Zeit für einen Aufbruch
Warum eine "neue Schule der IT" her muss
Eine neue Schule der IT will Volker GruhnVolker Gruhn, Aufsichtsratsvorsitzender der Dortmunder adesso SE und Lehrstuhlinhaber für Software-Engineering an der Universität Duisburg-Essen, ins Leben rufen. Ziel müsse es sein, dass IT-Organisationen zu Sparrings-Partnern des Business werden, um gemeinsam digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. "IT ist längst die Quelle für Innovationen, der Gestalter neuer Geschäftsmodelle und Garant für Umsatzströme", sagt Gruhn. Jetzt müsse allerdings auch der Umzug "vom Keller ins Management-Board" stattfinden. Profil von Volker Gruhn im CIO-Netzwerk
In dem Konzeptpapier New School of IT schreiben Gruhn und seine Kolleginnen und Kollegen, worauf es ankommt, damit die IT ihre neue Rolle einnehmen und darin eine möglichst große Schlagkraft erreichen kann. Demnach sollte die Aufmerksamkeit auf drei Handlungsfelder gerichtet werden:
eine "ambidextrische" Haltung
Cloud-Native-Denken und
Data Mindedness
CIO und CDO arbeiten Hand in Hand
Die Ambidextrous Attitude meint einen neuen Anspruch der IT-Rolle im Unternehmen: Es geht nicht mehr nur darum, den Laden am Laufen zu halten - bei möglichst geringen Kosten. Die IT muss zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle beitragen und dafür den wichtigsten Rohstoff im Unternehmen bearbeiten: die Daten. Das können zum Beispiel Kunden-, Maschinen- und Umweltdaten sein, strukturiert und unstrukturiert. Der Umgang mit Daten wird zur absoluten Kernkompetenz und ist immer dann gefordert, wenn Unternehmen Entscheidungen treffen müssen.
Einer "IT der zwei Geschwindigkeiten" (bimodale IT) erteilt Adesso eine klare Absage. Ambidextrie bedeute beidhändiges Arbeiten und betone das Gemeinsame, nicht das Trennende. Es gehe darum, eine robuste, resiliente und innovative IT aufzubauen, die Kreativität und Innovation mit sorgfältigem, kosteneffizientem Handwerk zusammenführe. Zwei Rollen sind dafür entscheidend: der Chief Information Officer (CIO) und der Chief Digital Officer (CDO).
Der CIO sitzt an den Datenquellen
Den CIO auf den Betrieb der Business-Anwendungen zu reduzieren, greift dabei zu kurz, denn er sitzt im Zeitalter von künstlicher Intelligenz und Machine Learning mit seinem Team an den Datenquellen, was ihm zu einer absolut strategischen Position verhilft. Daten sammeln, sichten, aufbereiten und neue Datenquellen erschließen sind Kernaufgaben, für die der CIO mit seinem "Exploit-Team" eine Schlüsselrolle einnimmt.
Der CDO indes kümmert sich um die datengetriebenen Geschäftsmodelle. Er steht dem "Explore-Team" vor und beschäftigt sich mit den Chancen, die Technologien eröffnen. Als Newcomer in dieser Rolle steht der CDO zunächst in der Regel vor einigen Hürden: Er muss seinen Verantwortungsbereich erst noch definieren, ein Team aufbauen und sein Budget sinnvoll einsetzen. Seine Aufgabe besteht darin, Wertschöpfung zu liefern - das ist es, woran das Management ihn misst.
Fortschritte werden Unternehmen nur machen, wenn CIO und CDO Hand in Hand arbeiten - Adesso spricht in dem Fall von einer ambidextrischen Organisation, in der CIO und CDO datengetriebene Geschäftsmodelle umsetzen, die auf einer effizienten und flexiblen IT aufbauen. Das alles klingt plausibel und einfach, doch Komplexität entsteht dadurch, dass neue Geschäftsmodelle, Produkt- und Serviceinnovationen auch das Verständnis der Fachseite brauchen.
