Hamburger IT-Strategietage


Hamburger IT-Strategietage 2024

Wie CTO Kenza Ait Si Abbou Fiege ins KI-Zeitalter führt



Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Die KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou liefert einen Einblick, wie sie die Transformation des 150 Jahre alten Logistikdienstleisters Fiege in ein datengetriebenes Unternehmen vorantreibt.
"Die Magie der KI entsteht erst, wenn man die Daten unternehmensweit nutzen kann", erklärt Fiege-CTO Kenza Ait Si Abbou in ihrer Keynote.
"Die Magie der KI entsteht erst, wenn man die Daten unternehmensweit nutzen kann", erklärt Fiege-CTO Kenza Ait Si Abbou in ihrer Keynote.
Foto: Jan Waßmuth

1873 als kleines Fuhrunternehmen von Joan Josef FiegeFiege gegründet, ist das in fünfter Generation noch immer inhabergeführte Familienunternehmen Fiege in den vergangenen 150 Jahren zu einem international tätigen LogistikdienstleisterLogistikdienstleister mit über 130 Standorten, mehr als 23.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz in Höhe von rund zwei Milliarden Euro herangewachsen. Top-500-Firmenprofil für Fiege Top-Firmen der Branche Transport

"Fiege ist inzwischen, beim reinen Blick auf die Zahlen, eigentlich ein Konzern, im Herzen aber trotzdem noch immer ein Familienunternehmen", sagte die KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou in ihrer Keynote auf den Hamburger IT-Strategietagen 2024. "Und dann kommt die Kenza, erste Frau im Vorstand seit anderthalb Jahrhunderten, Ingenieurin, Afrikanerin und zusätzlich noch ohne Logistikexpertise. Das ist doch erst einmal ziemlich - sagen wir mal - spannend", erklärte die 42-Jährige mit einem Lächeln. Dennoch oder gerade deswegen allerdings sei die Fiege-Welt für sie ein "Mega-Umfeld, weil ich sehr viel Vertrauen und noch mehr Gestaltungspielraum geschenkt bekomme. Das macht großen Spaß."

Bevor Ait Si Abbou im September 2023 als CTO in den Fiege-Vorstand wechselte, arbeitete sie bei IBM und davor über zehn Jahre lang bei der Telekom. An einigen Stellen, etwa beim Blick auf die massenhaft gesammelten Daten, habe sie daher das eine oder andere Déjà Vu, so die KI-Expertin und Bestsellerautorin.

Die Herausforderung der einheitlichen Daten

Die zentrale Herausforderung bei Fiege beschrieb Ait Si Abbou in ihrer Keynote so: "Um KI sinnvoll nutzen zu können, braucht man einheitliche Daten - und für einheitliche Daten braucht man einheitliche Systeme und Prozesse. Das ist aber nicht immer so einfach, wie man vielleicht denkt." Der Grund dafür, so Ait Si Abbou, liege unter anderem im bisherigen Erfolgsrezept von Fiege. "Das Unternehmen ist über all die Jahre auch deshalb so stark gewachsen, weil es dezentral strukturiert ist und den Kunden stets in den Mittelpunkt gestellt hat und bis heute stellt." So gebe es elf eigenständige Business Units entlang der Fokus-Branchen, in denen Fiege als Dienstleister tätig sei. "Für das Geschäft ist das gut, für die KI ist es eine große Herausforderung."

Um verwertbare Daten aus einer historisch gewachsenen und stark heterogenen IT-Landschaft zu erhalten, musste das Fiege-Team viel Überzeugungs- und Fleißarbeit leisten.
Um verwertbare Daten aus einer historisch gewachsenen und stark heterogenen IT-Landschaft zu erhalten, musste das Fiege-Team viel Überzeugungs- und Fleißarbeit leisten.
Foto: Jan Waßmuth

Wie komplex es ist, in einer dezentralen Struktur KI zu implementieren, habe sie bereits bei ihrer vorherigen Station erlebt, führte Ait Si Abbou aus. Natürlich könne man einfach jede Business Unit irgendetwas machen lassen, aber dann sei es oft nur ein kleiner Hebel für eben diese eine Business Unit und kompensiere häufig nicht einmal die anfallenden Kosten. "Die Magie der KI entsteht erst dann, wenn man die Daten unternehmensweit nutzen kann. Dann findet man die großen Hebel", erklärte die CTO.

Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

Um die Komplexität der Daten bei Fiege zu erklären, brachte Ait Si Abbou das Beispiel Wareneingang innerhalb eines Logistikzentrums an - und fügte mit einem Lachen hinzu: "Datenwissenschaftler sind ja immer der Ansicht, Logistik sei deshalb super, weil es nur wenig personenbezogene Daten gibt. Na ja."

