Change-Projekte
Die Angst des Business vor der IT
Wenig Optimismus spricht aus den Worten des vormaligen General Electric-CEOs Jack Welsh: "Die Veränderung hat keine Anhänger. Die Menschen hängen am Status quo. Man muss auf massiven Widerstand vorbereitet sein", soll die Managerlegende einst gesagt haben. Die Analysten von Freeform Dynamics haben sich angesehen, wie Unternehmen Change-Projekte angehen. Ihre Studie "Defining the business change agenda" gibt Welsh insofern recht, als auch sie den Faktor Mensch zum zentralen Element erklärt.
Im Auftrag des indischen Dienstleisters Tata Consultancy Services hat Freeform Dynamics mit Entscheidern aus mehr als 120 Unternehmen gesprochen. Diese sitzen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Zunächst einmal sollten die Befragten den Aktualitätsgrad ihrer Geschäftspraktiken über die verschiedenen Abteilungen hinweg einschätzen. Dabei zeigen sie sich durchaus selbstkritisch: Lediglich Sales und Marketing erhalten von knapp 40 Prozent der Befragten die beste Einschätzung ("auf dem neuesten Stand"). Das Back-Office bekommt diese Wertung von rund 30 Prozent der Befragten. Alle anderen Bereiche - das sind Forschung und Entwicklung/Produkt-Management, Produktion/Logistik, Service und Support sowie Ausstattung der Arbeitsplätze - gelten nur bei rund jedem Fünften als hochaktuell.
Verbesserungsbedarf erkennen die Befragten also selbst. Change-Initiativen zielen ihrer Meinung nach vor allem auf Steigerung der Profitabilität (knapp 70 Prozent der Stimmen) und auf Kostenreduktion ab (gut 60 Prozent). Darüber hinaus wollen die Unternehmen Kundenbindung erhöhen, dem Wettbewerbsdruck standhalten und effizienter arbeiten. Compliance-Vorgaben spielen bei Change-Projekten als Treiber eine eher untergeordnete Rolle.
Stichwort Kundenbindung: Freeform Dynamics hat explizit beide Punkte abgefragt, die Bindung bestehender und das Gewinnen neuer Kunden. Dabei liegt die Kundenbindung deutlich vor der Akquise von Neukunden.
Change ist nicht gleich Change
Die Analysten unterscheiden zwischen Transformations- und Optimierungsprojekten. Unter Transformation verstehen sie, dass Dinge künftig grundsätzlich anders gemacht werden sollen, während es bei Optimierung darum geht, aus bestehenden Prozessen mehr herauszuholen. Letztere halten bei Change-Initiativen den Löwenanteil. Üblicherweise geht es um drei oder vier Schritte: Rationalisieren, Vereinfachen, Konsolidieren und gegebenenfalls Automatisieren.
Wer ein Change-Projekt anstößt, steht häufig vor der Frage, ob er bekannte Best Practices übernehmen oder Abläufe komplett neu entwickeln will. Das Übernehmen von Best Practices bietet sich insofern an, als es dann schon Vorlagen gibt.
Die aber passe nicht immer auf das jeweilige Unternehmen und seine Situation. Die Analysten wollten wissen, wo die größten Probleme für echte Transformationsprojekte liegen. Die Aussagen vieler Befragten kreisen letztlich immer wieder um die menschliche Seite. "Keiner will Entscheidungen treffen", ist eine typische Beschreibung der mangelnden Veränderungsbereitschaft.
Freeform Dynamics hatte alle 123 teilnehmenden Unternehmen nach einem eigenen Index sortiert, der eben diese Veränderungsbereitschaft misst. Er reicht von Null (keine Veränderungsbereitschaft) bis Eins (sehr gute Change-Kultur). 40 Unternehmen erreichten einen Wert von 0,75 oder mehr.
Diese haben sich die Analysten näher angesehen. Zunächst fielen ihnen zwei Faktoren auf: diese Firmen haben überdurchschnittlich häufig ein Programm zur kontinuierlichen Verbesserung etabliert und ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie sehr der Unternehmenserfolg von den Mitarbeitern abhängt. Der Fokus auf die Mitarbeiter sei bei diesen Befragten so stark gewesen, dass die Analysten selbst überrascht waren, wie sie schreiben.
Ein dritter wesentlicher Aspekt ist die Rolle der IT. Rund zwei Drittel der Top Performer geben an, die IT sei in hohem Maße auf die Unternehmensziele abgestimmt. Unter allen anderen Unternehmen sind es nur gut 20 Prozent.
Einer der Befragten aus den besonders erfolgreichen Unternehmen sagte den Analysten: "Sie brauchen die Technologie, um das Fundament zu bauen." Freeform Dynamics beobachtet aber, dass IT-Infrastruktur und Anwendungslandschaft in vielen Unternehmen über die Jahrzehnte zu einem gewaltigen Flickwerk angewachsen sind. Den Umgang damit halten sie für eine der größten Herausforderungen bei Change-Projekten überhaupt. Einer der Studienteilnehmer sagte denn auch: "IT kann viele Probleme lösen - aber auch zur Produktivitätsbremse werden."
