Ein Beispiel aus dem Fußball
Warum Zielvereinbarungen nicht funktionieren
- Individuelle Ziele so zu formulieren, dass sie keine Fehlsteuerungen verursachen, ist schwierig
- Wenn Menschen sich zu sehr auf ihre Ziele fokussieren, geht ihnen irgendwann der Blick für das große Ganze verloren
- Ziele sind letztendlich ein Misstrauensvotum: Man hält Mitarbeitern ein Stöckchen hin, über das sie springen sollen. Danach gibt's ein Goodie.
Na klar: Individuelle Zielvereinbarungen sollen dazu dienen, MitarbeitendeMitarbeitende zu motivieren und zu binden. Unternehmen hoffen auf bessere Leistungen der Beschäftigten, das soll am Ende dem gesamten Betrieb zugutekommen. Die jeweiligen Einzelziele müssen die strategischen und sinnvollen Unternehmensziele unterstützen, postulieren die Theoretiker und setzen damit voraus, dass diese ausformuliert für jeden Beschäftigten vorliegen. Alles zu Personalführung auf CIO.de
Also werden HR-Abteilungen für viel Geld beauftragt, einen Performance-Management-Prozess anzustoßen. Vorgesetzte setzen sich in diesem Rahmen mit ihren Beschäftigten jährlich oder neuerdings eher quartalsweise zusammen und vereinbaren
verhaltensbezogene,
aufgabenbezogene und
entwicklungsbezogene Ziele.
Diese Praxis, die schon in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom zweifellos großen Ökonomen Peter Drucker vorgeschlagen wurde, ist heute nahezu unumstritten. Offenbar macht sich niemand die Mühe zu überprüfen, ob sie überhaupt funktioniert. Ich wage die These, dass die wenigsten Zielvereinbarungen sinnvoll sind.
Ein Beispiel aus der Welt des Fußballs
Wählen wir, um die Problematik - zugegeben, ein wenig überzeichnet - zu veranschaulichen, als fiktives Beispiel die deutsche Fußballnationalmannschaft. Der Bundestrainer bespricht mit seinem Torjäger, nennen wir ihn in guter Tradition Müller, seine individuellen Jahresziele, die selbstverständlich bestmöglich auf die Gesamtziele des Teams und damit auf die des DFB einzahlen. Je mehr Ziele Müller erreicht, desto sicherer gelangt Fußball-Deutschland an seine Ziele und umso höher fällt der Bonus des Spielers aus.
Trainer und Stürmer sind sich einig, dass Müller mithilfe seiner Zielvereinbarungen einige Schwächen beseitigen und einen möglichst wertvollen Beitrag für das Team erbringen soll. Also verständigt sich das Duo auf verhaltens-, aufgaben- und entwicklungsbezogene Ziele, die messbar und - normalerweise - auch machbar sind.
Die verhaltensbezogenen Ziele in unserem Beispiel lauten: Müller soll im Laufe der Länderspielsaison
nicht mehr als sechs Gelbe Karten kassieren (zwei weniger als im Vorjahr!),
drei Mal pro Woche Fitnesseinheiten absolvieren, um sich einen robusteren Körper anzueignen, und
sich nicht öfter als einmal pro Spiel mit dem Schiedsrichter anlegen.
Hinzu kommen drei aufgabenbezogene Ziele: Der Stürmer soll
im Laufe der Saison zehn Tore schießen,
alle Elfmeter ausführen und
mindestens acht Tore für seine Mitspieler auflegen.
Und dann sind da noch die entwicklungsbezogenen Ziele. Der Stürmer soll
sein Englisch verbessern (auf Level B2), um bei der EM ansprechende Interviews geben zu können,
einen Rhetorikkurs abschließen, um die handelsüblichen Floskeln eines Fußballers gefahrlos über die Lippen zu bringen, und
vier professionelle Torschusstrainings absolvieren, damit seiner Trefferquote bei Distanzschüssen besser wird.
