Deutschland

Die Ausgestoßenen

30.06.2008
Von Christian Rickens und Henrik Müller
Linksruck in der Politik, Top-Manager am Pranger, Steuerrazzien im TV - mit Befremden nehmen die Leistungsträger die veränderte Stimmung im Land wahr. Viele ziehen die Konsequenzen. Und wandern aus.

Edwin Kohl konnte nicht anders, er musste sich einfach aufregen. Es war Sonntagabend, und der Pharmaunternehmer saß allein vor dem Fernseher. In einer Talkshow sah Kohl den SPD-Politiker Ottmar Schreiner. Der schimpfte über die "Profitgier" vieler Unternehmer. Ein Ausdruck, mit dem Kohl seine Motivation nur unzureichend beschrieben sieht.

Kohls Laune war im Keller. Es war einer jener Tage, an denen er sich fragte, was ihn eigentlich noch in Deutschland hält. Um sich seiner Alternativen zu vergewissern, brauchte Kohl lediglich den Kopf vom Fernseher wegzudrehen und aus dem Fenster seines Wohnzimmers zu schauen.

Von dort geht der Blick weit über die dunkel daliegende Mosel bis zu den Lichtern des Dorfes Schengen am gegenüberliegenden Ufer. Ausgerechnet jener kleine luxemburgische Ort, dessen Name mit dem Schengen-Abkommen zum Synonym für Freizügigkeit wurde, könnte auch für Kohl eine neue Heimat bieten. Der 58-Jährige will sein Unternehmen in einigen Jahren an zwei seiner Söhne übergeben. In Luxemburg gibt es keine Erbschaftsteuer.

Wenn Kohl und seine Söhne ihren Wohnsitz rechtzeitig auf die andere Moselseite verlegen und ihre Neuinvestitionen dort ansiedeln, könnten sie bei der Unternehmensübergabe zig Millionen Euro Steuern sparen - ohne dass sich am Alltag für Kohl und seine rund 1.400 Beschäftigten viel änderte: "Wir hätten einen zehn Minuten längeren Weg zur Arbeit, das ist alles."

Vor Kurzem erst hatte ein luxemburgischer Minister Kohl am Rande einer Veranstaltung angesprochen: Wann er denn in Luxemburg mit dem Investieren anfangen wolle. Gerade jetzt habe man wieder ein sehr schönes freies Gewerbegrundstück für ihn ...

Was für ein Kontrast zu Ottmar Schreiner, dachte der Unternehmer Edwin Kohl an jenem Sonntagabend. Was für ein Kontrast zu Deutschland. Ein neues Unbehagen an ihrem Heimatland hat sich breitgemacht in der deutschen Wirtschaftselite.

Neu erwachter Heimatfrust der Top-Manager

Mit Unverständnis beobachten Manager und Unternehmer, dass der Wunsch nach mehr Umverteilung und sozialer Sicherheit in der deutschen Gesellschaft erneut Fuß fasst, dass linkes Gedankengut bis weit hinauf in die deutsche Mittelschicht wieder salon- und mehrheitsfähig geworden ist. Und geradezu abgeschreckt zeigen sich die Wirtschaftslenker von der Willfährigkeit, mit der selbst die bürgerlichen Parteien CDU und CSU ihre Politik den neu erwachten Sehnsüchten der Wähler anpassen.

Unternehmer und Manager, qualifizierte Nachwuchskräfte und Vermögende stellen sich große Zukunftsfragen: Was wird aus diesem Land? Sind wir hier eigentlich noch erwünscht? Können wir uns hier noch entfalten? Und immer mehr Leistungsfähige und Leistungswillige beantworten diese Fragen mit Nein. Wie Edwin Kohl tragen sie sich mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen.

Der neu erwachte Heimatfrust der Business-Class kommt überraschend. In den letzten zwei, drei Jahren hatte sich die Stimmung in den gehobenen Etagen der Wirtschaft deutlich verbessert. Ein neues Deutschland-Gefühl breitete sich aus, getragen vom Wiedererstarken der IndustrieIndustrie, von Wettbewerbsfähigkeit auf Weltniveau - und vom Vertrauen in die Große Koalition, die zwar nicht den großen Sprung nach vorn wagte, aber immerhin sachlich zu Werke ging. Top-Firmen der Branche Industrie

Nun erleidet das Vertrauen in die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Nation erneut Rückschläge. Ein schwer genießbarer Cocktail hat sich da zusammengebraut. Zutaten: die Erfolge der Linkspartei; die wirklichkeitsfremde Reform der Erbschaftsteuer; die publikumswirksam inszenierten Steuerrazzien gegen Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel und andere, gefolgt von schrillen verbalen Ausfällen der Politik gegen die Top-Manager. All das verstärkt in den Köpfen vieler Topleute das Gefühl: Wir sind hier nicht willkommen.

