Strategie-Chaos

Die peinlichen Schatten-Spiele der SPD

04.12.2019
"Am Nikolaus ist GroKo-Aus" - danach sieht es bei der SPD gerade nicht mehr aus. Die Parteiführung muss aber Akrobatik beherrschen, um die Sozialdemokraten nicht zu spalten. Ob das gelingt ist ungewiss.
Die SPD zerstört sich selbst.
Die SPD zerstört sich selbst.
Foto: photocosmos1 - shutterstock.com

Ein wenig fühlt man sich erinnert an die Tage nach dem Brexit oder der Wahl von US-Präsident Donald Trump: Es wird abgestimmt, das Ergebnis überrascht - und einige fragen sich: Haben wir das gerade wirklich gemacht? Die Mehrheit der SPD-Mitglieder will zwei GroKo-Kritiker an der Spitze sehen. Doch es scheint, als werde den designierten Parteichefs und ihren prominentesten Unterstützern gerade klar, was der anfangs so vehement - wenn auch mit Einschränkungen - vertretene Rückzug aus dem Regierungsbündnis mit CDU und CSU für die SPD tatsächlich bedeutet.

Beispiel Kevin Kühnert. Der Juso-Chef war der eloquente Kopf der #NoGroko-Kampagne von Anfang 2018. Ohne ihn wären Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans womöglich heute nicht angehende Parteichefs - und die SPD hätte in den vergangenen Monaten viel seltener über die Zukunft des Regierungsbündnisses diskutiert. Die Zeitung "Welt" nannte Walter-Borjans und Esken "Kühnerts Trojaner", eine Möglichkeit, seine Ideen an höchster Stelle durchzusetzen. Man könnte erwarten, dass der 30-Jährige jetzt erst recht trommelt für ein "GroKo-Aus an Nikolaus", wie es seine Jusos vor nicht mal zwei Wochen noch laut getan haben.

"Ich habs euch doch gesagt"

Doch das tut Kühnert nicht, er hat sich nach der Wahl seiner Favoriten nicht einmal allzu laut gefreut oder "Ich habs euch doch gesagt" gerufen. Stattdessen weist der Juso-Chef seine Partei auf die Folgen eines GroKo-Rückzugs hin: Man gebe dann einen Teil der Kontrolle aus der Hand, sagt er der "Rheinischen Post". Das will Kühnert als "ganz nüchterne Feststellung" verstandenen sehen, keinesfalls als Ratschlag oder Warnung an die Delegierten. An seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Koalition habe sich auch nichts geändert. Doch inzwischen kommt ihm ein "Aber" leichter über die Lippen.

So sagt Kühnert zugleich, die Delegierten sollten die möglichen Folgen bei ihrer Entscheidung auf dem Parteitag berücksichtigen - "nicht, weil sie Angst bekommen sollen, sondern weil Entscheidungen vom Ende her durchdacht werden müssen". Auf keinen Fall dürfe die SPD nur pro forma und taktisch mit der Union sprechen, um dann einen Grund zu haben, die Koalition brechen zu lassen. Das sind ungewohnte und sehr durchdachte Töne.

SPD-Mitglieder werden enttäuscht sein

Sie zeigen: Man muss ein wenig Akrobat sein im Moment an der SPD-Spitze. Auch ein Kevin Kühnert, der sonst eher für Radikalität als Spagat bekannt ist - und der auf dem Parteitag stellvertretender Vorsitzender werden will. Denn egal, wie der Parteitag Ende der Woche ausgeht, ein Teil der SPD-Mitglieder wird enttäuscht sein. "Unsere Gegner wollen, dass es uns zerreißt", hatte Kühnert direkt nach dem Stichwahl-Ergebnis gewarnt und betont: "Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun."

Wie sich andeutet, könnten aber vor allem seine Anhänger und die Vertreter des linken Flügels enttäuscht werden, die bei der Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und dessen Teampartnerin Klara Geywitz gestimmt hatten, gegen den Regierungskurs. Sie äußern ihre Befürchtungen schon jetzt: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, "man habe sich mit scharfen Worten gegen die große Koalition in Ämter wählen lassen und könne sich danach an nichts mehr erinnern", warnt der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach die angehenden Parteichefs. Die SPD-Linke Hilde Mattheis fordert bei "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" eine klare Entscheidung auf dem Parteitag: Weiter so oder raus aus der GroKo - alles andere sei inkonsequent.

Die Revolte ist abgesagt

Doch ganz so wird es wohl nicht kommen - zumindest, wenn es nach der Parteiführung geht. Esken und "Nowabo", die den Regierungsbetrieb mit Bedingungen für eine Weiterführung der Koalition in Atem gehalten hatte, lassen seit ihrem Sieg vor allem durch das aufmerken, was sie nicht sagen. In den vergangenen Tagen war fast gar nicht mehr die Rede davon, dass man der Partei einen Ausstieg aus der Koalition empfehlen werde, wenn die Union dies oder jenes nicht mitmache. Die aufgeregte Revolte scheint abgesagt. Stattdessen nüchterner Realismus, Augenmaß. Das Machbare rückt in den Mittelpunkt.

Mit der Union will man über Klimaschutz, staatliche Milliardeninvestitionen und einen höheren Mindestlohn sprechen. Doch die vorläufige Version des Leitantrags liest sich moderat. Einige Passagen könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wohl ohne Zögern unterschreiben. Es sei "kein Provokationspapier", hatte ein Vertreter des erweiterten Präsidiums am Dienstag gesagt. Am Mittwoch wurde an den Formulierungen noch gearbeitet, nicht alle waren zufrieden. Am Donnerstag soll der Leitantrag vom Parteivorstand beschlossen, am Freitagnachmittag auf dem Parteitag zur Diskussion gestellt werden.

Der wahrscheinlichste Ausgang: Die SPD verschiebt die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Koalition, spricht erstmal mit CDU und CSU über wichtige Themen. Das kann Wochen dauern - und am Ende allen Sozialdemokraten in die Karten spielen. Denn derzeit fehlt beiden Lagern eine einleuchtende Begründung - sowohl zur Frage, warum sie die GroKo verlassen, als auch zu der, warum sie bleiben sollten. Dabei muss die SPD aber aufpassen, dass die Debatte um die große Koalition nicht wirklich Brexit-artig wird: eine schier unendliche Geschichte. (dpa/rs)

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