Keine Innovation ohne Programmieren
Was IT-Profis können müssen
Rund vier von fünf Deutschen sind laut einer Bitkom-Umfrage der Ansicht, dass die Digitalisierung die Wirtschaft mindestens so stark verändert wie die industrielle Revolution vor über 100 Jahren. Diese Entwicklung ist bestimmt von Innovationen, ohne die intelligente Fabriken oder selbstfahrende Automobile nicht möglich wären. Aber wie werden zukünftige IT-Experten auf die Entwicklung solcher Innovationen vorbereitet, was erwarten sie, und welches Umfeld ist dafür nötig? Uwe Dumslaff, Chief Technology Officer (CTO) bei Capgemini, und Alexander Pretschner, Professor für Softwareentwicklung an der TU München, diskutieren diese Fragen aus der Perspektive von Industrie und Lehre.
Innovation ist cool
Für Studenten müssen Innovationen vor allem eines sein - cool. Sie denken dabei an die neue Apple Watch oder Googles Roboterauto: Produkte, die für den Endverbraucher gemacht sind, weiß Pretschner aus Erfahrung. Mit Business-to-Business-Lösungen (B2B), also Produkten für Unternehmen und nicht für Endverbraucher (Business-to-Customer), kommen sie in ihrem Alltag nicht bewusst in Berührung und nehmen diesen Bereich daher kaum als innovativ wahr. "Diejenigen, die sich auch für B2B-Innovationen begeistern können, sind häufig die ‚Techies‘, die Spaß daran haben, Algorithmen parallel zu implementieren, und die an reiner Informatik interessiert sind", erklärt der Professor.
- Wie innovativ sind die IT-Bereiche?
Wie innovativ sind die europäischen IT-Bereiche? Das wollte der Managed-Service-Provider Claranet für die vierte Augabe seines "Research Report" wissen. Er fragte 900 (IT-)Entscheidungsträger in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal und den Benelux-Ländern nach ihrem Rollenverständnis und der Bedeutung von Innovationen im Unternehmen. - Gibt es bei Ihnen ein Innovationsprogramm?
In einer europaweiten Umfrage antworten auf diese Frage erstaunlich viele deutsche IT-Entscheider mit „Ja“. In Frankreich und vor allem in Spanien behaupten allerdings noch mehr Teilnehmer, dass bei ihnen ein solches Programm existiert. Groß ist überall der Anteil der Firmen, die sich mit entsprechenden Plänen beschäftigen. - Wer treibt die Innovationen voran?
Dem Claranet Research Report zufolge treiben vor allem die IT-Bereiche Innovationen voran. Im europäischen Mittel folgen Operations und Marketing. Bei uns und in Großbritannien spielt auch das Produkt-Management eine Rolle. - Digitale Strategie?
Vor allem spanische, französische und deutsche Unternehmen folgen einer digitalen Strategie. Im europäischen Durchschnitt haben knapp neun von zehn Unternehmen einen Masterplan für die Digitalisierung. - Wie ausgeprägt ist das innerbetriebliche Verständnis?
Business-Innovationen erfordern Verständnis zwischen IT und Fachbereichen. Besonders gut funktioniert das im operativen Betrieb, eher schlecht in der Zusammenarbeit mit HR. - Womit verbringen IT-Bereiche ihre Arbeitszeit?
Hierzulande widmen die IT-Bereiche dem Thema Innovation zwölf Prozent der gesamten Arbeitszeit. Das ist viel im europäischen Durchschnitt, aber immer noch zu wenig.
Studium muss Theorie und Praxis vermitteln
Für viele IT-Unternehmen liegt das Hauptaugenmerk aber im B2B-Bereich. "Sie entwickeln als Dienstleister intelligente Verwaltungssysteme für Behörden oder lassen Maschinen untereinander kommunizieren, um Produktionsabläufe im Autobau effizienter zu machen", erläutert CTO Dumslaff. Für ihn ist der Erfolg seines Arbeitgebers nicht davon abhängig, Vorreiter in der Entwicklung völlig neuer Endprodukte zu sein. Vielmehr müsse ein IT-Dienstleister wie Capgemini Innovationen bewerten und sie für Kundenlösungen anwenden und weiterentwickeln. Die Grundlagen für diese Art des innovativen Denkens und Arbeitens müssten im Studium vermittelt werden, fordert Dumslaff.
Für Pretschner ist es Aufgabe der Hochschullehre, beide Gruppen zu erreichen: Auf der einen Seite die Technikaffinen, auf der anderen diejenigen, die eher das Endprodukt sehen und die Informatik beispielsweise als Nebenfach zur Betriebswirtschaftslehre belegen. Er setzt deshalb in seinen Vorlesungen viel auf Praxisbeispiele. So konnten seine Studenten letztes Jahr beispielsweise eine multimodale Travel-App für Capgemini implementieren, die verschiedene Fortbewegungsmittel auf einer Reisestrecke intelligent kombiniert und mit der Nutzer ihre Reise planen und bezahlen können. Den Studierenden wurde so technisches Know-how vermittelt, und sie sahen gleichzeitig das Endprodukt.
Innovatives Denken kann man nicht lernen
Innovationen sind von Menschen und deren individuellen Ideen abhängig. Studierende können deshalb nicht dazu ausgebildet werden, Innovationen zu entwickeln, da sind sich Dumslaff und Pretschner einig. "Aber man muss ihnen die Grundsätze für innovatives Denken vermitteln, nämlich kritisches Optimierungsdenken, Experimentierfreude und Offenheit", findet Pretschner. Genau dies deckt sich mit den Praxisanforderungen. Früher konnte man sich jahrelang in einem Thema der Informatik spezialisieren und damit wachsen. Das reiche heutzutage nicht mehr aus, und für morgen schon gar nicht. Deswegen müsse ein Appetit vorhanden sein, sich auf Innovationen einzulassen, beschwört Dumslaff.