Fast wie im Roman
50 Jahre Drogeriemarktkette Rossmann
1972 legte Dirk Roßmann mit seinem ersten Laden den Grundstein für einen europäischen Einzelhandelskonzern. Inzwischen hat die nächste Generation übernommen. Der Senior mischt aber weiter mit - und hat sich auf ein für Selfmade-Milliardäre ungewöhnliches Hobby verlegt.
Vor einem halben Jahrhundert eröffnete ein gewisser Dirk Roßmann einen kleinen "Markt für Drogeriewaren" im hannoverschen Stadtteil List. Damals kannten ihn wenige Kunden und Branchenkollegen - das sollte sich in der bevorstehenden Zeit gründlich ändern. Heute ist die Firma Rossmann neben den deutschen Hauptkonkurrenten dm und Müller eine der größten Einzelhandelsketten Europas. Auf dem Weg dorthin mangelte es jedoch auch hier nicht an Krisen und Reibereien.
Generationenwechsel
Am kommenden Donnerstag (17. März) wird das Unternehmen 50. Zumindest an der Spitze bleibt Rossmann ein Familienbetrieb, Gründer Dirk (75) gab im vorigen Herbst die Leitung an Sohn Raoul ab. Der Mittdreißiger - gelernter Betriebswirt - ist nun Geschäftsführer, während sein Vater noch die Beteiligungen der Gruppe mit sortiert. Der zweite Sohn Daniel kümmert sich vor allem um den Ausbau des Filialnetzes und die Immobilien. Darüber hinaus sind längst viele Manager von außerhalb des Roßmann-Clans eingestellt. Sie steuern das laufende Geschäft.
Der Senior hatte zuletzt weiter ein eigenes Büro in Burgwedel, dem Stammsitz gut eine halbe Autostunde nördlich der niedersächsischen Landeshauptstadt. Ab und zu steht eine dicke schwarze Limousine auf dem Parkplatz der Hauptverwaltung, die 2011 gleich an der Auffahrt zur A7 fertig wurde. Privat schwelgt der alte Roßmann mittlerweile ebenso in halbfiktiven, vom drohenden Klimakollaps inspirierten Thriller-Welten: Er will sich einen Namen als Schriftsteller machen.
Ego groß und Preispolitik nicht gerade zimperlich
Nicht nur als Selfmade-Milliardär - Roßmann soll Schätzungen zufolge zu den reichsten Deutschen gehören - ist er zuweilen eine Reizfigur. Einerseits betonen selbst Kritiker, die sein Ego für groß und seine Preispolitik für nicht gerade zimperlich halten, das Engagement in Organisationen wie der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, die er mitgründete. Dafür gab es unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Bei vielen Beschäftigten ist Roßmann bodenständig und beliebt, sein Ruf als sozialer Unternehmer eilt ihm oft voraus, in TV-Talkrunden beteiligt er sich an Debatten von Wirtschafts- bis Weltpolitik.
Er provoziert aber gern - und weiß damit zu kokettieren. Als der von manchen Feuilletonisten als eher naiv abgetane, vom Publikum durchaus geschätzte Roman "Der neunte Arm des Oktopus" erschien, warf Roßmann eine riesige PR-Maschinerie an und vertrieb seinen Text parallel über die eigenen Läden, während Buchhändler unter Corona ächzten. "Wenn ich Fernsehwerbung mache, profitiert auch der Buchhandel", meinte er lakonisch. Ein Exemplars des Öko-Krimis, in dem die USA, China und Russland die Welt zu retten versuchen, schickte er an den russischen Präsidenten - freilich unter damals ganz anderen Umständen als heute.
Rasantes Wachstum
Mit Roßmanns Abtritt aus dem geschäftlichen Rampenlicht ist jetzt der Nachwuchs an der Reihe, das Firmengeflecht weiter auszudehnen. Das Wachstum war bereits zu Beginn rasant: Vier Jahre nach der Eröffnung des ersten Selbstbedienungsladens auf 250 Quadratmetern - in den 1970ern ein ganz neues Konzept für Zahnpasta, Make-up, Windeln & Co. - gebot Dirk Roßmann schon über 100 Filialen. Es dauerte nicht lange, bis Götz Werner (dm) und Anton Schlecker in Hannover vorbeischauten.
