Nils Niehörster, Raad Consult

Kopfschmerzen haben alle

Riem Sarsam war Redakteurin des CIO-Magazins.
Selbst nach 20 Jahren ist ERP kein triviales Thema. Mit der serviceorientierten Architektur soll ein neues Zeitalter von Business-Software eingeläutet werden.

CIO: Was versteht man heute eigentlich unter ERP?

Niehörster: Das hängt davon ab, wer spricht. Viele Anbieter bezeichnen ERP aus Marketinggründen als "das Alte" oder besser ausgedrückt "die Basisfunktionen", um neue Produkte als besonders innovativ zu verkaufen. Die begriffliche Verwirrung hatte in den späten 90ern ihren Höhepunkt, als SAPSAP mit der "New Dimensions"-Produktlinie bemüht war, neue Komponenten vom "alten" R/3 zu differenzieren, oder OracleOracle kurzerhand alle Funktionalitäten, also auch ERP, als CRMCRM vermarktete. Analysten sprachen von ERP II. Die Anwender hingegen verstehen unter ERP die Gesamtheit der betriebswirtschaftlichen Anwendungen, die teils sehr weit in den Produktionsprozess hineinreichen. ERP ist die Klammer für Aspekte wie FinanzenFinanzen, Personal, Warenwirtschaft, Kundenbeziehungsmanagement oder Logistik. Diese Einschätzung ist richtig: Ein Auto bleibt schließlich ein Auto, selbst wenn es über einen innovativen Wasserstoffantrieb verfügt. Alles zu CRM auf CIO.de Alles zu Oracle auf CIO.de Alles zu SAP auf CIO.de Top-Firmen der Branche Finanzen

Leiten die Hersteller mit den serviceorientierten Architekturen eine neue Ära von ERP ein?

Der Ansatz stellt mit Sicherheit einen Meilenstein in der Entwicklung von Software dar. Vor allem, weil die Möglichkeiten eines Web-basierenden Ansatzes hier einen Schritt weitergedacht worden sind. Der Weg von der Informations- zur Prozessintegration ist verstanden und umgesetzt worden. Die Fortschritte, die wir etwa im Umfeld von .Net oder SAP-Netweaver und -ESA sehen, belegen dies.

Sind denn modulare Systeme der Weisheit letzter Schluss?

Die Softwarekomplexität durch stärkere Modularisierung zu reduzieren ist sicher richtig. Die Anwender haben das schon lange vor den ersten Entwicklungen in diese Richtung gefordert. Kurz- und mittelfristig dürften damit die Kosten für den Betrieb und vor allem für die Integration sinken. Allerdings frage ich mich, wie es langfristig aussieht. Auch wenn die Einzelkomponenten einfach zu warten und praktikabel zu integrieren sind, so bleibt doch ein entscheidender Pferdefuß: Es wird eine erhebliche Komplexität durch die Vielzahl von ineinander greifenden Komponenten und Versions-Ständen entstehen.

Wie sollen sich die Anwender jetzt verhalten?

Es gilt die gleiche Überlegung, die die meisten CIOs auf alle Arten von Software- und DV-Investitionen anwenden: Entweder ich bin innovativ und einer der Ersten, der auf einen neuen Zug aufspringt. Dann muss ich Einschränkungen und auch "Pilotkunden-Schmerzen" aushalten. Unter Umständen erziele ich aber erhebliche Wettbewerbsvorteile durch eine innovativere ITInfrastruktur. Alternativ verhalte ich mich konservativ und warte ab, welche Technologien sich durchsetzen, und reagiere erst dann. Was jedoch nicht passieren darf, ist, als Nachzügler dem Tross hinterherzulaufen, denn dann besteht die Gefahr, abgehängt zu werden.

Eine serviceorientierte Struktur wird wohl eher transaktionsbasiert abgerechnet. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?

Ein Nachteil sind Preismodelle, die wir in der Vergangenheit gesehen haben - hier vor allem vom Marktführer SAP. Preismodelle müssen einfach, klar, gerecht, die Folgekosten prognostizierbar sein. Aus Sicht des CIO am besten auch noch vergleichbar. Allerdings kann ich hier von den Anbietern keinerlei Bestrebungen erkennen. Ein guter Ansatz besteht aus einem Mix von nutzerbasierter Abrechnung und transaktionalen Modellen. Diese sollte aber immer in Leistungspaketen stattfinden, nicht in einer laufenden Berechnung. Was keiner will und braucht, das sind Nutzen-Preise. Warum sollte denn ein Softwarelieferant an meinem Umsatz oder an meinen Kostensenkungen partizipieren? Ein Schmied wird auch nicht jeden vierten beschlagenen Huf an den Hersteller des Amboss liefern wollen.

Bedeutet eine prozessorientierte Standard-IT, dass künftig alle die gleichen Prozesse haben?

Nein, natürlich nicht. Unternehmen differenzieren sich ja gerade über Produkte und Prozesse. Allerdings gibt es gewisse Commodity-Prozesse, die für alle gleich sein können. In 98 Prozent aller Fälle differenzieren sich Unternehmen nicht über die Abwicklung der Gehaltsabrechnung oder über die IT-technische Bebuchung von Aktiv- und Passivkonten der Bilanz. In vielen Bereichen ist es vielmehr sogar umgekehrt: StandardisierungStandardisierung bringt Vorteile. Alles zu Standardisierung auf CIO.de

Das gilt allerdings ausdrücklich nicht für wettbewerbsdifferenzierende Aspekte. Ein Logistiker wird austauschbar, wenn er sich nicht über eine besonders ausgefuchste Logistik von den Wettbewerbern unterscheidet. Und hier zeigt sich, ob eine Software wirklich stark ist. Nur wenn es gelingt, die individuellen Stärken auf Prozessebene abzubilden, kann Standardsoftware ihrem eigentlichen Anspruch gerecht werden: gut zu sein bei den Standards und spitze zu bleiben, wo man es heute schon ist.

ERP an sich - heißt es - bereitet dem Anwender keine Kopfschmerzen mehr. Teilen Sie diese Meinung, oder gibt es doch noch Themen, bei denen es zu Migräneanfällen kommt?

Unsere Studien zeigen, dass es heute kein Unternehmen gibt, das bei dem Thema ERP keine Kopfschmerzen hätte. Allerdings ist die Natur der Schmerzen sehr unterschiedlich. Bei einem Großteil der deutschen Unternehmen herrscht enormer Kostendruck. Beispielsweise musste fast ein Drittel der CIOs von SAP-Kunden im Jahr 2003 Kostensenkungen von fünf Prozent und mehr schaffen. Wie wir feststellen können, ist es vielen gelungen, vor allem die Betriebs- und Integrationskosten zu senken.

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