"Unter Rot-Grün gab es bereits einen starken Drang ins Ausland", sagt der Unternehmensberater Matthias Geisler von der Firma Globogate, einem Dienstleister, der Abwanderungswillige unterstützt. "Seit vorigem Sommer und erst recht seit den Steuerrazzien im Februar haben die Anfragen wieder stark zugenommen."

Hinwendung zum Ausland verstärkt sich

Knapp die Hälfte der deutschen Aktionäre äußert in einer Emnid-Umfrage Verständnis dafür, dass Wohlhabende mit ihrem Geld steuerschonend ins Ausland gehen.Immerhin ein Viertel hält die "Hexenjagd auf Steuersünder" im Zuge der Liechtenstein-Affäre für falsch. Und ein Siebtel aller Aktionäre hat schon mal überlegt, wegen der hohen deutschen Steuern selbst Geld ins Ausland zu schaffen.

Während Auswanderer-Shows im Privat-TV ("Mein neues Leben XXL") deutsche Maurer in Kanada, Tischler in Südafrika oder Tanzlehrer in Connecticut präsentieren und dem breiten Publikum den Traum vom fröhlicheren Sein jenseits deutscher Grenzen einpflanzen, während knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung inzwischen mit dem Gedanken spielt, auszuwandern, sind die Besten und die Reichen tatsächlich auf dem Sprung.

"Seit Sommer 2007 hat sich die Hinwendung zum Ausland deutlich verstärkt. In jedem zweiten Evaluationsgespräch fragen mich die Kandidaten, ob ich nicht eine Position im Ausland für sie habe", berichtet Tiemo Kracht, Geschäftsführer der Personalberatung Kienbaum. Dabei kommt der Wunsch nach einem Auslands-Job nicht etwa von verkrachten Sachbearbeitern, sondern vor allem von Bereichsleitern, Geschäftsführern und Vorständen.

Der aktuelle Stimmungswandel verschärft eine problematische Tendenz, die bereits seit Jahren die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gefährdet: die größte Auswanderungswelle seit dem späten 19. Jahrhundert. Über 150.000 Bundesbürger verlassen derzeit das Land, Jahr für Jahr.

Es sind überwiegend überdurchschnittlich gut ausgebildete, überdurchschnittlich wohlhabende Leute, auf die die alternde und schrumpfende deutsche Gesellschaft eigentlich nicht verzichten kann. Sie werden gebraucht - als Wertschöpfer und als Steuerzahler, als Beweger und als Vorbilder.

Die Fortzüge wären nicht weiter problematisch, wenn zugleich viele leistungsfähige Ausländer einwanderten. Doch die kommen nur in homöopathischer Anzahl. Deutschland ist dabei, den Wettbewerb um die besten Köpfe zu verlieren.

Der Wirtschaftselite fehlt die politische Heimat

"Für mich gibt es eigentlich keinen Grund zurückzukommen", sagt Gilbert Fischer (33). Seit 2001 arbeitet der Finanzmarktprofi im Ausland, zunächst in London, inzwischen in der Züricher Filiale der US-Brokerfirma Cantor Fitzgerald. Und als Nächstes? Vielleicht nach Asien. Wer weiß, wo der nächste spannende Job wartet.

Gilbert Fischer, rasierter Schädel, blitzschnell im Kopf, ständig in Aktion, sagt, er fühle sich im Ausland einfach wohler. Klar, auch die niedrigeren Einkommensteuern machten die Schweiz attraktiv, vor allem aber sei das emotionale "Environment" angenehmer. "Wenn du Gas geben willst, wenn du Erfolg haben willst, kannst du dich hier entfalten."

