Ex-Commerzbank-CIO Leukert
"Bei Paypal haben Banken den Zug verpasst"
Vor allem mit der Commerzbank ist Peter Leukerts Name verbunden. Der 43-Jährige stemmte die Integration der Dresdner Bank und erhielt dafür 2011 den Titel als "CIO des Jahres". Danach ging der Finanzmathematiker zu NYSE Euronext. Dort blieb er nicht lang: Seit wenigen Wochen arbeitet er bei FIS Capco.
cio.de: Herr Leukert, nach einigen Jahren bei der Commerzbank hatten Sie beim Börsenbetreiber NYSE Euronext ein kurzes Gastspiel. Warum sind Sie dort wieder weggegangen?
Peter Leukert: Ich bin immer gerne da, wo etwas passiert. Bei der Commerzbank hatten wir ja gerade die große Integration der Dresdner Bank erfolgreich abgeschlossen. Ich bin zu NYSE Euronext gegangen, weil das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt eine Fusionsvereinbarung mit der Deutschen Börse unterschrieben hatte. Das wäre natürlich eine echte Revolution gewesen, diese beiden Spieler zusammen zu bringen. NYSE Euronext betreibt mehrere Börsen in den USA, die Derivatebörse Liffe in London und vier kontinentaleuropäische Börsen. Die Deutsche Börse ist einer der größten Derivatehändler. Das hätte Industriestrukturen massiv geändert. Das hat mich motiviert. Zumal ich ja auch in Finanzmathematik promoviert habe.
cio.de: Dann funkten die Aufsichtsbehörden dazwischen.
Peter Leukert: Genau, die geplante Fusion wurde von der EU-Kommission aus Kartellrechtsgründen untersagt. Ich habe dann bei NYSE Euronext trotzdem einige spannende ProjekteProjekte umgesetzt. Jetzt wird wiederum NYSE Euronext von IntercontinentalExchange (ICE) übernommen. ICE zerschlägt NYSE Euronext. Das Ganze wird auf ein relativ simples Geschäftsmodell reduziert, da gibt es kaum noch komplexe IT-Projekte. Außerdem wollte ich nicht nach Atlanta, Georgia, ziehen (lacht). Dann kamen zwei Angebote: Eines von einer europäischen Großbank und das von FIS Capco. Alles zu Projekte auf CIO.de
Was die deutschen Banken kennzeichnet
cio.de: Sie werden sowohl in Deutschland als auch in den USA Büros haben. Was ist das Besondere am deutschen Bankenmarkt?
Peter Leukert: Die größte Besonderheit ist die Struktur. Sparkassen und Genossenschaftsbanken machen zwei Drittel des Marktes aus. Das heißt, dass der größte Marktanteil bei Instituten liegt, die primär gar nicht profitorientiert sind und die eine enge Verbindung zur Politik aufweisen. Das hatte natürlich seine Vorteile in der Krise, weil Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht die gleichen Probleme wie die Großbanken hatten. Der Nachteil ist andererseits, dass es in Deutschland einfach zu viele BankenBanken gibt. Top-Firmen der Branche Banken
cio.de: Und von den Konsumenten her?
Peter Leukert: Da liegt die Besonderheit darin, dass die Deutschen gern mit Lastschriftverfahren zahlen - Amerikaner benutzen lieber Schecks. Das hat jetzt im Rahmen von SEPA natürlich eine spannende Diskussion angestoßen. Denn SEPA wird das Leben der deutschen Kunden nicht unbedingt erleichtern, was ja das eigentliche Ziel sein sollte.
2 Treiber der Bankenbranche
cio.de: Wie sehen Sie die deutsche Bankenbranche derzeit?
Peter Leukert: Die Branche verändert sich. Für diesen Transformationsprozess gibt es zwei Treiber: Zum einen hat die Branche einen dramatischen Vertrauensverlust erlitten. Bei den Kunden, in der Politik, bei den Regulatoren - eigentlich bei allen. Der Bankier sollte aber jemand sein, dem man vertrauen kann. Die Banken müssen also sehr viel tun, um die Kunden wieder zu verstehen, um ihnen wieder nahe zu sein. Man hat in der Bank also wenig Zeit, sich um Themen wie die SEPA-Konvertierung zu kümmern. Das zweite große Thema sind Ökonomie und Profitabilität. Die Banken hatten über Jahre eine Profitabilität, die weit über der anderer Branchen lag. Deshalb sind auch viele gute Leute in die Bankbranche gegangen. Das ist jetzt erst einmal weg. Ich kenne einige, die die Branche gewechselt haben. Fakt ist: Diese beiden Treiber setzen die Banken unter enormen Handlungsdruck.
cio.de: Mit welchen Folgen?
Peter Leukert: Das wird die Struktur der Branche ein Stück weit ändern. Die Einsicht, dass man nicht alles selbst machen muss, ist in anderen Branchen schon länger üblich. Dies verstehen jetzt auch die Banken. Das reicht von klassischen Themen wie Wertpapierabwicklung oder Zahlungsverkehr bis hin zu neuen Themen wie die Schnittstelle zum Kunden in der mobilen Welt. Denn der Kunde agiert mit Smartphone, Tablet und mobilem Internet heute ganz anders als früher.
