für meine Kunden? Wenn man das geschickt anstellt, wandeln sich dadurch im Idealfall die gesamte Organisation, die Beziehung zu den Kunden, die Verantwortungsübernahme durch die Mitarbeitenden und die Wertschöpfung im Unternehmen. Diese Form der Zusammenarbeit setzt neue Energie frei: Die Beschäftigten fühlen sich produktiver und zufriedener, die Führungskräfte werden entlastet, die Kunden spüren, dass ihre Probleme ernst genommen werden und sie im Mittelpunkt des Handelns stehen.
Als Business Designer haben Sie einen anderen Blickwinkel auf die Arbeits- und Organisationskultur als die Manager eines Unternehmens. Wie lassen sich aus Ihrer Sicht neue Methoden und Denkweisen im Arbeitsalltag etablieren?
Böhnke: Das Wichtigste aus meiner Erfahrung ist: flexibel bleiben. Wir arbeiten oft mit der Teal-Organisation des Wirtschaftsphilosophen Laloux: Er beschreibt damit eine Unternehmensform, die sich wie ein lebender Organismus ständig weiterentwickelt und sich an jede neue Umgebung anpasst. Das ist deswegen so aktuell, weil Unternehmen viel stärker als früher nach grundlegenden und bahnbrechenden Lösungen suchen müssen, um erfolgreich zu bleiben.
Wir als Designer organisieren uns so. Aber auch dieses Konzept kann man nicht einfach auf eine bestehende Organisation aufsetzen, sondern man muss bei den Menschen im Unternehmen beginnen: Welche Ziele setzen sie sich? Was brauchen sie, um erfolgreich zu sein? Wie kann man die Zusammenarbeit neu organisieren? Diese Fragen zu beantworten und in Aktionen zu übersetzen ist alles andere als einfach, weil es für jede Einzelne und für die Gesamtorganisation eine Menge Veränderung bedeutet und viel Kommunikation erfordert. Ich denke aber, wer diesen Prozess sensibel moderiert, hat große Chancen, die für die Organisation passenden Methoden einzuführen - und zugleich die Mitarbeitenden für sich zu gewinnen. Das ist am Ende auch entscheidend.
Wie können aber Unternehmen feststellen, welche Veränderungen zu ihren Mitarbeitern passen?
Böhnke: Am besten über den direkten Weg. Unternehmen müssen ihre Leute fragen. Jeder Betrieb ist ein Unikat und besteht aus unterschiedlichen Menschen mit den verschiedensten Begabungen, Interessen, Bedürfnissen und Rollen. Es wäre also großer Zufall, wenn exakt dasselbe Modell zu zwei Unternehmen gleichzeitig passen würde. Soll heißen: Stellen Sie die richtigen Fragen, nehmen Sie Ihre Mitarbeitenden mit auf die Reise und geben Sie Ihnen Raum, Veränderung selbst mitzugestalten. Wir arbeiten dazu mit mehrtägigen Workshops, in denen wir ein Bild der Organisation und der Rolle der einzelnen Mitglieder zeichnen: Sind sie autonom? Können sie sich schnell anpassen? Haben sie die erforderlichen Fähigkeiten für die aktuellen Herausforderungen? All das immer im engen Dialog.
Welche neuen Formen der Arbeit werden von Mitarbeitern besonders geschätzt?
Böhnke: Auch das lässt sich schwer für alle beantworten. Meiner Erfahrung nach engagieren sich Menschen stärker für ihre Aufgaben und Ziele, wenn sie die Verantwortung dafür tragen, wenn sie nicht einfach stur Befehle empfangen müssen und ihnen ständig ein Micro-Manager auf die Finger schaut. Sie wollen in die Definition ihrer Ziele mit eingebunden werden, den gemeinsamen Arbeitsalltag mitgestalten und eigenverantwortlich mithilfe ihrer Kompetenzen Probleme lösen. Sie wünschen sich Vertrauen und Transparenz. Auch wie, wo und wann man arbeitet, sollte die oder der Einzelne selbst entscheiden dürfen - das hat sich nicht zuletzt im vergangenen Jahr gezeigt.