Wer geht, der hat sich in Deutschland eingeengt gefühlt - nicht nur finanziell, sondern überhaupt. In einer Online-Befragung hat das "Manager Magazin" deutsche Emigranten der aktuellen Welle nach ihren Motiven und Erfahrungen gefragt - und danach, was sie möglicherweise zur Rückkehr bewegen könnte. Es ist eine der raren empirischen Untersuchungen unter Menschen, die tatsächlich das Land verlassen haben. Die Ergebnisse sind nicht gerade ermutigend für die deutsche Gesellschaft.

Allerdings bemüht sich auch niemand ernsthaft, die mobilen Leistungsträger im Land zu halten. Während andere Staaten um die besten Köpfe auf der ganzen Welt werben - auch mit maßgeschneiderten Steuerregeln -, tut die deutsche Politik das genaue Gegenteil: Sie setzt auf Abschreckung.

Dabei ist es eine Sache, wenn Ottmar Schreiner auf die Profitgier der Unternehmer schimpft. Das lässt sich in den Augen der Wirtschaftselite zur Not noch als linke Folklore verbuchen. Schwerer wiegt, dass sich inzwischen nahezu das gesamte Polit-Establishment von der Wirtschaft entfremdet hat.

Die CDU, die sich unter Angela Merkels FührungFührung zunächst so eindeutig als wirtschaftsliberale Reformpartei positioniert hatte, ist nach links gerückt. Fassungslos haben Unternehmer und Manager seit der Wahl 2005 zugesehen, wie sich die CDU in eine sozial-konservative Partei zurückverwandelte: Die CDU trug die "Reichensteuer" mit, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die partielle Zurücknahme der "Agenda 2010". "Populismus pur", sagt Patrick Adenauer, Vorsitzender des Familienunternehmerverbands ASU. Alles zu Führung auf CIO.de

Und die Opposition? Auch in der FDP vermag die frustrierte Wirtschaftselite keine rechte Heimat zu finden. "Die FDP hat ein Personalproblem", sagt Adenauer, "und das fängt an der Spitze an. Inhaltlich hat Guido Westerwelle alles verstanden, aber er schafft es nicht, seine Botschaften mit Herz rüberzubringen."

Erbschaftssteuerreform in der Kritik

Die Unternehmer fühlen sich von der Politik nicht mehr repräsentiert. Es ist niemand da, dem sie vertrauen. Dies ist die eine Wahrheit.

Eine andere Wahrheit offenbart sich im Gespräch mit Mitgliedern der Bundesregierung. Die Wirtschaftselite, so die Sicht selbst liberaler Unionspolitiker, bekomme einfach nicht mehr mit, was sich in der Gesellschaft verändert. "Wir haben in der Mittelschicht ein massives Bedürfnis nach Absicherung gegen den sozialen Abstieg. Dieses Thema wird die nächste Wahl entscheiden", sagt ein als wirtschaftsfreundlich bekanntes Kabinettsmitglied. Und dann wunderten sich die Unternehmer, "wenn wir wegen der Erbschaftsteuer nicht die Koalition platzen lassen".

Die Erbschaftsteuerreform. Nirgendwo lässt sich das aktuelle Unverständnis zwischen Wirtschaft und Politik so deutlich ablesen wie an diesem Punkt. In den Augen von CDU und SPD ist die Bundesregierung den Unternehmerfamilien denkbar weit entgegengekommen: Wer in Zukunft Unternehmensanteile erbt, kann weitgehend von der Erbschaftsteuer befreit werden.

Ein enormes Privileg; die Erben von größeren Immobilien- oder Barvermögen müssen fast ein Drittel des Nachlasses an den Staat abgeben. Doch der Steuerrabatt für Entrepreneure gilt nur unter zwei Voraussetzungen: Der Erbe muss das Unternehmen den bisherigen Plänen zufolge 15 Jahre lang weiterführen. Und die Lohnsumme des Unternehmens muss für die ersten zehn Jahre nach dem Erbfall mindestens 70 Prozent der durchschnittlichen Lohnsumme vor dem Erbfall betragen.

Es sind diese Klauseln, die den Unternehmer Edwin Kohl demnächst ins Ausland treiben könnten. "Wenn Kohl Pharma in eine Krise geraten sollte, sehen sich meine Söhne vielleicht gezwungen, Personal abzubauen - und müssen dann genau in dem Moment, wo das Geld ohnehin knapp ist, auch noch Steuern nachzahlen. Das könnte die Insolvenz bedeuten."

