CTO Sinanudin Omerhodzic
Aldi Nord erfindet den Discount neu
Elektronische Preisschilder im Aldi Store
Auch im StoreStore der Zukunft geht es um IT und Automatisierung. Derzeit arbeitet Aldi Nord daran, in sämtlichen Läden elektronische Preisschilder einzuführen. Dazu braucht es unter anderem IoT-Tags an den Regalen, die via WLANWLAN vernetzt sind. Der Discounter will damit eine "dynamische Preisfindung in Realtime" ermöglichen. Abhängig von Faktoren wie Nachfrage, Tages- und Jahreszeit oder auch Lagerbestand ließen sich Preise dann nahezu in Echtzeit anpassen, was enorme Optimierungspotenziale birgt. Das Vorhaben ist aufwändig: In jedem der rund 5.000 Laden hängen derzeit noch etwa 1.000 klassische Preisschilder. Die elektronischen Pendants müssen installiert, konfiguriert und vernetzt werden. Im Jahr 2023 sollen sie in allen Shops ausgerollt sein. Alles zu Retail IT auf CIO.de Alles zu WLAN auf CIO.de
In Sachen Kundenerlebnis interessiert sich Aldi Nord unter anderem für das Konzept der Amazon-Go-Shops, die komplett ohne stationäre Kassen und mit wenig Personal auskommen. Kunden checken per App ein; Kameras und Sensoren erkennen, welche Produkte die Besucher aus den Regalen nehmen und in den Einkaufskorb legen. Verlassen sie den Laden, wird der Einkaufsbetrag automatisch durch die im Kundenkonto hinterlegte Kreditkarte abgebucht, ganz ohne lästiges Anstehen an der Kasse.
Das erste Amazon-Go-Geschäft eröffnete schon 2016 im US-amerikanischen Seattle. Im Juni 2021 demonstrierte der Konzern dort, dass die Idee auch in einem 2300 Quadratmeter großen Supermarkt funktioniert. Inzwischen bietet Amazon das Konzept mit seiner "Just-walk-out"-Technologie auch anderen Händlern an.
Im niederländischen Utrecht eröffnet Aldi Nord erstmals einen kassenlosen Markt zu Testzwecken. Der Discounter nutzt dabei unter anderem eine KI-gestützte Infrastruktur des israelischen Technologieunternehmens Trigo.
Multichannel stellt neue Anforderungen
Um im umkämpften Lebensmitteleinzelhandel zu bestehen, werden die über Jahrzehnte so erfolgreichen Discount-Läden aber nicht mehr ausreichen. Auch bei Aldi Nord stehen die Zeichen deshalb auf Multichannel. Damit verbunden ist die anspruchsvolle Aufgabe, Online-Präsenzen und stationäre Shops zu verzahnen.
Im Online-Handel rücken Aldi Nord und Aldi Süd enger zusammen. Zum ersten Mal seit der Trennung vor rund 60 Jahren gründeten sie mit der Aldi E-Commerce Verwaltungs GmbH eine gemeinsame Gesellschaft, um im Digitalgeschäft schneller voranzukommen und auch Lebensmittel nach Hause zu liefern. Bisher arbeiten für Nord und Süd jeweils getrennte Online-Shops, die vor allem Nonfood-Artikel offerieren. Mit Amazon Fresh und den Lieferdiensten von Edeka und Rewe gibt es bereits konkurrierende Angebote im Lebensmittelbereich.
"Es geht um den einfachen Einkauf - aus Sicht der Kunden", kommentiert Omerhodzic die Zusammenarbeit von Aldi Nord und Süd. Entsprechend mache es keinen Sinn, zwei separate Online-Shops in Deutschland zu betreiben. Das Ziel sei eine gemeinsame Plattform, über die jeden Tag mehrere Millionen Transaktionen mit mehr als 1.500 verschiedenen Artikeln laufen.
Mehr Ressourcen für die IT
Um solche ProjekteProjekte stemmen zu können, braucht der Discounter auch in der IT eine stärkere Mannschaft. Am Hauptstandort Essen sind derzeit mehr als 100 IT-Stellen offen. Genaue Zahlen publiziert das Unternehmen nicht, doch Omerhodzic macht deutlich, wohin die Reise geht: Nur mit internen Ressourcen ließen sich die vielfältigen Aufgaben und Projekte nicht stemmen. Er setzt deshalb verstärkt auf strategische Partner wie die deutsche GK Software, die sich auf Einzelhandelslösungen spezialisiert hat. Alles zu Projekte auf CIO.de
Im Rahmen der Kooperation will Omerhodzic die Software für Kassensysteme komplett in die Cloud verlagern. Das gelte sowohl für physische als auch für virtuelle Kassen. Entwicklungs-Teams von Aldi Nord und GK Software arbeiten gemeinsam an einem Cloud-basierten System.