Wie kann eine Bank die Menge an Kundendaten - wenn wir jetzt mal beim privaten Endverbraucher bleiben - bewältigen? Wie kann die Bank wissen, wer der Kunde eigentlich ist?
Peter Leukert: Das ist eine hochspannende Diskussion. Eine Bank muss zunächst einmal akzeptieren, dass ihre Kunden absolut heterogen sind. Punkt. Ein One-size-fits-all Ansatz ist passé. Es gibt sehr viele Mikrosegmente. Und sogar ein und derselbe Kunde möchte vielleicht nicht mit seiner Bank reden, wenn es um Zahlungsverkehr geht. Wenn er aber ein Haus kauft, braucht er doch das Gespräch mit dem Experten. Das muss man als Banker verinnerlichen und die dazu richtigen, transparenten Prozesse und Produkte entwickeln und anbieten. Dazu kann man als Bank die Diskussion der Kunden beobachten - etwa in Social Media-Portalen. Diese Transformation alleine wäre bereits herausfordernd genug. Jedoch müssen die Banken parallel ebenso komplexe Aufgaben durch die neuen Regulierungen lösen. Und es gibt einen weiteren Aspekt: Die Banken müssen beobachten, wer ihre Wettbewerber sind.
Die neuen Wettbewerber Paypal, Google & Co.
cio.de: Nämlich wer?
Peter Leukert: Das unterschätzen die Banken im Moment noch - es gibt Wettbewerber, die gar keine Banken sind. Bei Paypal ist der Zug bereits abgefahren. Google zum Beispiel besetzt so viel Aufmerksamkeit des Kunden, das ist dramatisch. Banken müssen flexibler sein, wenn sie verstehen wollen, wie sie den Kunden erreichen. Es kann ja auch positive Effekte für eine Bank haben, wenn sie Angebote auch über andere Plattformen abwickeln kann und nicht immer alles vorn in der Filiale machen muss.
cio.de: Glauben Sie an den Tod der Filiale?
Peter Leukert: Nein, ich glaube nicht an den Tod der persönlichen Interaktion. Die Kunden kommen zwar immer weniger für Services wie etwa Überweisungen in die Filiale. Ich bin aber davon überzeugt, dass es die persönliche Beratung immer geben wird.
Komplexität ist bei Banken zu groß
cio.de: Wo sehen Sie das größte Problem für Banken heutzutage?
Peter Leukert: Es wurde über die Jahrzehnte eine massive Komplexität aufgebaut. So war ja auch ein mitunter nicht unberechtigter Vorwurf während der Krise, dass die Banker ihre Produkte selbst nicht mehr verstanden hätten. Ich meine nicht nur die Komplexität in den Geschäftsmodellen, sondern auch die daraus resultierende Komplexität in den Prozessen und IT-Systemen. Darüber wurde zu lange nicht gesprochen.
cio.de: Und das ändert sich jetzt?
Peter Leukert: Ja, denn diese Komplexität ist ein Problem. Zum einen wird man dadurch langsam in der Reaktion auf Kundenwünsche, zum anderen kostet sie zu viel Geld. Da besteht ein enormer Veränderungsbedarf. Und genau dabei möchte ich in meiner neuen Rolle mitwirken.
cio.de: Warum sollte ein Informatiker zu einer Bank gehen?
Peter Leukert: Weil es keine andere Branche gibt, in der die IT so wichtig für die eigentliche Wertschöpfung ist. Was ist der zentrale Punkt des Bankgeschäfts? Informationsverarbeitung. Deshalb spielt die IT in einer Bank so eine zentrale Rolle. Das ist spannender als zum Beispiel in der Baubranche. Die einzige Branche mit einer ähnlich hohen IT-Intensität ist der öffentliche Sektor.
Der CIO-Job ist People-Business
cio.de: Was muss den CIO in einer Bank auszeichnen?
Peter Leukert: Ein guter Bank-CIO zeichnet sich durch mehrere Fähigkeiten aus. Er muss ein breites Verständnis des Bankgeschäfts haben und ein guter Kommunikator sein. Essenziell ist zudem, dass er das, was die Kunden wollen, in IT übersetzen kann. Sehr wichtig ist daher eine klare strategische Vision - gepaart mit einer konkreten taktischen Umsetzungskompetenz. Ganz entscheidend: Die soziale Architektur ist wichtiger als die System-Architektur. Denn am Ende ist IT ein People-Business.
cio.de: Wie ändert sich die Rolle des CIO?
Peter Leukert: Früher waren die Anwendungen zentral vorgegeben. Dann wurden die Mitarbeiter geschult und so weiter. Heute stehen wir vor einer interessanten und grundlegenden Revolution: Wir gehen in Richtung "App-Store". Der CIO muss die IT-Architektur so umgestalten, dass er dem Berater oder Sachbearbeiter Lösungen nach dem Modell eines App-Stores anbieten kann, damit dieser sich seinen eigenen Bildschirm individuell zusammenstellen kann. Nicht nur der Endkunde, auch der Mitarbeiter hat sich dramatisch verändert. Viele Funktionen muss ich zudem Kunde und Mitarbeiter zur Verfügung stellen. Trotzdem müssen die Transaktionen zuverlässig abgewickelt werden und die Kundendaten sicher sein. Als CIO muss ich mir überlegen, wo die Schnittstelle ist, bis zu der ich zentral managen muss.
Das Gespräch führte Christiane Pütter.