Ohne die Fachseite geht es nicht
"Es genügt nicht, die Wahrscheinlichkeit von Maschinenausfällen zu prognostizieren. Die Servicetechniker benötigen auch die richtigen Informationen über mögliche Probleme, um die richtigen Werkzeuge einzupacken. Fehlt diese Perspektive der Fachlichkeit in Projekten oder ist sie unterrepräsentiert, werden aus technischen Innovationen keine Wettbewerbsvorteile", heißt es in der New School of IT.
Im Gegenzug brauchen auch die Fachexperten das Wissen der ITler, um ihre Herausforderungen zu bewältigen. Auf sich allein gestellt, werden sie Insellösungen schaffen oder auf falsche Technologien setzen. Deshalb reden die Adesso-Autoren einer "Ambidextrie der Stufe 2" das Wort, in der fachliche und IT-Kompetenzen nach verschiedenen Modellen zusammengeführt werden. Das geschieht, indem Fachabteilungen und Teile der IT-Organisation zu einer festen oder temporär kooperierenden Einheit verschmolzen werden. KPIs und einheitliche Berichtswege sorgen dann dafür, dass alle einem gemeinsamen Ziel folgen.
Es braucht einen Cloud-Plan für jede Anwendung
Das zweite große Handlungsfeld ist das Cloud Native Thinking. Da die Cloud der Dreh- und Angelpunkt für das Entwickeln, Ausliefern und Betreiben von Anwendungen geworden ist, brauchen Unternehmen eine Infrastruktur und Softwareentwicklung, die von Beginn an auf die Möglichkeiten der Cloud setzt.
Voraussetzung ist allerdings zunächst die intensive Beschäftigung mit der IT-Strategie, der dann das Erarbeiten einer Cloud- und schließlich einer Migrationsstrategie folgt. Es gilt, die Details der vorhandenen IT-Landschaft zu verstehen und sich einen Überblick über die genutzten Anwendungen zu verschaffen. Dazu analysieren die Verantwortlichen ihre Entwicklungs- und Betriebsprozesse und bewerten zudem ihre Systeme nach dem Erfolgsbeitrag für das Unternehmen.
Diese Bestandsaufnahme ist wichtig, bildet sie doch das Fundament für den nächsten Schritt: das Erarbeiten eines Cloud-Plans für die einzelnen Applikationen. Die Bandbreite der Optionen reicht von Lift & Shift für Legacy-Anwendungen mit geringem betrieblichen Aufwand bis hin zu Cloud Native für strategisch wichtige Anwendungen, die Containertechnologien nutzen und modernen Architekturkonzepten wie Microservices folgen. Hier entwickeln und betreiben Unternehmen Anwendungen direkt in der Cloud und für die Cloud. Je nach Anforderungen hinsichtlich Datenschutz, Verfügbarkeit und Kosten wählen die Beteiligten für jede Anwendung die passende Cloud-Form aus.
Zwischen Lift & Shift und Cloud Native gibt es weitere Abstufungen, die einzelne Elemente der beiden Varianten kombinieren. So entsteht, Schritt für Schritt und Anwendung für Anwendung, eine optimierte IT-Landschaft in der Cloud. Deren Betrieb und das kontinuierliche Verbessern schließen den Prozess ab. Dazu gehört das Überwachen der Lauf- und Leistungsfähigkeit sowie die ständige Überprüfung, ob neue Technologien das eigene Cloud-Portfolio verbessern könnten.
Daten im Zentrum von Organisation und Prozessen
Der dritte erfolgskritische Schritt im digitalen Umbau betrifft die Daten, Adesso spricht von "Data Mindedness". Hintergrund ist, dass Daten die Grundlage für Machine-Learning- und KI-Anwendungen bilden, mit denen Unternehmen Zusammenhänge erkennen und Entwicklungen prognostizieren wollen - in einem Detaillierungsgrad und einer Genauigkeit, die bisher unerreichbar schien. Anwendungen für Predictive Maintenance, Spracherkennung oder die Vorhersage von Materialeigenschaften zeigen die Richtung an.