In Sachen Cloud ComputingCloud Computing verhandelt Aldi Nord auch eine engere Partnerschaft mit MicrosoftMicrosoft. Dabei geht es um eine "Retail Cloud", die auf Microsofts Azure-Cloud aufsetzen soll. Ziel sei es, "das gesamte Backbone in die Cloud" zu transferieren, so der CTO. Die strategische Vorgabe laute "Cloud-first, but not Cloud-only". Der Großteil der IT-Systeme arbeite derzeit noch on-premise. Künftig überprüfe man jedes System darauf, ob es sich auch in der Cloud betreiben lasse. Alles zu Cloud Computing auf CIO.de Alles zu Microsoft auf CIO.de
Agile Methoden im ganzen Unternehmen
Jenseits der Backend-IT verfolgt der Technikvorstand noch ein weiteres Transformationsvorhaben. Mittelfristig will er im gesamten Unternehmen agile Methoden einführen. Dazu holte er auch externe agile Coaches ins Boot. Zu den ersten Schritten auf diesem Weg gehört ein gemeinsam entwickeltes "Playbook", in dem agile Vorgehensmodelle, Rollen und Abläufe beschrieben sind.
Eine Schlüsselrolle spielen die internen "Business Technology Partner", die Omerhodzic nach seinem Amtsantritt etabliert hat. Sie bilden die Schnittstelle zwischen den Fachbereichen und der neu strukturierten IT-Organisation, die entlang der Business-Funktionen aufgestellt ist. Die Partner führen die Entwicklungs-Teams und sind "Ende-zu-Ende" für ihre Systeme verantwortlich, betont der CTO, also vom Anforderungsmanagement über die Softwareentwicklung bis hin zum laufenden Betrieb.
Sie kommen in der Regel aus einer Fachabteilung, sind also keine ausgewiesenen ITler. Omerhodzic: "Es geht darum, die Qualität zu steigern, aber auch um mehr Nähe zum Business." Die IT-Teams müssten in Produkten und nicht mehr in Projekten denken. Statt auf Anforderungen zu warten, sollten sie darüber hinaus Fachabteilungen zum Einsatz neuer Technologien beraten.
Das Mantra "We own Discount" soll sich auf lange Sicht auch in einer Technologieführerschaft manifestieren, sagt der CTO. Dazu gelte es, neue Trends und Technologien proaktiv aufzugreifen. Als Beispiel nennt er das Robotics Center, das Aldi Nord aufgebaut hat. Dort geht es insbesondere um künftige Einsatzszenarien für Robotic Process Automation (RPA). Omerhodzic sieht darin große Optimierungspotenziale auch jenseits der IT. Andere vielversprechende Technologien evaluieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im hauseigenen "Advanced Technology Lab."
Lessons Learned
"Das Topmanagement musste nicht von der digitalen Transformation überzeugt werden, ganz im Gegenteil", blickt Omerhodzic auf die ersten Monate nach seinem Amtsantritt zurück. Die nötigen Ressourcen wurden bereitgestellt. Eine Herausforderung sei gewesen, eine schnelle Umsetzung in der Größe der Unternehmensgruppe Aldi Nord zu managen: "Auch wenn der Marktdruck groß ist, kommt es darauf an, die richtige Balance zwischen hoher Geschwindigkeit und der Umsetzbarkeit neuer Initiativen zu finden."
Das einst von Gartner propagierte Modell der Bimodal IT, also einer IT der zwei Geschwindigkeiten, ist aus seiner Sicht dabei nicht hilfreich: "Ich habe noch nie erlebt, dass dieses Modell in der Praxis funktioniert." Nach seinem Einstieg bei Aldi Nord habe er im Gegenteil "digitale Einheiten" und klassische IT zusammengeführt. Statt der traditionellen "Plan-Built-Run"-Struktur setze er auf produktorientierte agile Teams. Omerhodzic: "Es reicht nicht, wenn ein paar agile Schnellboote voranfahren. Am Ende müssen alle schneller und flexibler werden."