Lilium
Ein Startup geht in die Luft
Seidel präsentiert erst mal die Kantine. Morgens, mittags und abends essen hier die Mitarbeiter umsonst. Dauernd verfügbar ist Müsli mit Soja-, Hafer- oder Biomilch, fettarm, fettreich, eben genauso divers wie die ganze Belegschaft. Eine Weltkarte am Eingang zeigt, wo die Mitarbeiter herkommen. Auf keinem Kontinent fehlt ein Fähnchen, selbst Länder wie der Tschad sind beflaggt. Seidel ist besonders stolz auf die vielen Fähnchen in Kalifornien: "Die aus dem Silicon Valley müssten ja nicht hier sein, wenn es hier nicht spannend wäre."
Drei Aufgaben warten auf den CIO, angelehnt an die drei großen Bereiche des Unternehmens: Entwicklung, Produktion und "Betreiben der Airline". Warten sei aber das falsche Wort, sagt Seidel. Die üblichen 100 Tage für Neulinge, um ein Konzept vorzustellen, gebe es nicht: "Bei der Geschwindigkeit hier sind das eher höchstens zehn." Der Grund: Finanzierungsrunde A und B sind mit 100 Millionen Euro längst geregelt. C werde deutlich größer und sei auch schon so gut wie in trockenen Tüchern, sagt Seidel. Die fünf Kapitalgeber Tencent, Atomico, LGT, Obivious und Freigeist wollen fliegen.
Entwicklung braucht Highend-IT
Um ein Flugobjekt - angetrieben von 36 Lüftern - wackelfrei in der Luft stehen zu lassen, testen die Entwickler ziemlich viel. Zwei High-Performance-Cluster rechnen derzeit, wie der Jet sanft schwebt und nicht schaukelt. Die Cluster stehen schon in externen Rechenzentren. Seidel ist aber noch unglücklich mit der internen Schatten-ITSchatten-IT, die vor seiner Zeit gewachsen ist. Der IT-Mann zeigt sich unnachgiebig: "Ich will hier nicht ein Stück Hardware im Haus haben." Alles zu Schatten-IT auf CIO.de
Der CIO will bei Lilium keine Kisten schubsen, obwohl in der Entwicklung von Anfang an "Digital Twins" entstehen sollen - der Bedarf an Rechnern also besonders groß ist. Seidel spricht lieber von "Digital Shadow", meint aber das Gleiche: Alles, was einmal physisch entsteht, braucht ein digitales Abbild. Die Analysten von Gartner predigen dieses Vorgehen beständig den Großunternehmen, die mit ihren Legacy-Systemen zu kämpfen haben. Bei Lilium sieht Seidel eine große Chance, die IT-Architektur von Anfang an zukunftsweisend auszulegen. "Zum Beispiel können wir ein Konzept wie den digitalen Zwilling gleich End to End implementieren oder wir können uns die Frage stellen, für welche Stammdaten das ERP beziehungsweise das PLM das führende System sein wird."
Beim Enterprise Resource Planning (ERP)Enterprise Resource Planning (ERP) wäre Marktführer SAP die gängige Lösung - jedenfalls wählen die meisten Großunternehmen diesen Weg, auch weil sie nichts anderes kennen. Seidel kann hingegen noch unabhängig über eine Zielarchitektur entscheiden. Product-Lifecycle-Management (PLM) als dominantes System hat für ihn auch seinen Charme. Die Entwickler nutzen schon fleißig Siemens Teamcenter. "Siemens ist zwar sperrig im Umgang, beim 'Closed Loop' aber am besten", findet Seidel. Alles zu ERP auf CIO.de
100 MES-Anbieter auf der Longlist
In der Fertigung wird das Thema IT-Architektur gerade richtig virulent: "Linien- oder Inselfertigung - im Augenblick können wir uns noch beides vorstellen", sagt Seidel. Das hat dann natürlich Auswirkungen auf die IT. Welches Manufacturing Executing System (MES) ist das Beste für einen Hersteller von Flugzeugen, die die Welt so noch nicht gesehen hat? "Rund hundert MES-Anbieter stehen auf der Longlist", so Seidel: "Da wird ja wohl einer dabei sein." Im Augenblick läuft ein Pilotversuch mit Siemens. "Teamcenter wird als PLM bleiben", verrät Seidel jetzt schon. Aber wie viel Gewicht die Lösung bekommt, hängt von einer zweiten großen Architekturentscheidung ab.