Viele Mitarbeitende brauchen zwar den direkten, persönlichen Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen - wollen aber gleichzeitig freier bestimmen, wann und wie sie ihre Arbeit machen. In einem Satz: Die meisten Menschen wünschen sich vor allem Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit. Führungskräften fällt es oft noch ein bisschen schwer, das zuzulassen. Das ist menschlich, aber ich sehe hier schon große Fortschritte.
Warum sind mehr Zusammenhalt und Gleichberechtigung innerhalb eines Teams wichtig?
Böhnke: Aus der Sicht des Einzelnen: Wenn ich dezentral autonom entscheiden kann, bin ich produktiver und kreativer. Das gilt umso mehr, wenn ich meinen Platz als Teil des größeren Ganzen kenne. Aus Sicht der Organisation kann ich oft erst in einer solchen Konstellation spannende neue Produkte oder Services entwickeln, die meine Kunden wirklich faszinieren. Soll heißen: Gleichberechtigte Teams ohne größere Hierarchien ermöglichen meist für alle Beteiligten bessere Ergebnisse.
Nur ein Beispiel: Die meisten Unternehmen konzentrieren sich immer noch auf feste Positionen mit einem Titel, wenn sie ein Team zusammenstellen. Besser wäre es, Teams flexibel je nach Herausforderung anhand ihrer Fähigkeiten zu formen. Firmen sollten also kompetenzbasiert planen: Wer kann welche Kompetenz einbringen und welche Möglichkeiten gibt es, seine Stärken zu nutzen? Auch das ist Gleichberechtigung und fördert den Zusammenhalt im Team.
- 9 Gründe, weshalb agile Unternehmen ihr Business und Krisen besser meistern
Agile Methoden haben in vielen Unternehmen zwar schon Einzug gehalten, meist aber nur in Einzelbereichen wie zum Beispiel der IT. Eine Studie der Technologieberatung BearingPoint zeigt jedoch, dass Unternehmen mit einer durchgängig agilen Organisation sowie in der Unternehmenskultur verankertem agilen Mindset den Alltag und Krisen schneller und besser meistern. Gute Gründe für mehr Agilität. - Vereinfachte Prozesse
Agile Organisationen zeichnen sich durch hohe End-to-End-Prozessverantwortung, schlanke Prozesse, hohe Prozessautomatisierung und -standardisierung aus. Je leichtgewichtiger und standardisierter Prozesse sind, umso kosteneffizienter können Organisationen agieren. - Vereinfachte Steuerungslogik
Organisationen, die in Abhängigkeit von Prioritätsänderungen flexibler steuern können, sind in Krisenzeiten besser in der Lage, schnell auf geänderte Parameter zu reagieren. - Vereinfachte Organisationsstruktur
Agile Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass anhand der Wertschöpfungskette durchgängig verantwortliche, autonome und cross-funktionale Teams aufgebaut und Abteilungsgrenzen aufgelöst werden. In Krisenzeiten profitieren agile Organisationen durch bessere Zusammenarbeit über Teams, Abteilungen oder Business Units hinweg. - Höherer Innovationsgrad
Interdisziplinäre Teams wirken als Brutkasten für innovative Ideen und Ansätze. Außerdem verfügen agile Organisationen öfter über offene Ökosysteme und profitieren in Krisenzeiten von diesem Netzwerk. - Schnelle Reaktionsfähigkeit
Es gilt, die Krise als Chance zu sehen und Änderungen willkommen zu heißen. Strukturen und Prozesse wie agiles Portfolio Management oder Objektive and Key Results helfen kontinuierlich neu zu bewerten. Agile Organisationen arbeiten iterativ mit vielen Feedback-Schleifen und das ständige Hinterfragen und Reagieren auf Änderung ist Teil ihrer DNA. - Kundennähe und Kundenzentriertheit
Gerade in Krisenzeiten muss den Kundenbedürfnissen entsprechend noch zielgerichteter agiert werden. Schnelles Feedback ist hier extrem wertvoll. Als Organisation muss bewusst auch mit Teilprodukten auf den Markt zu gegangen werden, um etwaige Kundenwünsche oder Adaptionen früh genug berücksichtigen zu können. - Hohe Selbstorganisation und Teamwork