In den nächsten Jahren will Kohl neue Anlagen aufbauen, die mit innovativer Technologie importierte Arzneimittel umpacken. Bislang plant er diese Investition am saarländischen Stammsitz. "Kommt die Erbschaftsteuerreform wie geplant, wird dies nicht der Fall sein." Luxemburg wäre für ihn die naheliegende Alternative, und die Standortentscheidung eine Vorstufe zum späteren privaten Umzug Kohls.

Wegzugsfantasien bleiben geheim

Sollten es nur einige wenige Unternehmer Kohl gleichtun, dürfte der volkswirtschaftliche Schaden das ohnehin bescheidene Erbschaftsteueraufkommen bei Weitem übersteigen. Und bereits heute, bevor sie in Kraft getreten ist, kostet die Reform Arbeitsplätze.

Zum Beispiel in den Allegro-Möbelwerken im niedersächsischen Melle. Hier produzieren rund 100 Beschäftigte Couchtische und Hi-Fi-Möbel. Deutscher Mittelstand pur. Die beiden Gründer, Petra Ledendecker und Manfred Zimmer, wollen das Unternehmen in einigen Jahren an ihre Nachkommen übergeben. Bereits heute bereiten sie sich auf den Erbfall vor, indem sie möglichst wenige Arbeitsplätze schaffen."

Je mehr Leute wir jetzt einstellen, desto schwerer haben es unsere Erben, die Lohnsummen-Klausel zu erfüllen", sagt Petra Ledendecker. Das Möbelgeschäft lief gut im vergangenen Jahr, rund zehn neue Mitarbeiter hätte Ledendecker gebrauchen können. Stattdessen hat sie sich lieber mit einigen Zeitarbeitskräften beholfen und mehr Produktion an ausländische Zulieferer verlagert. So bleibt die Lohnsumme niedrig. Ein Beispiel dafür, wie selbst bei Unternehmen, die nicht ins Ausland ziehen, die Erbschaftsteuer zur Verlagerung von Wertschöpfung führt - also zum genauen Gegenteil des gewünschten Ziels.

Wer sein Vermögen ungeschmälert an die nächste Generation weitergeben möchte, dem bieten sich in Europa viele attraktive Alternativen. Österreich, die Schweiz, Luxemburg, Schweden, Italien - sie alle haben das Vererben steuerfrei gestellt. Voraussetzung ist in aller Regel die Übersiedlung der gesamten Familie; ganze Unternehmerdynastien gehen Deutschland auf diese Weise Jahr für Jahr verloren.

Viele sind inzwischen so verunsichert, dass sie ihre Wegzugsfantasien auf jeden Fall geheimhalten wollen. Bloß kein Aufsehen erregen, bloß nicht das Finanzamt aufschrecken. "Ein tiefes Misstrauen gegenüber Staat und Öffentlichkeit", diagnostiziert Friedrich Schmidl, der im Auftrag der Austrian Business Agency deutschen Unternehmern den Weg nach Österreich ebnet. "Viele wollen sich mit mir nicht mehr in der Firma treffen, sondern irgendwo in einer Hotellobby, weil's anonymer ist." Noch nie habe er so viele Vertraulichkeitsverpflichtungen unterschreiben müssen wie derzeit.

Insofern zeigt das große Steuer-Halali Wirkung. Aber statt, wie erhofft, zu erhöhten Staatseinnahmen, wird es längerfristig eher zu Einnahmeausfällen führen - weil noch mehr Leistungsfähige das Land verlassen.

Rechtsunsicherheit und bürokratischer Aufwand als Auswanderungsgründe

Statt auf Attraktivität setzt Deutschland auf Repression. Der Einsatz des Bundesnachrichtendienstes gegen mutmaßliche Steuerhinterzieher ist symptomatisch für die Einschränkung rechtsstaatlicher Prinzipien in Steuerfragen.

Mit immer neuen Regeln versucht die Finanzbürokratie, den Fortzug von Unternehmen und die Verlagerung von Betriebsstätten ins Ausland zu behindern. Immer wieder schreitet der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein - gegen keinen EU-Staat haben die Luxemburger Richter so viele Verfahren in Sachen direkter Steuern geführt wie gegen die Bundesrepublik, weil der deutsche Fiskus die EU-weite Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit behindert.

