Raus aus der Warteschleife?

Die Politik und das "Uni-Prekariat"

09.02.2015
Zehntausende teils gar nicht mehr so junge "Nachwuchswissenschaftler" müssen an deutschen Unis mit Zeitverträgen über die Runden kommen. Jetzt nimmt sich die Politik des Problems an. Union und SPD handeln derzeit aus, wie groß die Reformschritte ausfallen können.

Fälle wie die von Nicki Frank Hinsche (32) und Florian Leitner (37) soll es nach dem Willen der großen Koalition bald nicht mehr geben. Die beiden promovierten Wissenschaftler sehen sich als Teil eines wachsenden "Uni-Prekariats" - Union und SPD haben sich aber nun vorgenommen, dieses Jahr die Lage von Forscher und Dozenten unterhalb der Professoren-Ebene zu verbessern. Denn die hangeln sich bisher teilweise noch mit Anfang 40 von einem Zeitvertrag zum nächsten - Gift für jede berufliche und private Lebensplanung.

Hinsche ist Mitarbeiter der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. "Zurzeit arbeite ich als Physiker in einer international angesehenen Gruppe, Nobelpreisträger gehören zu unseren Gästen. Bald werde ich diese anregende Umgebung verlassen müssen", schrieb er kürzlich in einem öffentlichen Hilferuf. "Nicht, weil meine Arbeit defizitär ist, sondern weil es der antiquierte wissenschaftliche Konsens so verlangt." Auch für Leitner von der Ludwig-Maximilian-Universität München ist eine der raren Professuren "praktisch die einzige Chance auf eine unbefristete Anstellung".

Das liegt am 2007 eingeführten Wissenschaftszeitvertragsgesetz (PDF-Link) - es sieht vor, dass Uni-Mitarbeiter nach der Promotion überwiegend nur sechs Jahre befristet beschäftigt werden dürfen, spätestens dann müssten sie einen unbefristeten Vertrag bekommen. Das Gesetz hatte also das positive Ziel, "die Zahl der Anstellungen auf Zeit zu verringern", räumt Leitner ein. Aber: "Erreicht wurde das Gegenteil: Nach Ablauf der sechs Jahre erhalten die Mitarbeiter nicht etwa einen unbefristeten, sondern überhaupt keinen Vertrag mehr."

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) will nun gegen Missstände gesetzlich vorgehen. Die Möglichkeit, jüngeren Forschern befristete Verträge zu geben, werde "teilweise ausgenutzt", gab sie kürzlich zu. "Es ist indiskutabel, dass mehr als die Hälfte der Wissenschaftler bei ihrem ersten Vertrag kürzer als ein Jahr beschäftigt werden", schimpfte die sonst so sachlich auftretende Wanka. Bei Doktorarbeiten müsse sich die Vertragsdauer daran orientieren, wie viel Zeit für eine Promotion normalerweise nötig sei. Wanka: "Das wird selten unter drei Jahren gehen."

Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) weiß um die Missstände.
Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) weiß um die Missstände.
Foto: Gesellschaft für Informatik

Die Gewerkschaft GEW schätzt, dass unterhalb der Professur 90 Prozent der Angestellten Zeitverträge haben - insgesamt bis zu 200.000. "Dauerstellen für Daueraufgaben" fordert sie schon lange. Nun gerät einiges in Bewegung. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) beharrt zwar auf der nötigen Flexibilität im System und will dem Nachwuchs auch "den Blick nach außen öffnen". Den Unis wird aber nahegelegt, "Konzepte zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Angebote für akademische Karrierewege zu erarbeiten". Auch der Wissenschaftsrat hat Perspektiven für etwa 7500 zusätzliche Professuren und mehr Dauerstellen entwickelt.

Von der Opposition im Bundestag kommen massive Klagen: "Der Gestaltungsspielraum wird ganz überwiegend zu Lasten der betroffenen Uni-Mitarbeiter ausgenutzt", sagt Linke-Expertin Nicole Gohlke. Ihr Grünen-Kollege Kai Gehring fordert eine "Anschubfinanzierung" und einen weiteren Hochschulpakt. Bei Union und SPD sieht er zu wenig Engagement: "Wegen des Zauderns und Zankens der Koalition (..) ist kein Ende für das Befristungsunwesen in Sicht."

Nach Wankas Reform-Impuls fühlt sich vor allem die SPD gestärkt. Ihr Vize-Fraktionschef Hubertus Heil sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir erwarten von der Ministerin, dass sie dazu Eckpunkte in der ersten Jahreshälfte vorlegt, dass daraus ein Gesetzentwurf wird und dass wir den möglichst noch in diesem Jahr über die Bühne bringen." Deutschland könne sich das hohe Maß an befristeter Beschäftigung an den Hochschulen auf Dauer nicht leisten. "Aus sozialen Gründen, denn da geht es um Lebensperspektiven von Menschen. Aber langfristig stehen ja auch die Hochschulen in Konkurrenz zur Wirtschaft um gut ausgebildete Fachkräfte."

Die Union will die Lage der Jungwissenschaftler ebenfalls verbessern, jedoch ohne den Hochschulen die Luft abzuwürgen. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Michael Kretschmer sagt, eine Neuregelung für den Hochschulbereich sei dieses Jahr drin. Er tritt aber auch auf die Bremse: "Es kann in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase keine Sicherheit geben, wie wir sie sonst bei Arbeitnehmern haben." Kretschmer warnte vor Überreaktionen: "Wir operieren hier an der Schlagader des deutschen Wissenschaftssystems." (dpa/tc)

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