Experimentierfeld Weinberg
Weinbauern setzen auf IoT, Big Data Analytics und Roboter
Christoph Müller-Dott ist Geschäftsführer für Deutschland und Österreich bei Orange Business Services. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung in der ITK-Industrie kennt er die Entwicklungen und Herausforderungen der Branche.
Der weltweite Weinkonsum nimmt weiter zu und damit ändert sich das Gesicht der Weinbau- und Winzer-Branche. Das sagt die Internationale Organisation für Wein und Reben (OIV - International Organization of Wine and Vines). Vor allem in großen Ländern mit vielen jungen Einwohnern wie Brasilien wird immer mehr Wein getrunken. Gleichzeitig wächst der Wettbewerb europäischer Winzer mit neuen Produzenten, vor allem aus China und Kanada.
Insgesamt 4,3 Milliarden US-Dollar schwer soll der Markt in 2022 sein – so das Analystenhaus Mordor Intelligence. All diese Entwicklungen führen zwangsweise dazu, dass immer mehr Weinbauern und Winzer auf moderne Technologien zurückgreifen, um Produktion sowie Qualität zu verbessern und im internationalen Marktumfeld zu bestehen.
Big Data im Weinberg
Entscheidend für die Qualität von Trauben und Wein ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Laubfläche der Reben und der Fruchtbildung. Reben mit viel Laub tragen weniger Früchte und Trauben von schlechterer Qualität. Die manuelle Erfassung dieses Verhältnisses ist zeitaufwändig und langsam. Deswegen hat die Universität von Adelaide eine App entwickelt, mit der die Weinbauern ihre Reben per Smartphone fotografieren können. Die App erstellt daraus einen Statusbericht. Über die Verknüpfung mit GPS-Daten wird dem Weinbauern angezeigt, wo die Reben im Sinne von Qualität und Ertrag zurückgeschnitten werden müssen.
Vernetzte Weinberge
Auch IoT-Anwendungen halten zunehmend Einzug in Weinberge. Sie monitoren die äußeren Bedingungen im Weinberg, das Wachstum der Reben und tragen so dazu bei, dass sich Qualität und Ertrag verbessern lassen. Bisher erfolgte dieses Monitoring vor allem manuell, was extrem zeitaufwändig ist. IoT-Anwendungen liefern hier schneller einen Überblick und geben dem Weinbauer die Möglichkeit, besser und nachhaltiger zu planen und zu handeln.
So lassen sich beispielsweise robuste Wireless Sensoren im Boden vergraben, um die Bedingungen und die Gesundheit der Reben zu kontrollieren. Diese Sensoren sind entweder batteriebetrieben oder laufen mit Solarstrom, der über kleine Panels direkt vor Ort gewonnen wird. Die so erfassten Daten werden an eine Cloud-Anwendung zur Analyse und Bewertung weitergegeben. Die Anbindung ans Internet erfolgt über Low Power-Netzwerke wie beispielsweise LoRaWAN. Die hohe Reichweite und der geringe Stromverbrauch von LoRaWAN sind ideal für IoT-Anwendungen im Weinberg. Außerdem kommt LoRaWAN mit schwierigen Umweltbedingungen wie beispielsweise felsigem Untergrund, wie man ihn in Weinbergen oft antrifft, gut zurecht.
IoT-Anwendungen im Weinberg in der Praxis
Viele Weinbauern experimentieren bereits mit IoT-Anwendungen. Vier deutsche Weingüter an der Mosel setzen die IoT-Lösung TracoVino für das remote Monitoring im Weinberg ein. Eine Solar-betriebene Sensor-Plattform mit Controller-Plattform misst Wetterparameter wie unter anderem die Sonneneinstrahlung und -Intensität sowie die Feuchtigkeit in den Weinblättern und den PH-Wert im Boden. Über Predictive-Analytics-Anwendungen bekommt der Weinbauer Alerts, die ihn beispielsweise beim richtigen Timing für Routine-Maßnahmen wie Bewässern oder Düngen unterstützen.
Chateau Kefraya im Bekaa Valley im Libanon misst mehrere äußere Parameter wie Temperatur und Feuchtigkeit im Boden sowie in der Luft über IoT-Sensoren. Auch hier werden die Daten über LoRaWAN übertragen, ausgewertet und in Form von Charts und Grafiken auf das Smartphone des Weinbauern übertragen. Der kann entsprechend reagieren: beispielsweise mit Bewässerung zum richtigen Zeitpunkt und mit der passenden Menge. Die IoT-Erfassung der äußeren Parameter im Weinberg erspart dem Weingut viel manuellen und zeitlichen Aufwand und ermöglicht eine noch bessere Pflege der Reben.
Das Henry of Pelham Weingut in St. Catherins in Ontario, Kanada, hat eine Reihe von drahtlosen Sensoren im Weinberg mit einem LTE-M Netzwerk verbunden. Auf Basis der gesammelten Daten erhalten die Verantwortlichen Alerts oder können in Echtzeit Auswertungen vornehmen. Wird es beispielsweise im Frühjahr zur Blütezeit im Weinberg noch einmal frostig, starten spezielle, über die Sensoren gesteuerte, Ventilatoren, um die Reben vor Erfrierungen zu schützen.
IoT-Daten und Analytics im Weinkeller
IoT vernetzte-Sensoren und die daraus gewonnenen Daten können nicht nur im Weinberg sondern auch im Weinkeller wertvolle Unterstützung geben, um die Qualität des Weins zu optimieren. Beispielsweise lässt sich die Fermentation überwachen, indem Sensoren wichtige Parameter wie Temperatur-, Sauerstoff- oder Zuckergehalt messen, um daraus abzuleiten, wie lange noch fermentiert werden sollte oder ob die Temperatur angepasst werden muss. Auch beim Ausbau und der Lagerung des Weins in Fässern liefern Sensoren wichtige Messwerte, deren manuelle Erhebung weitaus aufwändiger ist.
Roboter "Ted" goes Rothschild
Auch wenn traditionelle Techniken im Weinberg und -keller wichtiger für die ganze Branche sind denn je: Moderne Technologie kann sehr nützlich sein, um Reben und Weinberge besser zu schützen, und aufwändige manuelle Prozesse und Arbeiten zu ersetzen bzw. zu erleichtern. Der Baron Philippe de Rothschild experimentiert auf seinem Chateau Clerc de Milon mit dem Roboter "Ted", der bei der Bodenkultivierung und dem Rückschneiden der Reben eingesetzt wird, um diese körperlich sehr anstrengenden und zeitaufwändigen Prozesse zu vereinfachen. Sensoren spielen eine wichtige Rolle, damit Ted alles richtig macht und kontrolliert werden kann.
Moderne Technologien verändern auch das Berufsbild des Weinbauern bzw. Winzers, der noch mehr zum Manager avanciert als je zuvor.