Teams, die es gewohnt sind, auch selbst Entscheidungen zu treffen, sind in Krisenzeiten flexibler und besser vorbereitet. Organisationen, deren Management sehr stark auf Selbstorganisation setzt und Entscheidungsbefugnisse weitgehend an die agilen Teams delegiert haben, sind schneller, was auch in Krisenzeiten ein immenser Vorteil ist. - Neuer Leadership-Stil
Führungskräfte sind in Krisenzeiten besonders gefordert und profitieren von Skills, die für agile Organisationen typisch sind. Eine starke und offene Kommunikation kann Sorgen und Unsicherheiten ausräumen und psychologische Sicherheit vermitteln. Führungskräfte, denen es gelingt, eine nachhaltige Fehlerkultur zu etablieren, fördern nicht nur das kontinuierliche Lernen, sondern sorgen auch dafür, dass Mitarbeiter bereit sind, Entscheidungen und Risiken zu treffen. - Technologie-Führerschaft
Agile Organisationen zeichnen sich durch eine Technologieführerschaft und den Einsatz moderner State-of-the-Art-Technologien aus. Organisationen, die bereits vor der Krise begonnen haben, ihre Kernsysteme auf eine Micro-Service-Architektur mit losen gekoppelten Services umzubauen und den Einsatz von Continuous-Integration-Systemen forciert haben, sind in der Lage, schneller und unabhängiger zu produzieren und kontinuierlich Releases zu veröffentlichen.
Welche Ebenen sollte ein Unternehmen genau betrachten, wenn es eine neue Arbeitskultur etablieren möchte und welche Rolle spielt dabei Kommunikation?
Böhnke: Ich würde immer beim Individuum ansetzen, da aber nicht Halt machen. Die Individuen sind Teil eines Teams, das Team Teil des Unternehmens, all diese Ebenen sollte man bedenken, wenn man über Arbeits- und Unternehmenskultur nachdenkt. Und nicht zu vergessen: Wir sind menschliche Wesen und brauchen in der Gemeinschaft auch gewisse Rituale. Viele erfolgreiche Teams reflektieren ihre Zusammenarbeit oder ihre Erfahrungen regelmäßig in Retrospektiven oder sie teilen auf Demo Days spannende Projektergebnisse. Kommunikation und enger Austausch zwischen allen Beteiligten ist also enorm wichtig, sonst kann ein solcher Prozess gar nicht gelingen.
Warum lässt sich mit der bloßen Reorganisation von Unternehmensstrukturen keine echte Veränderung der Arbeitskultur erreichen?
Böhnke: Ich denke, viele Führungskräfte hören von einer neuen erfolgreichen Methode, sind begeistert und sagen dann: Das machen wir ganz genau so! Vielleicht auch in dem falschen Glauben, dass man ein modernes Unternehmen wie mit einer physikalischen Formel steuern kann. Das ist natürlich gefährlich. Eine neue Kultur lässt sich nicht verordnen, nicht über Tools oder Befehle, nicht mit E-Mails, nicht in virtuellen Meetings, Checklisten oder Prozessbeschreibungen. Kultur entwickelt sich aus allem, was jeder einzelne Mensch jeden Tag im Unternehmen tut. Ich muss also bei den Mitarbeitenden ansetzen, wenn ich wirklich etwas verändern will. Und ich muss ergebnisoffen vorgehen, wenn ich die Organisation autonom ihren Weg finden lasse.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Böhnke: Wir haben die Abteilung für regulatorische Angelegenheiten bei einem weltweit führenden Pharmaunternehmen dabei begleitet, eine neue Arbeitsweise zu finden - und das in vier Phasen: Im ersten Schritt haben wir die Teammitglieder im Arbeitsalltag beobachtet und Interviews mit ihnen geführt - was wichtig war, weil wir so mehr über ihre Denkweisen, Überzeugungen, Motive, Pain Points erfahren konnten. All das haben wir in Phase zwei analysiert und in Rollenbeschreibungen überführt, um die wichtigsten Bedürfnisse und Verhaltensweisen für alle verständlich zu kommunizieren.