Business Intelligence ist anerkannt, Collaboration nur bedingt
Unabhängig vom Change-Index der Befragten wollte Freeform Dynamics wissen, welchen Stellenwert bestimmte IT-Funktionalitäten in Bezug auf Transformations- und Optimierungsprojekte genießen. Business Process ManagementBusiness Process Management und herkömmliche BI-Anwendungen (Business IntelligenceBusiness Intelligence) sehen jeweils mehr als 60 Prozent der Befragten als wichtig an. StorageStorage und Informations-Management, Integrations-Technologien und Collaboration-Tools kommen jeweils auf gut 40 Prozent der Stimmen. Allerdings: fast ebenso viele erklären, die "Jungs aus der IT" (engl. Original "the IT guys") sprächen zwar viel davon, man selbst sei jedoch nicht überzeugt. Alles zu Business Intelligence auf CIO.de Alles zu Business Process Management auf CIO.de Alles zu Storage auf CIO.de
Auffallend ist auch der Punkt Analytics. Zwar schreiben mehr als 40 Prozent Analyse-Technologien eine Schlüsselfunktion für Change-Projekte zu - aber rund ein Drittel widersprechen dieser Einschätzung.
Diese Fragen verdeutlichen den zwiespältigen Blick auf die IT. Ein Studienteilnehmer sagte den Analysten: "Bei solchen Projekten muss man immer aufpassen, dass die von der IT nicht alles an sich reißen und die Business-Ziele zweitrangig werden." Nach Darstellung der Analysten haben die Top Performer solche Bedenken deutlich seltener, eben weil die IT bei ihnen von vornherein enger mit der Geschäftsleitung abgestimmt ist.
IT ist aber nur eine mögliche Baustelle bei Veränderungsprozessen. Die großen Knackpunkte sind organisatorischer Art. Das heißt konkret: Den Studienteilnehmern ist vor allem unklar, wer der Prozesseigner ist (etwa 60 Prozent der Nennungen) und wer die Informationshoheit besitzt. Außerdem mangelt es an Management-Fähigkeiten. Konflikte zwischen den Abteilungen erschweren Change zusätzlich. All diese Punkte fallen schwerer ins Gewicht als beispielsweise Budgetknappheit und Probleme mit der IT.
Die Gespräche der Analysten zeigen, dass die Verantwortung für Prozesse und Informationen insbesondere dann schwierig wird, wenn mehrere Abteilungen involviert sind. Da seien zum einen ganz praktische Fragen zu klären, vor allem aber politische.
Wer es besser machen will, der braucht nach den Worten von Freeform Dynamics eine Kultur der Veränderungsbereitschaft - und Disziplin. Disziplin bezieht sich zunächst einmal auf die eindeutige und klare Definition der Unternehmensziele. Erst von dieser Basis aus können Transformations- und Optimierungsprojekte unterschieden und für jeden Change die richtige Vorgehensweise gefunden werden. Die Analysten sehen die IT grundsätzlich in einer Schlüsselrolle.
Banken besonders gefordert
Den Analysten ist bewusst, dass jede Branche mit ihren spezifischen Herausforderungen zu kämpfen hat. Insbesondere die Finanzbranche habe viele Compliance-Vorgaben umzusetzen. Accenture-Analyst Samad Masood sagte im März im Gespräch mit cio.de, die Aufgaben an eine Bank - neben Regularien sind das etwa das veränderte Kundenverhalten und hohe Sicherheitsanforderungen - seien heutzutage nur mit IT zu lösen. Glaubt man Masood, haben BankenBanken aber auch die finanziellen Mittel, um begabte Informatiker einzustellen. Top-Firmen der Branche Banken
Sponsor der Freeform Dynamics-Studie ist Tata Consultancy Services, und so darf ein Kapitel über OutsourcingOutsourcing nicht fehlen. Externe Dienstleister können eventuell mit Spezialwissen aufwarten, so Freeform Dynamics. Außerdem werden gegebenenfalls unternehmenseigene Ressourcen frei. Alles zu Outsourcing auf CIO.de
Die Analysten möchten mit ihrer Studie niemanden entmutigen. Sie schließen denn auch mit der Behauptung, wo ein Wille - in diesem Fall ein Veränderungswille - sei, gebe es auch einen Weg.
- Studie über Change-Management
Der Marktforscher Freeform Dynamics hat im Auftrag des indischen Dienstleisters Tata Consultancy Services eine Studie über Change-Projekte durchgeführt. Teilgenommen haben rund 120 Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. - Stand der Prozesse
Nicht in allen Abteilungen sehen sich Unternehmen auf dem neuesten Stand. Die aktuellste Ausstattung sehen Entscheider bei Sales und Marketing. Auch das Back-Office zeigt sich gut aufgestellt. Insgesamt aber gibt es Verbesserungsbedarf. - Treiber von Change-Projekten
Insbesondere der Wunsch, die Profitabilität zu steigern sowie die Kosten zu senken, treiben Change-Initiativen. Auffallend ist der geteilte Blick auf den Kunden: bestehende Kundenbindungen zu festigen, ist wichtiger, als neue Kunden zu akquirieren. Compliance-Vorgaben kommt mittlere Bedeutung zu. - IT-Alignment
Firmen, die eine besonders hohe Veränderungsbereitschaft aufweisen, stimmen ihre IT besser auf die Geschäftsziele ab. Daher arbeiten Business und IT bei Change-Projekten auch besser zusammen. Wo diese Abstimmung fehlt, haben Betriebswirte Sorge, die IT könne in solchen Projekten zu viel Einfluss gewinnen und die Business-Ziele aus den Augen verlieren. - Business-Intelligence ist anerkannt
Die IT hat ihre Rolle in Veränderungsprozessen noch nicht gefunden. Der Sinn von herkömmlichen BI-Anwendungen (Business Intelligence) ist in den Unternehmen mittlerweile aber unstrittig. - Was Change-Projekte hemmt
Die größten Hemmnisse für Veränderungen in Firmen liegen auf organisatorischer Seite. Unklare Verantwortlichkeiten und Zwist der Abteilungen untereinander erschweren den Change. Solche Faktoren wiegen schwerer als Probleme mit der IT.