BA-Chefin Nahles
Arbeitsagentur bis Jahresende vollständig digitalisiert
"Ich möchte, dass die Bürger im Online-Kontakt mit uns die besten Erfahrungen machen" - dieses ehrgeizige Ziel hat sich Andreas Nahles gesetzt, die seit Anfang August als Vorstandvorsitzende die Bundesagentur für Arbeit (BA) leitet und gleichzeitig die Bereiche IT und DigitalisierungDigitalisierung verantwortet. Zudem will die neue Chefin, dass "die BA wirklich ein Vorreiter der öffentlichen Hand für Digitalisierung und Automatisierung wird." Dazu will sie unter anderem die Cloud-Nutzung im öffentlichen Bereich deutlich pushen. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de
70 E-Services bis Ende 2022
Stand heute sieht es so aus, als könnte Nahles ihre ehrgeizigen Ziele trotz aller Widerstände realisieren. Nahles zufolge, sei die BA die Behörde in Deutschland, die es schaffen werde, bis Jahresende 2022 das Onlinezugangsgesetz (OZG) tatsächlich umzusetzen. In der Praxis will die BA bis zu diesem Termin rund 70 E-Services, also elektronische Dienstleistungen, offerieren. Bürger können so etwa von zuhause Anträge auf ALG I online stellen, Kindergeld beantragen etc. Arbeitgeber können Kurzarbeit anzeigen und beantragen sowie andere Services nutzen.
Was sich auf dem Papier relativ trivial liest, ist in der Praxis für die Arbeitsagentur ein gigantischer Transformationsakt. "Bislang hat unsere IT, die etwa 2.000 Mitarbeiter hat, eigentlich immer nur Services für die eigenen Beschäftigten erbracht, nun muss sie IT-Dienstleistungen für viele Millionen erbringen", verdeutlicht Nahles die Herausforderung. Oder in Zahlen ausgedrückt: 185.000 vernetzte Arbeitsplätze wollen administriert sein und zahlreiche Dienstleistungen müssen gemäß SGB 1 und 2 für Millionen von "Kunden" erbracht werden.
Nahles Digitalisierungsziele
Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen formuliert Nahles die IT- und Digitalisierungsstrategie der Bundesagentur für Arbeit. Wichtige Eckpfeiler sind für sie dabei Skalierbarkeit, Automatisierung, Multi-Cloud-Umgebung, Prozessdigitalisierung sowie die Bekämpfung der Schatten-IT bei der BA.
Wie wichtig das Thema Skalierbarkeit ist, verdeutlicht Nahles an einem Beispiel. Während der Pandemie sah sich die Arbeitsagentur schlagartig mit einer Flut an Anträgen auf Kurzarbeit konfrontiert. Die Behörde selbst hatte intern aber nur 700 Spezialisten für das Thema. Unter Pandemiebedingungen mussten deshalb innerhalb von vier Wochen 11.500 Mitarbeiter geschult werden, um sie in der Lage zu versetzen, Anträge auf Kurzarbeitergeld zu bearbeiten.
Um so viele Menschen binnen kürzester Zeit zu schulen, war der Einsatz von Videokonferenz-Lösungen und Lernvideos unverzichtbar - aber diese Menge konnte auf die Schnelle nur mit Cloud-Lösungen bewältigt werden. Und damit stand die BA vor dem nächsten Problem: Die Cloud-Nutzung war verboten. "Also mussten wir für die Behörde eine sogenannte Sonderfreigabe beantragen", so Nahles, "diese bekamen wir auch, aber sie wurde mittlerweile wieder zurückgenommen, obwohl wir im Winter womöglich die nächste große Krise haben."
Sie fordert deshalb von der Politik, wenn diese auch in Krisenzeiten eine funktionsfähige Verwaltung wolle, diese extrem restriktiven Regularien zu überdenken und Rahmenbedingungen vorzugeben, die auch eine Nutzung von Public-Cloud-Angeboten internationaler Anbieter erlaubt - natürlich unter Beachtung des Datenschutzes.
