Terror im Netz
Cybermobbing ist für viele Teenies weltweit Alltag
Der wahrscheinlich letzte Brief, den Tim Ribberink an seine Eltern schrieb, landete in der Zeitung: "Ich wurde mein ganzes Leben lang verspottet, gemobbt, gehänselt und ausgeschlossen", hieß es. "Ich hoffe ihr seid nicht sauer. Auf Wiedersehen." Kurz darauf setzte der 20-Jährige seinem Leben ein Ende. Drei Jahre sind seitdem vergangen, in den Köpfen der Öffentlichkeit verbleibt der Tod des Holländers als einer der tragischen Folgen von Internetmobbing. Eine Online-Studie von Vodafone und dem Meinungsforschungsinstitut YouGov hat nun weltweit Teenager befragt und festgestellt: Fast jeder fünfte Jugendliche hat wie Tim bereits unter Hassattacken im Netz gelitten.
Ein Nährboden für Cybermobbing sind vor allem Soziale Netzwerke: Mit fiesen Kommentaren auf Facebook, herablassenden Posts auf Instagram oder bloßstellenden Whatsapp-Videos sehen sich der Studie zufolge viele Jugendliche in ihrem Alltag konfrontiert. Fast 5000 junge Menschen im Alter von 13 bis 18 Jahren von Neuseeland und Südafrika bis Deutschland wurden dafür befragt. Die deutliche Mehrheit gab zu: Wer nicht selbst gemobbt wurde, dem ist mindestens ein Fall bekannt. Knapp über 40 Prozent hatten ein Opfer im engen Familien- und Freundeskreis. In Deutschland gab das jeder Dritte an.
Zahlen, die wachrütteln. Denn gerade Teenager leiden enorm unter den Schikanen im Netz. Über die Hälfte der Befragten in den insgesamt elf Ländern findet diese Art von Mobbing sogar schlimmer als Mobbing im realen Leben. "Cybermobbing ist eine neue Form von Gewalt, die die Grenzen des 'klassischen' Mobbings sprengt", sagt Kriminaldirektor Andreas Mayer, der für die Kriminalprävention der Länder und des Bundes zuständig ist. Das Internet gebe Tätern eine offene Plattform, ihre Opfer zu demütigen - und das rund um die Uhr.
Wer betroffen ist, weiß oft nicht weiter. Viele Jungen und Mädchen schotteten sich nicht selten von ihrer Umgebung ab und schwänzten die Schule. Fast jeder Fünfte spielte der Studie zufolge mit dem Gedanken, sich umzubringen oder verletzte sich selbst - ein bekanntes Muster bei Menschen, die gedemütigt und zurückgewiesen werden. Auch in Deutschland schaut es den Umfrageergebnissen zufolge ähnlich aus.
Mobbing im Netz hat viele Gesichter, es reicht von bösen Kommentaren bis hin zu Todesandrohungen: "Je älter Jugendliche werden, desto intensiver und härter können Attacken sein", sagt Kristin Langer, Mediencoach der Initiative "Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht". Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Jüngere harmloser sind. "Kinder wissen oft nicht, was sie anrichten", sagt Langer. Und gerade weil immer mehr von ihnen im Netz aktiv sind, steige die Zahl derer, die unbeabsichtigt Nachrichten und Gerüchte verbreiten. Fehlt der nette Smiley am Satzende, entstehe leicht ein Missverständnis.
Langer warnt dennoch davor, den Schwarzen Peter nur bei den Kindern zu suchen - denn eine Mitschuld können auch die Eltern tragen. Gerade junge Menschen, die in ihrem Leben nicht ausreichend anerkannt werden, verschafften sich Bestätigung anders. Auch Gruppenzwang, um am Ende nicht selbst zum Opfer zu werden, ist laut der Expertin ein Täter-Motiv.
Bei aller Liebe und Fürsorge in der Kindheit - passieren tut es immer wieder. Dann ist eine schnelle Reaktion der Erwachsenen besonders wichtig - "und zwar von dem Zeitpunkt an, an dem sie von dem Cybermobbing erfahren", sagt Kriminaldirektor Mayer. Obwohl die meisten Opfer ihren Eltern oder Bezugspersonen ihr Herz ausschütten, schweigt nach wie vor mehr als jeder Dritte.
Hilfe gibt es in einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz auch von sogenannten Medienscouts: Im Rahmen dieses Projekts geben Schüler Gleichaltrigen Tipps im verantwortungsvollen Umgang mit Google, Facebook oder Whatsapp und vermitteln ihr Wissen über das Netz. Eine sinnvolle Idee - wer hört schon auf Eltern, wenn es der beste Freund auch weiß? (dpa/tc)