Komplikationen beim Formulieren von Zielen gibt es immer
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Nationalspieler solche Zielvereinbarungen niemals unterzeichnen würde. Aber in den meisten Unternehmen läuft es so oder ähnlich. Gemeinsam mit der Personalabteilung denkt sich eine Führungskraft Ziele aus, die dann mit oft einem ganzen Dutzend von Mitarbeitern unter Zeitdruck abgesprochen werden. Wohlmeinende würden denken, die Verantwortlichen könnten dabei immer sicherstellen, dass die individuellen Ziele
auf die Unternehmensziele einzahlen,
nicht in Konkurrenz zueinanderstehen,
keine ungewollte Wettbewerbssituation im Team erzeugen,
niemanden über Gebühr belasten und in den Burnout führen,
nicht zu allgemein formuliert sind,
nicht zu kleinteilig formuliert sind,
etc.
Dumm nur, dass diese Aufzählung wahrscheinlich beliebig verlängert werden könnte. Bei Zielvereinbarungen gibt es jede Menge Unwägbarkeiten, denn ein Unternehmen mit seinen Abteilungen und Projekten ist ein lebendiges Gebilde, das mit immer neuen Situationen konfrontiert ist und sich ständig ändern muss. Wie eine Fußballmannschaft eben.
Erfahrene und verantwortungsbewusste Mitarbeiter wissen, dass Zielvereinbarungen Management-Übungen sind und nehmen sie routiniert hin. Die unterzeichnete Abmachung verschwindet meist stillschweigend in einer Schreibtischschublade oder einem digitalen Ordner und wird erst wieder hervorgekramt, wenn es zur Auszahlung des zielabhängigen Bonus kommen soll. Wenn die engagierten Mitarbeiter dann zwar einen hervorragenden Job gemacht, aber ihre Ziele nicht erreicht haben, nagt oft der Frust an ihnen. Mehr Demotivation geht nicht.
Verhaltensziel: Soll Müller Mbappé foulen?
Zurück zum Fußballbeispiel: Das Beispiel zeigt, wo die Probleme liegen. Nehmen wir mal an, die deutsche Elf spielt gegen Frankreich. Müller steht vor der Entscheidung, den quirligen Stürmer Kilian Mbappé, der gerade zu einem seiner atemberaubenden Dribblings ansetzt, etwas rustikaler zu bremsen. Der Deutsche hat sich aber schon im Laufe der Saison seine sechs Gelben Karten abgeholt. Packt er jetzt die Sense aus, wird er die siebte Karte bekommen und sein individuelles Ziel verfehlen. Also lässt Müller Mbappé ziehen. Der trifft, Frankreich wird Europameister - aber der deutsche Stürmer hat alles richtig gemacht.
Übrigens kam Müller überhaupt erst in diese kritische Situation, weil er etwas zu langsam ist. Ein Grund dafür ist, dass er seit einiger Zeit drei Mal wöchentlich einen ziemlich heftigen Workout absolviert und sich so zehn Kilo Muskelmasse antrainiert hat. Damit kann er jetzt zwar schöner foulen, aber nicht schneller laufen, im Gegenteil. Aber immerhin: Das Verhaltensziel Fitness hat er auch erreicht.
Sein drittes Ziel betrifft den Schiedsrichter. Bei dem darf er nicht mehr anecken, das hat er in diesem Spiel schon einmal getan. Doch nun hat er ein glasklares Handspiel des gegnerischen Verteidigers im Strafraum beobachtet, das unbedingt vom Videoassistenten überprüft werden müsste. Müller geht zum Verteidigerkollegen und bittet ihn, sich beim Mann in Schwarz zu beschweren. Aber der traut sich nicht, er hat ebenfalls schon zu viele Gelbe Karten. Eine kurze Umfrage auf dem Spielfeld zeigt: Der Kollege im zentralen Mittelfeld hätte noch Kapazitäten. Inzwischen ist aber das Spiel wieder angepfiffen und der Gegner rennt bedrohlich auf das eigene Tor zu. Egal, das dritte Verhaltensziel ist erreicht, Meckern und gelbe Karten wurden vermieden.