30 Jahre später waren es über 1000 Rossmann-Läden. Heute sind es insgesamt fast 4400 in acht Ländern, die Zahl der Beschäftigten liegt bei mehr als 56 000. Das Unternehmen ist auch in Spanien, der Türkei, Polen, Tschechien, Ungarn, Albanien und dem Kosovo vertreten. Dieses Jahr sollen 200 Standorte hinzukommen, darunter 70 in Deutschland.
Der Umsatz der Gruppe lag 2021 laut vorläufigen Daten bei rund 11,1 Milliarden Euro. Damit gelang gegenüber dem coronageprägten Vorjahr nochmals ein Plus von 8,1 Prozent. Konkrete Zahlen zum Gewinn nennt Rossmann nicht - man darf jedoch auch mit Blick auf Sonderzahlungen an die Belegschaft davon ausgehen, dass er erneut üppig ausfiel.
Sonderkonjunktur dank Corona
Ein Zusatzeffekt: Der Konzern profitierte im Vergleich zu vielen Händlern, die in anderen Segmenten aktiv sind, von einer paradoxen Sonderkonjunktur. Im Lockdown durften Rossmann-Niederlassungen wie Supermärkte wegen der Grundversorger-Rolle geöffnet bleiben, während als nicht systemrelevant eingestufte Läden dichtmachen mussten. Im dpa-Interview räumte Roßmann ein: "Wir haben nicht gelitten, was ein Riesenvorteil ist." Er habe allerdings auch einigen Kleineren seine finanzielle Hilfe angeboten. "Wir unterstützen Menschen in Not."
Roßmann selbst erlebte indes nicht nur rosige Zeiten. Der Aufstieg des Niedersachsen, der im Betrieb der Eltern und Großeltern als Drogist in die Lehre ging, war nicht ohne Rückschläge. Anfangs hatte es insbesondere der Konkurrenzkampf mit Schlecker in sich - lange bevor die von Co-Patriarch Anton Schlecker geführte Firma aus dem Südwesten in Schieflage geriet und schließlich in die Insolvenz ging.
Auch schwere Jahre
"Es gab auch schwere Jahre", sagte Roßmann zu seinem 65. Geburtstag 2011. "Ich war nicht immer auf rosa Wolken gebettet, wie das manche glauben. Wir haben uns durchgewurschtelt." Er meinte eine Periode, in der es einmal Spitz auf Knopf stand. Zeitweise waren lebenswichtige Bankkredite auf der Kippe. "In den 1990er Jahren wusste ich manchmal freitags nicht, wie ich am Montag die Gehälter zahlen sollte."
Von 2005 an prüfte dann das Bundeskartellamt, ob er Produkte zu Dumpingtarifen unter Einkaufspreis vertrieb. Der Bundesgerichtshof wies mögliche Millionenbußgelder 2010 endgültig ab. Dennoch gestand Roßmann ein: "Das waren Zeiten, da war ich schon verbittert." Mit dm gab es außerdem Zoff um Markenrechte. Unterm Strich verband Roßmann mit dessen Gründer Götz Werner, der Anfang Februar starb, ein phasenweise ruppiges, aber insgesamt respektvolles Verhältnis.
Seine bisher schmale Online-Sparte will der Konzern jetzt erweitern. In den zurückliegenden beiden Jahren sollen sich die Umsätze dort verdoppelt haben. "Wir machen hier noch Verluste - keine hohen zwar, und wir bauen das weiter aus, sind aber vorsichtig", sagte Roßmann im Frühjahr 2021. Manche im Netz verkauften Drogeriesachen rechneten sich in großen Mengen einfach noch nicht. "Man braucht eine Mischung, die in stationären Läden durch Mitnahmeartikel gegeben ist." (dpa/ad)