Schrems II war ein Schock
Mit Blick auf die Public Cloud war das Schrems-II-Urteil ein Schock, "über Nacht wurden wir mit zusätzlichen Hindernissen konfrontiert und versuchen immer noch, uns über diese Hürden hinweg zu kämpfen". Von Konzepten einer rein nationalen oder europäischen Cloud hält die BA-Chefin wenig: "Die bislang verfügbaren Angebote sind vor allem Konzeptpapiere und Powerpoints mit mittleren bis niedrigen Ausbaustufen und entsprechen nicht den Anforderungen der BA in Sachen Skalierbarkeit und Angebotsbreite." Sie favorisiert deshalb einen Multi-Cloud-Ansatz mit einem Mix aus nationaler/europäischer Cloud, vertrauenswürdigen Clouds sowie Public Cloud. Unter vertrauenswürdigen Clouds versteht sie Angebote, bei denen Hyperscaler ihre Dienste in Kooperation mit deutschen/europäischen Betreibern in rechtskonformen Infrastrukturen anbieten.
Die Nutzung entsprechender Cloud-Dienste ist für Nahles unverzichtbar, denn sie will in nächster Zeit auch die Prozesse im Hintergrund digitalisieren. "Nur ein digitales Frontend" ist ihr zu wenig. Zudem will sie erreichen, dass sich "die BA-Mitarbeiter nicht mit Standardprozessen abgeben müssen, wo sie im Grunde nur ihre Zeit sinnlos verplempern". Ein Beispiel, wo das bereits gut funktioniert, ist laut Nahles der Medizinische Dienst der Arbeitsagentur. Hier erstellen die Ärzte ihre Gutachten mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware. Allerdings könnten künftige Versionen der Software nicht mehr im eigenen Rechenzentrum gehostet werden, sondern müssten in die Cloud. Eine Erfahrung die der Arbeitsagentur in vielen Bereichen droht. "2024 bzw. 2025 werden viele unserer Tools, die wir heute nutzen, nur noch als Cloud-Lösung verfügbar sein", so Nahles.
Schatten-IT bei der BA
"Letztlich brauchen wir externe Cloud-Lösungen für unsere Prozesse, denn wir können dies nicht in unseren Rechenzentren aufsetzen", unterstreicht Nahles, "wenn wir das versuchen würden, wären wir zum Untergang verurteilt, denn es wäre sehr kostspielig und würde sehr lange dauern." Und Schnelligkeit braucht Nahles, wenn sie neue Apps einführen und die Schatten-IT bei der BA erfolgreich bekämpfen will. Auch die BA hat das Problem vieler Unternehmen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Meinung sind, sie bekämen von der IT nicht die Tools, die sie für ihre Arbeit benötigen. Sie würden dann einfach selbst zu Cloud-Lösungen greifen.
Geschwindigkeit bei der Einführung neuer Apps ist auch unter einem anderen Aspekt angesagt: Partnerunternehmen beklagten immer wieder, dass die Zusammenarbeit mit der BA so kompliziert sei. Sie würden dann beispielsweise das Einrichten einer WhatsApp-Gruppe vorschlagen, um die Kommunikation zu vereinfachen, so Nahles. Letztlich habe die BA ein Problem, wenn sie nicht in der Lage sei, ihre Service-Tools für Mitarbeiter und Kunden zu aktualisieren.
Auch an anderer Stelle drückt der BA-Chefin der Schuh, wenn sie fordert, "wir brauchen ein Jahrzehnt der Automatisierung". Die Forderung begründet sie damit, dass die Arbeitsagentur mit Blick auf die demographische Entwicklung bald nicht mehr genügend Mitarbeitende haben werde, um die Probleme der Kunden zu bearbeiten. Deshalb müssten viele Aufgaben weitgehend automatisiert werden.