Denn obwohl die Intralogistik vom Prozess her überall recht ähnlich sei, stecke der Teufel im Detail. Denn verschiedene Niederlassungen bedienen verschiedene Kunden aus verschiedenen Branchen - und das führt zu verschiedenen Definitionen des Wareneingangs. Die Konsequenz, so Ait Si Abbou: "Das Daten-Team muss viel kommunizieren, um die verschiedenen Bedürfnisse der einzelnen Niederlassungen zu verstehen und gemeinsame Nenner zu finden, auf die wir aufbauen können." Hinzu werde sehr viel kommuniziert, "um die Notwendigkeit einheitlicher Daten zu erklären und die Kolleginnen und Kollegen dafür zu begeistern mitzumachen."

Ein Vorteil: Das Fiege-Team hat bereits vor einigen Jahren angefangen, eine Cloud-basierte Dateninfrastruktur zu schaffen, eine entsprechende Architektur zu bauen, sich ein operatives Datenmodell zu überlegen und die ersten Datenprodukte zu entwickeln. Durch diese Grundlagen könne man anfangen, Daten effizient zur Verfügung zu stellen, so Ait Si Abbou. "Also strukturiert in einem Datenkatalog und auch in einer gewissen Qualität", ergänzte sie. Aktuell sei noch einiges an Aufbereitungs- und Qualitätsarbeit notwendig.

Organisation ist alles

Was die Organisation angeht, setzt die IT-Chefin auf ein zentrales Team, das sich um das Thema Daten und KI kümmert. Zusätzlich gibt es einen fachlichen Austausch und ein Steering, bei dem auch Teilnehmende der Business Units dabei sind. "Wir brauchen die Leute, die vor Ort sind, die nah am Business sind und dafür sorgen, dass die Prozesse so strukturiert sind, dass die Datenerhebung schon von Anfang an eine gewisse Qualität hat. Sonst hat es wenig Zweck, weil es dann nur garbage in and garbage out ist", hielt Ait Si Abbou fest. Und gleichzeitig wolle man auch nicht alles aus einer zentralen Einheit vorgeben, denn die Ideen müssten letztendlich aus dem Business heraus kommen.

"Unsere Aufgabe ist es dann vielmehr, diese Ideen zu beurteilen und zu priorisieren", sagte die KI-Expertin. Dazu gebe es eine Bewertungsmatrix mit der Umsetzbarkeit auf der X-Achse und dem Wertbeitrag auf der Y-Achse. "Denn es ist angesichts begrenzter Ressourcen wichtig, immer zu überlegen, was und wie groß der Wertbeitrag für das Unternehmen ist."

Daneben versuche man, die Datenprodukte, aber auch KI in den drei Zeitdimensionen "Vorschau", "zeitnah" und "Nachschau" für die faktenbasierte Steuerung der Logistikkette einzusetzen. Das bedeute zunächst einmal, Daten zu sammeln, zu visualisieren und sie für bestimmte Reportings zur Verfügung zu stellen. Als Logistiker sei Fiege ein Teil der kritischen Infrastruktur, für den das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gelte - verbunden mit entsprechenden Reportingpflichten. Darüber hinaus gebe es einen immer größeren Bedarf auf Seiten der Kunden, den Near-Realtime-Status ihrer Lagerbestände zu erfahren.

Am Ende ihrer Keynote schloss Ait Si Abbou dann mit einem konkreten KI-Anwendungsfall: Man arbeite derzeit daran, die Routenplanung anhand von Wetterdaten und der Auswertung von Nachrichtenquellen weiter zu optimieren und einen noch schnelleren Warentransport sicherzustellen. Das alles sei auf einem vielversprechenden Weg, "weil alle mit anpacken", sagte Ait Si Abbou. Und deshalb sei sie trotz der geschilderten Komplexität sehr froh, den Weg bei Fiege mitzugestalten.

"Der große Vorteil von Familienunternehmen und dem Mittelstand ist es, dass sie bereit für Disruption sind", erklärte die KI-Expertin. Das Mindset, sich verändern und immer wieder neu erfinden zu müssen, um weiter erfolgreich zu sein und dauerhaft im Markt bestehen zu können, sei bei Fiege tief im Unternehmen verankert - und das sei ein Faustpfand, das viele DAX-Konzerne nicht vorweisen könnten. Zudem werde bei Fiege immer langfristig gedacht, um das Unternehmen nachhaltig erfolgreich an die nächsten Generationen zu übergeben "Das ist ein Riesenpotenzial, das wir ausschöpfen und erfolgreich für uns nutzen möchten."

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