TCS macht es vor
Wenn der Job digitalisiert wird
Wer für sein Haus eine Klingelanlage nach eigenen Vorstellungen bestellte, wusste beim Hersteller Tür-Control-Systeme (TCS) lange nicht, wann genau sie geliefert wird. "Wenn alles gut lief, dauerte es 7 Tage, sonst bis zu 44 Tage", sagt Frank Balla, der zur TCS-Geschäftsleitung gehört. Das war eine unbefriedigende Situation für den Mittelständler, der in Genthin in der Nähe von Magdeburg sitzt und auch produziert. Zwei Millionen TCS-Sprechanlagen hängen bundesweit in Wohnungen, viele sind nach den individuellen Wünschen der Planer oder Eigentümer konzipiert.
Das Kombinieren der vielen Möglichkeiten für das Wunschprodukt musste beschleunigt und vereinfacht werden. "Jetzt haben wir noch drei bis fünf Arbeitstage Lieferzeit", sagt Balla. Wie hat TCS das hinbekommen? Die Antwort lautet: Digitalisierung des Prozesses.
Damit gehört TCS innerhalb des deutschen Mittelstandes zur Minderheit. Der seit drei Jahren erstellte Digitalisierungsindex der Deutschen Telekom ergab zuletzt, dass bundesweit 45 Prozent der befragten Mittelständler die Digitalisierung in ihrer Geschäftsstrategie verankert haben. Dieser Anteil wächst, 2017 lag er bei 42 Prozent. Besonders aktiv seien die Betriebe seit Jahren bei der Digitalisierung der Beziehung zu den Kunden.
Da passt TCS in den allgemeinen Trend. Seit Februar ersetzt ein Online-Konfigurator den alten Prozess, den Balla auch "ewiges Ping-Pong" nennt. Elektriker hätten ihre Vorstellungen für die Klingelanlage mitunter als Skizze auf einem Pappdeckel übermittelt. Bis die TCS-Experten auf dieser Grundlage das Endprodukt mit Kunden abgestimmt und alle Teile zusammengestellt hatten, dauerte es.
Jetzt klicke sich der Kunde online seine Wunschstation zusammen und könne sie dank Virtual-Reality-Tool auch als Projektion an der eigenen Hauswand sehen, so Balla. Die Skizzen, die Konstruktion, die Stückliste - alles wird automatisiert erstellt. Betreut wird der Konfigurator von Mitarbeitern, die vorher mit der analogen Planung betraut waren. Sie wurden im laufenden Betrieb weitergebildet.
In der Weiterbildung der Belegschaft liegt ein Knackpunkt für eine erfolgreiche Digitalisierung der Industrie, sagt der Präsident des Bundesverbands der Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI), Michael Ziesemer. Digitalisierung heiße nicht, dass Stellen wegfallen, eher im Gegenteil, aber es brauche andere Jobs. Bewerkstelligen müssten Betriebe den Wandel größtenteils mit den Mitarbeitern, die schon jetzt bei ihnen arbeiteten.
"Künftig geht es mehr um Service und weniger um die Dispo von Aufträgen", so Ziesemer. Laut Digitalisierungsindex haben das auch viele Mittelständler in Deutschland erkannt: 46 Prozent der befragten Unternehmen halten es für einen entscheidenden Erfolgsfaktor, die digitale Kompetenz ihrer Belegschaft auszubauen. Nur ein Drittel sagt: Die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter in diesem Feld reichen aus.
Unternehmen müssen nachbessern
Vertreter der Arbeitnehmer sehen Nachbesserungsbedarf aufseiten der Unternehmen. Der Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ergab: Einer von drei Azubis, der kurz vor den Prüfungen steht, fühlt sich nicht gut auf die digitale Arbeitswelt vorbereitet.
"Diese Zahlen machen uns Sorge", sagt die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack. "Berufsschulen und Betriebe müssen gleichermaßen besser werden." Gut weitergebildet fühlen sich laut Studie vor allem Lehrlinge in großen Unternehmen. Hier sagen 70 Prozent, sie würden gezielt auf die neuen Technologien geschult. Bei kleinen Betrieben bis zehn Beschäftigten bejahten das nur 45 Prozent.
Dabei fühlen sich die Azubis laut einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung noch am besten auf die digitalen Technologien vorbereitet. Mit dem Alter der Beschäftigen steige auch der Anteil derjenigen, die sich weniger gut weitergebildet fühlen. 41 Prozent aller befragten Beschäftigten sagten: Sie seien gut weitergebildet, ebenso viele fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. Ein Großteil fürchtet dennoch nicht, dass die Digitalisierung den eigenen Job kosten könnte.
Aber was passiert, wenn ein konkretes Projekt völlig neue Jobbeschreibungen von den Beschäftigten erfordert - wie es bei TCS in Genthin mit dem Web-Konfigurator war? Die Entscheidung sei nicht nur mit Freude aufgenommen worden, räumt Fertigungsleiter Hebecker ein. Gerade nicht bei den Mitarbeitern, die für die analoge Konstruktion der Wunsch-Anlagen zuständig waren.
"Sie alle sind jetzt im Konfigurator-Team, haben neue Aufgaben und mussten sich dafür auch weiterbilden", sagt Hebecker. Das biete neue Chancen, müsse aber gewollt sein. "Das ist nicht alles rosarot. Oft war die Kritik zu hören: Das schaffen wir nicht." Sie schafften es, sagt Hebecker - und es habe nicht einen einzigen Job gekostet. Stattdessen arbeite das Team jetzt daran, weitere Produkte über den Online-Konfigurator anbieten zu können. (dpa/sa)