Viele Unternehmen stehen hier noch am Anfang, und die Herausforderung ist gewaltig: Es gilt, Daten ins Zentrum von Organisation, Prozessen und Zuständigkeiten zu stellen. Verantwortliche müssen datengetriebenen Abläufe gestalten und designen. Alle Abteilungen müssen ihr Augenmerk darauf richten herauszufinden, welches Wissen und Potenzial in Daten steckt. Das Thema darf nicht in die IT-Abteilung abgeschoben werden.
Services und Geschäftsmodelle sind auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden oder zu beschaffenden Daten zu denken. Dazu braucht es in den meisten Firmen einen kulturellen Wandel sowie einen alternativen Umgang mit Daten. Daten und die aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse sind in einen Knowledge-Management-Prozess einzubinden - und Daten dürfen/sollen geteilt werden. Damit wird Data Mindedness zu einer der zentralen Kompetenzen für Unternehmen.
Doch das geschieht nicht einfach so. Data Mindedness ist eine Frage von technischem Verständnis, organisatorischen Rahmenbedingungen und der richtigen Haltung der Beteiligten. Alle müssen ein Gefühl für das Potenzial und die Bedeutung von Daten entwickeln. Um das besser abschätzen zu können, hilft ein Blick auf den Wert von Daten und auf potenzielle Formen der Zusammenarbeit rund um Daten.
Datenökosysteme werden das Wachstum treiben
Bislang ist es in den meisten Unternehmen so, dass Daten das Bestandsgeschäft unterstützen. Sie werden erhoben, intern genutzt - und der IT-Betrieb kümmert sich drum. In Zukunft wird es aber so sein, dass Datenökosysteme das Wachstum vorantreiben werden. Dabei spielt das Einbinden von Partnern, Kunden, Lieferanten oder externen Quellen eine wichtige Rolle, eine gemeinsame Datenplattform ist die Quelle für neue Wertschöpfung. Sie ist ein Konglomerat aus verschiedenen Technologien, Prozessen und Funktionen, die die Arbeit mit Daten im Unternehmen ermöglichen. Die Plattform beschreibt das Anordnen und Verzahnen von Abläufen, damit am Ende neue, datenbasierte Services oder Angebote entstehen.
Wollen Verantwortliche eine solche Plattform aufbauen, neigen sie oft zu zwei Extremen: Sie bedenken alle Eventualitäten im Vorfeld, bereiten sich von langer Hand vor und nach zahlreichen Abstimmungsrunden und Jahren der Planung ist die Datenplattform dann - mehr recht als schlecht - einsatzbereit. Diesem Over-Engineering steht das Arbeiten mit überhastet aufgesetzten Insellösungen konträr gegenüber: Dem ersten datengetriebenen Anwendungsfall folgt hier ein zweiter, dann ein dritter. Für jedes Projekt zapfen die Beteiligten neue Datenquellen an, designen Abläufe und nutzen andere Datenformate.
Der erste Ansatz birgt die Gefahr, dass die Experten ein Konzept im akademischen Elfenbeinturm entwickeln, eine Plattform, die vermeintlich auf jeden erdenklichen Fall vorbereitet ist. Allerdings braucht es Jahre, bevor sie funktioniert und im Praxiseinsatz zeigen sich immer noch viele Detailprobleme, weil die Beteiligten nie alle Ausnahmen und Besonderheiten vorhersehen können. Der zweite Ansatz konzentriert sich zu stark auf die operative Ebene und lässt die Strategie außer Acht. Schnelle Erfolge erkaufen sich Unternehmen mit einem Flickenteppich von Einzelmaßnahmen. Das mag in ausgewählten Anwendungsfällen funktionieren, aber nicht im großen Maßstab.
Beim Aufbau einer Datenplattform ist der Mittelweg der richtige. Unternehmen müssen das große Ganze vor Augen haben und in diesem Rahmen einzelne Projekte umsetzen. Der Aufbau einer Datenplattform ist ein dauerhafter, agiler und iterativer Prozess. Jedes einzelne Projekt zahlt auf die Weiterentwicklung der gesamten Plattform ein. So bauen Unternehmen Schritt für Schritt eine Datenplattform - einer der zentralen Bausteine der Data Mindedness - auf. Ein systematisches, langfristiges Vorgehen sorgt dafür, dass aus Ideen und Möglichkeiten Anwendungen und Wertschöpfung werden.