Häufige Änderungen von Steuergesetzen und -verordnungen sorgen für Rechtsunsicherheit. In Unternehmerkreisen hat sich das Gefühl ausgebreitet, der Behördenwillkür ausgeliefert zu sein. Dazu kämen der enorme bürokratische Aufwand und der zum Teil überzogene Formalismus seitens der Finanz- und Sozialbehörden, sagt Martin Grollmann, ein Hamburger Wirtschaftsprüfer, der viele Auswanderungswillige berät: "Wir Deutschen machen uns gegenseitig das Leben schwer." Die Schweiz oder Österreich agierten flexibler und umgänglicher. Auch deshalb erschienen sie vielen attraktiver.

Eben dies ist die große Herausforderung, der sich jede Nation in Zeiten der Globalisierung stellen muss: Wie schafft es die große Mehrheit der immobilen, heimattreuen Bürger, die hochproduktiven Mobilen an sich zu binden? Und wie gelingt es, dass sie sich im Land engagieren - wirtschaftlich, sozial, politisch -, statt einfach zu gehen?

Deutschland steht diesen Fragen reichlich ratlos gegenüber. Die kulturellen Bindekräfte, die die Mobilen halten könnten, sind nicht sonderlich stark. Mit patriotischer Pflicht braucht man jedenfalls kaum jemandem zu kommen. So ist der Akt der Emigration zu einer ganz sachlichen Angelegenheit geworden. Man geht eben, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis anderswo günstiger erscheint.

Ausgewanderte Unternehmer: Beispiel Werner Bukowski

Werner Bukowski (55) liebäugelte schon lange mit der Schweiz, "wegen der Steuern". Noch ein Jahrzehnt bis zur Rente, da könnte man doch mal das Nettogehalt steigern und dann mit dem Ersparten ganz entspannt in den Ruhestand gleiten - eine verlockende Vorstellung.

Ein Headhunter vermittelte ihm einen Job bei der Schweizer Dependance des PC-Herstellers Dell. Seit einem Jahr wohnen Bukowski und seine Frau nun in Zürich und wollen bleiben. Mit den Schweizern sei es zwar nicht so einfach, Kontakt zu bekommen, erzählt er, aber unter den 100.000 Ausländern, darunter 35.000 Deutsche, die in Zürich leben, gebe es ja genug Auswahl an Leuten.

Keine Gesellschaft kann es sich auf Dauer erlauben, ihre leistungsfähigsten Mitglieder ziehen zu lassen. Zum einen aus fiskalischen Gründen: Die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher tragen in Deutschland die Hälfte des gesamten Einkommensteueraufkommens. Zum anderen halten gerade die jungen, gut ausgebildeten Aufstiegshungrigen gesellschaftliche Innovationsprozesse am Laufen - auch indem sie jenen Mut zur Veränderung aufbringen, den eine alternde, verängstigte Gesellschaft dringend benötigt.

Mit anderen Worten: Jemanden wie Daniel Gorin sollte Deutschland nicht verlieren. Bereits als Gymnasiast gründete er seine Firma Phase-6.de, die Lern-Software programmiert und an deutschen Schulen vertreibt. Das Betriebswirtschaftsstudium brach Gorin nach einigen Semestern ab. Obwohl Deutschland der Ausgangspunkt seines Unternehmens war, sah Gorin sich gezwungen, Firmen- und Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen: "Das Wachstum meines Unternehmens finanziere ich bislang ausschließlich aus den Gewinnen. Jeder Euro, den ich ans Finanzamt zahle, bremst die Expansion." Und expandieren, das will der 26-Jährige.

Inzwischen besitzt er eine Niederlassung in Kalifornien, möchte von dort den US-Markt für Lern-Software aufrollen. Schnell bemerkte er die Unterschiede, mit denen man ihm diesseits und jenseits des Atlantiks begegnete: "An deutschen Schulen fragen mich die Lehrer schon mal höhnisch, ob ich meine erste Million schon beiseite geschafft hätte."

In Kalifornien hingegen hatte Gorin kaum gesagt, er sei Software-Unternehmer, da fand er sich vor einer Highschool-Klasse wieder, vom Lehrer vorgestellt mit den Worten: "Das ist Daniel, der will mal werden wie Bill Gates. Und wenn ihr groß seid, könnt ihr das auch."

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.

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