London Electric Vehicle Company
Wie sich die britische Autoindustrie wandeln will
Zu Dutzenden stehen sie da, in glänzendem Schwarz und unverkennbar: Die berühmten Londoner Taxis, die Black Cabs. In einer Fabrikhalle an den Außengrenzen von Coventry werden die legendären Fahrzeuge hergestellt. Längst steckt ein Elektromotor unter der charakteristischen Haube. Stolz blickt Jörg Hofmann von einem Balkon in die Halle, der Deutsche ist Chef der London Electric Vehicle Company (LEVC), wie sich die berühmte London Taxi Company mittlerweile nennt. Zwischen den schwarzen Taxis zeigen sich immer wieder weiße Tupfer - der Van VN5, das zweite LEVC-Modell.
Das Traditionsunternehmen, mittlerweile 100-prozentige Tochter des chinesischen Herstellers Geely, könnte als Symbol dienen für den Kurs, den der britische Premierminister Boris Johnson einschlägt. Nachhaltiger, grüner, emissionsärmer soll die Branche werden. Von 2030 an, so lautet Johnsons ehrgeiziger Plan, sollen keine Diesel und Verbrenner mehr von den Bändern laufen. Schon im kommenden Jahr sollen E-Ladestationen bei Neubauten Pflicht sein. Das erhöht den Druck auf die Branche, sich neu zu erfinden.
Autoindustrie in Großbritannien
Und das zu einer Zeit, in der sie ohnehin erhebliche Probleme hat. Denn die Corona-Krise und der Brexit haben die Autoindustrie in Großbritannien härter getroffen als andere Branchen. Die Pandemie belastet die Lieferketten und sorgt für Mangel bei wichtigen Produkten wie Halbleitern, der EU-Austritt hat den Handel mit Abnehmern und Zulieferern auf dem Festland durcheinander gewirbelt.
Das zeigt sich etwa im bilateralen Handel mit Deutschland: "Reichten die deutschen Exporte ins Vereinigten Königreich in diesem Jahr insgesamt bisher knapp an das Vorjahresniveau heran, sind insbesondere die so wichtigen Pkw-Exporte im gleichen Zeitraum wertmäßig um 14,1 Prozent gefallen", stellt Marc Lehnfeld von der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest fest.
Taxi-Markt auf einen Schlag weg
Den Brexit hat LEVC-Chef Hofmann nach eigener Aussage wenig gespürt. Die Corona-Pandemie umso stärker. Um mehr als 50 Prozent sind die Verkäufe eingebrochen. "Es gibt in London ungefähr 18.000 Taxis, die waren bis auf eine kleine Anzahl alle geparkt, waren weg", erzählt der frühere Brasilien-Chef von Audi. "Die Taxifahrer haben keinen Job mehr gehabt, waren daheim. Es gab keine Kunden mehr." Und wo keine Nachfrage, da natürlich auch kein Markt.
Umso optimistischer ist Hofmann jetzt. Denn er sieht sein Unternehmen perfekt für die E-Wende aufgestellt. Mit Taxis, die auch in Deutschland für sogenannte Ridesharing-Angebote nachgefragt seien, und kleinen Lieferwagen bietet LEVC bereits Modelle in zwei wichtigen Segmenten an. Dabei soll es nicht bleiben: 2022 kommt ein E-Camper dazu, angedacht ist auch ein größerer Lieferwagen, und schließlich erwägt Hofmann auch die Produktion eines E-Busses. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass in zehn Jahren noch stinkende Stadtdieselbusse durch die Gegend fahren. Wir sind da erst am Anfang."
Marktanteil von Benzinern sinkt unter 50 Prozent
Der Trend spricht für Hersteller wie LEVC, nach und nach stellen auch die größeren Autobauer ihre Produktion um. Das schlägt sich längst an den Zahlen nieder. E-Fahrzeuge machten zwischen Januar und November nach Angaben des Branchenverbands SMMT bereits mehr als ein Viertel der Neuregistrierungen aus. Im Gegenzug sank der Marktanteil von Benzinern unter 50 Prozent, die Zahl der neu zugelassenen Dieselfahrzeuge halbierte sich fast im Vergleich zum Vorjahreswert.
Großbritannien benötigt nach dem Brexit Erfolge dieser Art. Auch die Ankündigung von Nissan, dass an seinem Werk im nordostenglischen Sunderland eine Batteriefabrik entsteht, spielte Premier Johnson in die Karten. Zum 35. Geburtstag des Standorts kündigte Nissan jüngst an, sein erstes dort produziertes Modell Bluebird Job 1 unter dem Namen Newbird als E-Auto aufzulegen. Allein: Mehr ist nötig, um den Automobilstandort UK mit rund 860. 000 Arbeitsplätzen langfristig zu sichern.
Wichtig bleibt nach Ansicht der Branche finanzielle Unterstützung. "Wir brauchen noch Begleitung, so lange die Batterietechnologie so teuer ist", sagt LEVC-Chef Hofmann. "Aber im Moment sind wir in einer kritischen Phase. Wenn Subventionen jetzt gekürzt werden, kann es sein, dass die zart wachsende Pflanze abstirbt."
Da ist klar, dass Hofmann und den anderen Branchenvertretern die jüngsten Regierungspläne nicht passen. Denn die Subventionen werden deutlich gekürzt: Statt 2.500 Pfund können Käufer von E-Autos nur noch 1.500 Pfund geltend machen. Das gilt für Fahrzeuge, die maximal 32.000 Pfund kosten, auch dies ist von 35.000 Pfund gesunken. Die Entscheidung komme zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt, heißt es vom SMMT. Denn Corona-Folgen für die Wirtschaft und die enorm gestiegene Inflation sorgen ohnehin für Ebbe in den Geldbeuteln der Verbraucher. Schwierige Aussichten für 2022. (dpa/rs)