Strategien


Industriestandard als Innovationsbremse?

SAP - Sinn und Unsinn

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.
Meinhard Holle, Ex-CIO von Tengelmann, streitet mit Peter Friedrich, ehemals IT-Manager bei Babcock Borsig, in welchen Bereichen SAP sein Geld wert ist. Einig sind sie sich in einem Punkt: Nur Lemminge kaufen die Standard-Software, ohne eine Alternative zu suchen.

In seinen letzten Tagen als CIO beim Lebensmittelkonzern Tengelmann hat Meinhard Holle Anfang des Jahres ein scheinbar abwegiges Angebot bekommen. Peter Friedrich, ehemals Geschäftsführer der Babcock Dienstleistungs-GmbH und inzwischen Geschäftsführer des Beratungshauses Jump Network, hat ihm eine Lotus-Notes-Lösung als Alternative zum Facility Management von SAPSAP vorgestellt. Holle hat dankend abgelehnt. Es kam ihm wenig sinnvoll vor, von einer Standard-Software abzuweichen, die Tengelmann bereits erworben hatte. Friedrich hingegen argumentiert, dass das Denken in SAP-Strukturen nicht die Innovationskraft im Unternehmen hemmen darf, selbst wenn die Lizenzen schon in den Schubladen liegen. Holle und Friedrich haben sich jetzt auf Einladung von CIO im Frankfurter Maritim Hotel zu einer generellen Aussprache über den Einsatz von SAP getroffen. Alles zu SAP auf CIO.de

CIO: Die Software von SAP ist groß geworden, weil sie Standards setzt. Wo nützt diese Standardisierung, und wo lähmt sie?

Peter Friedrich: SAP hat seinen Wert rund um die Bilanz. Da gehört die Software hinter dicken Mauern geschützt und von Fachleuten bedient. Aber sie gehört nicht in die Nähe der Geschäftsprozesse und schon gar nicht nahe an die Organisation des Unternehmens.

Meinhard Holle: Standard-Software gibt Prozesse vor, das kann sich als Nachteil oder als Vorteil herausstellen. In meiner Laufbahn habe ich Firmen gesehen, die Teile ihrer Prozesse nicht im Griff hatten. Für die ist es natürlich ein Vorteil, wenn SAP den roten Faden vorgibt, an dem sich die Fachabteilungen entlanghangeln können. Ich spreche immer von SAP als dem digitalisierten "Wöhe". In dem Standardwerk der Betriebswirtschaftslehre ist eine Vielfalt an Möglichkeiten hinterlegt, und man muss selbst entscheiden, was davon im Unternehmen genutzt wird.

Friedrich: An der Stelle setzt meine Kritik ein: Der rote Faden, den SAP vorgibt, wird von den Fachabteilungen nicht mehr verlassen. Wenn man sich verändern will, dann muss man aber auch mal vom Pfad abweichen. Dann muss man quer denken. Selbst ein "Wöhe" wird alle zwei bis drei Jahre neu aufgelegt, damit er neue Erkenntnisse aufzeigen kann.

Holle: Rechnungswesen oder Materialwirtschaft erfinden sich nicht jedes Jahr neu. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum an diesen Themen alle Jahre wieder herumgebastelt wird. Das liegt doch nur daran, dass man mit seinen Geschäftsprozessen unzufrieden ist und dann im ersten Schritt denkt: Ach, da suchen wir uns erst mal eine neue Software.

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