Wichtigster Teil war die Co-Kreation, also gemeinsame Sitzungen mit dem Kundenteam, in denen wir konstruktive Diskussionen initiiert und Ideen gesammelt haben. Letztlich, und das ist entscheidend, haben aber nicht wir entschieden, worauf sich das Team konzentrieren sollte, sondern die Mitarbeitenden selbst. Am Ende ist daraus eine Roadmap für die Umsetzung entstanden. Das Ergebnis: Das Team arbeitet völlig anders, ist aber rundum zufrieden. In der Form hätten das viele der Beteiligten am Anfang nicht für möglich gehalten.
Sie sind der Meinung, dass ohne intrinsische Motivation der Mitarbeitenden Projekte nur langsam vorankommen oder scheitern können. Mit welchen Methoden lässt sie sich steigern?
Böhnke: Natürlich, es bedarf einer intrinsischen Motivation. Die reine Aussicht auf Geld oder Beförderung mag kurzfristig motivieren, langfristig führt sie aber oft zu einer Entfremdung von der eigenen Arbeit. Intrinsisch motivierte Angestellte engagieren sich, weil sie hinter den übergeordneten Zielen des Unternehmens stehen. Förderlich für die intrinsische Motivation sind beispielsweise Methoden aus Transition Design, Cultural Transformation und Brand Strategy. Sie unterstützen dabei, das gemeinsame Ziel zu entwickeln und eine neue Vision des Unternehmens zum Leben zu erwecken.
- Wie Führungskräfte motivieren
Mitarbeitermotivation bedeutet nicht nur, materielle Anreize für erbrachte Leistungen in Aussicht zu stellen. Eine langfristige Produktivität und Zufriedenheit der Beschäftigten fußt vielmehr auf einer starken intrinsischen Motivation der Beschäftigten durch die Führungskräfte. - Sinnhaftigkeit des Unternehmens vermitteln
Was ist der Sinn des eigenen Unternehmens und warum gibt es den Betrieb? Auf diese Fragen eine befriedigende Antworte zu geben, schafft Sinnhaftigkeit bei allen Beschäftigten. - Sinnlosigkeit vermeiden
Damit Mitarbeiter bis in die Haarspitzen motiviert sind, müssen Führungskräfte darauf achten, dass ihnen der Sinn nicht genommen wird. Da Sinn eine subjektive Einstellung ist, kann eine Führungskraft ihn nicht direkt übertragen. Ein Vorgesetzter kann aber sehr wohl direkt dazu beitragen, eine Tätigkeit als nicht mehr erfüllend oder sinnlos zu erleben. - Sinnstiftende Mitarbeiterführung
"Sinn ist immer subjektiv, er entsteht aus unseren Beziehungen zu anderen Menschen, zu bestimmten Dingen, zu unserem Tun", sagt Reinhold Messner. Daher ist es Aufgabe der Führungskraft, Mitarbeiter dabei zu helfen, Sinn zu finden. Die Identifikation mit der Tätigkeit wird dadurch gestärkt. - Auf allen Ebenen motivieren
Wer Mitarbeitermotivation möchte, muss Sinn stiften. Dieser Grundsatz darf aber nicht nur für einzelne Führungskräfte im Unternehmen gelten. In der DNA des Betriebs ist dieser Ansatz auf jeder Organisationsebene zu verankern. - Für Selbstbestimmung und Autonomie sorgen
Selbstbestimmung und Autonomie sind zentrale Faktoren für intrinsische Motivation.