Europäische Südsternwarte
Informationstechnologie am Ende der Welt
Standards oder Pragmatismus?
Arbeiten Sie nach IT-Service Management Standards?
Andrew Wright: Alle Mitarbeiter in unserem Team und auch unsere Dienstleister sind ITILITIL zertifiziert. Wir arbeiten unter ITIL Guidelines. ITIL sollte aber nicht eins zu eins aus dem Handbuch übernommen werden. Aus meiner Sicht sind Standards wie ITIL sehr hilfreich, aber man muss die Frameworks anpassen. Wer das nicht macht endet an einem Punkt wo es einschränkend wirkt. Betrachten wir zum Beispiel das Change Management. Alles zu ITIL auf CIO.de
Wenn eine kleine IT-Organisation alle ITIL Vorgaben vollständig übernimmt, wird sie in der Regel nicht genug Mitarbeiter haben um alle Rollen zu besetzten. Werden dann mehrere Rollen auf einen Mitarbeiter verteilt, wird mitunter das System kompromittiert. Ohne Anpassung funktioniert es also nicht. Nur wer ITIL an seine Umgebung anpasst wird Erfolg haben.
Ist der Standort Paranal zertifiziert?
Andrew Wright: Nein. Im La-Silla-Observatorium haben wir den Prozess einmal durchlaufen und dort sind die Prozeduren auch noch aktiv. Aber wir sehen keine Notwendigkeit mehr einen offiziellen Stempel der Zertifizierung zu haben. Der Nutzen ist nicht erkennbar. Das soll aber bitte nicht falsch verstanden werden. Die grundsätzliche Idee dahinter ist gut.
Für große Organisationen mag es auch sinnvoll sein sich zu zertifizieren. Für uns nicht. Wir verfolgen einen sehr pragmatischen Ansatz. Wenn zum Beispiel in einer Beobachtungsnacht ein System ausfällt und wir uns erst durch viele Prozeduren arbeiten müssen bevor wir ein System anfassen ist das nicht sinnvoll. Unser Ansatz ist es, die wenigen Kontrollen die in den Prozessen bestehen so effizient wie möglich durchzuführen.
Bei einer vollständigen Anwendung von ITIL besteht die Gefahr, dass es zu bürokratisch wird. Es ist gut bis zu einem gewissen Grad Regeln zu besitzen, aber in unserem Umfeld darf es nicht übertrieben werden. Ich möchte niemanden angreifen. In der Standard Büro IT sind starre Regeln sicher gut. Bei uns würde das nicht funktionieren.
Hat diese Flexibilität auch Nachteile?
Andrew Wright: Unsere Anwender planen die Flexibilität in ihr Kalkül ein. Das führt dazu, dass oft kurzfristig Änderungen gefordert werden. Die Erwartungshaltung ist, dass wir es leisten können - egal was es kostet. Es ist recht aufwändig alles auf Kurs zu halten. Durch die permanenten Änderungen in Plan müssen wir sehr darauf achten immer den Überblick zu behalten.
Mehr Nachteile fallen mir nicht ein. Ich arbeite gerne mit einer Struktur, aber es ist wichtig aufzupassen, dass es nicht zu bürokratisch wird. Besonders wenn nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Hier ist ein Beispiel: Windows XP. Microsoft hat den Support eingestellt und eigentlich müssten alle XP-Systeme deaktiviert werden. Wir haben einige Systeme unter XP, deren Hersteller keine neuen Treiber für ihre Hardware bereitstellen.
Besonders betroffen sind speicherprogrammierbare PLC-5 Steuerungen. Alle Systeme zu ersetzen wäre sehr teuer. Am Ende haben wir uns entschieden bei den XP-Systemen die Netzwerk Interfaces zu deaktivieren. Die Systeme können nur noch mit ihrer eigenen Elektronik sprechen, aber nicht mehr im Netzwerk kommunizieren. Das war der pragmatische Weg um XP vom Netz zu nehmen.
Auch einige Oszilloskope verwenden noch XP als Betriebssystem. Was soll man mit denen machen? Den Mitarbeitern sagen du kannst tausende von Euro an Laborequipment wegwerfen oder mit diesen Geräten nicht mehr im Netzwerk arbeiten? Daten von XP Systemen müssen jetzt mit einem USB Stick transportiert werden. Die Geräte selbst sind nicht mehr im Netz.
Das sind für mich pragmatische Lösungen. Hätten wir die Geräte aktualisiert, wäre es ein Projekt auf Jahre gewesen. Ich bin mir bewusst, es ist immer noch ein Sicherheitsrisiko. Aber es kann minimiert und kontrolliert werden. Das ist besser als externe Dienstleister zu beschäftigen für viel Geld unsere Systeme zu aktualisieren.
Das klingt nach einem Arbeitsumfeld in dem häufig flexible Lösungen für neue Herausforderungen gefunden werden müssen. Was macht den Reiz der Tätigkeit bei der ESO IT für Sie aus?
Andrew Wright: Für mich ist diese Arbeitsumgebung sehr herausfordernd und es macht Spaß. Wenn ich daran denke, wie ich angefangen habe Büro IT in einem Unternehmen in England zu betreuen bin ich mir nicht sicher, ob ich immer noch in diesem Job wäre wenn es so weitergegangen wäre. Der Betriebsaspekt in Paranal macht es spannend. Wir bekommen Instrumente an den Teleskopen aus unterschiedlichen Ländern und es macht Spaß zu sehen, wie diese Systeme in die komplexe Teleskoplandschaft integriert werden und Daten liefern.
Manchmal werde ich schräg angesehen wenn ich sage, das hier ist wie eine Produktionsstraße. Aber genau so ist es. Es ist eine Produktionsstraße für astronomische Daten. Und ich bin in der glücklichen Situation ein hoch motiviertes Team zu haben. Und unsere Kunden sind mit unseren Leistungen sehr zufrieden. Ich denke es ist gut so.
Schauen wir zum Abschluss über Paranal hinaus. Wohin geht aus Ihrer Sicht die Entwicklung bei der wissenschaftlichen Datenverarbeitung in den nächsten Jahren?
Andrew Wright: Ich bin überzeugt, neue Hardwaretechnologie wird einige Türen öffnen. Durch die enormen Leistungssteigerungen bei der Hardware können wir mit unseren wissenschaftlichen Instrumenten heute Fragestellungen lösen, die noch vor wenigen Jahren durch die Rechenleistung begrenzt waren.
Die größte Herausforderung der Zukunft wird das Management der enormen Datenmengen die wir erwarten. Die Frage ist, ob das Internet bereits fähig ist den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. In Europa ist die erforderliche Infrastruktur bereits gut entwickelt. Aber hier in Lateinamerika sind noch einige Probleme zu lösen.