Auch ohne Coronavirus
Institut sagt größeres Ladensterben voraus
In Deutschland droht in den nächsten zehn Jahren nach einer Prognose von Handelsexperten ein weiteres großes Ladensterben. Die Zahl der Unternehmen im stationären Einzelhandel werde sich durch geänderte Kaufgewohnheiten und den Siegeszug des Onlinehandels bis zum Jahr 2030 noch einmal um bis zu 64.000 verringern. Die Zahl der Verkaufsstellen werde sogar um bis zu 80.000 sinken, prognostiziert das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) in dem am 19. März 2020 veröffentlichten "Handelsszenario 2030". Aktuell gibt es laut IFH bundesweit noch rund 226.000 Einzelhandelsunternehmen.
Mit der Coronavirus-Epidemie hat das Ladensterben eigentlich nichts zu tun. Doch betonte IFH-Geschäftsführer Boris Hedde: "Die Coronavirus-Krise könnte dafür sorgen, dass die Entwicklung nun im Zeitraffer abläuft."
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Seit 2005 sank die Zahl der Einzelhandelsunternehmen in Deutschland laut IFH bereits um 39.000 auf knapp 226.000. Das Bemerkenswerte dabei: Die Geschwindigkeit des Ladensterbens hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht. Zu den Verlierern im Markt gehören vor allem die Modebranche, der Buchhandel und die Spielwarenläden, aber auch der HandelHandel mit Wohnaccessoires. Top-Firmen der Branche Handel
Um die Entwicklung des Einzelhandels bis 2030 zu prognostizieren, entwarfen die Handelsexperten vier mögliche Szenarien. Sie unterschieden sich vor allem hinsichtlich der Entwicklung der Ausgabenbereitschaft, der künftigen Bedeutung des Online-Handels und der Frage, ob die Verbraucher künftig den Einkauf als Teil der Freizeit betrachten oder ihn einfach nur möglichst schnell und preiswert hinter sich bringen wollen.
Best-Case-Szenario für den innerstädtischen Handel
Wenn die Ausgabebereitschaft weiter steigt und die Verbraucher zunehmend Wert auf ein angenehmes Einkaufserlebnis legen, dürften nach Einschätzung des IFH auch in Zukunft noch an vielen Orten vitale Innenstädte mit einem umfangreichen Angebot an Handel, Gastronomie und Freizeitangeboten zu finden sein. Es ist sozusagen das Best-Case-Szenario für den innerstädtischen Handel.
Deutlich schwieriger dürfte die Situation für viele Geschäfte in den Fußgängerzonen werden, wenn die Verbraucher - sei es aus Geldmangel, sei es aus Konsumverzicht - den Gürtel enger schnallen, nur das kaufen, was sie tatsächlich brauchen, und zwar möglichst da, wo es schnell und billig geht: beim Discounter oder im Internet.
Doch ist der Unterschied letztlich nur graduell. "Egal welches Szenario am Ende zutrifft, viele stationäre Händler werden in den nächsten Jahren aufgeben müssen", brachte Hedde das Ergebnis auf den Punkt. Im besten Fall, bei ausgabefreudigen und erlebnishungrigen Verbrauchern, sei immer noch mit dem Aus für 26.000 Unternehmen zu rechnen. Im düstersten Szenario, wenn die Verbraucher ihr Geld zusammenhalten und viel online einkaufen, seien sogar 64.000 stationäre Händler und 80.000 Verkaufsstellen in Gefahr.
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Bedroht sind nach Einschätzung des IFH dabei nicht mehr nur kleine Einzelhändler, sondern auch Filialketten - und zwar selbst dann, wenn sie bereits im Onlinehandel aktiv sind. "Man muss alles tun, um die Entwicklung möglichst sozialverträglich zu gestalten - für Händler und Konsumenten", drängte Hedde deshalb.
Es reicht nicht, einfach nur Ware anzubieten
Das absehbare Ladensterben bedrohe auch die Attraktivität der deutschen Innenstädte, warnte der Handelsexperte. Denn die Schwierigkeiten des Handels hätten auch Auswirkungen auf die Gastronomie und die Freizeitangebote in den Stadtzentren. "Noch immer ist das wichtigste Motiv, in die Innenstadt zu kommen, das Shoppen. Und ausgerechnet dieser Kundenmagnet verliert an Kraft", warnte er. Hier müssten alle Beteiligten zusammenarbeiten, um die lokale Identität zu stärken und gemeinsam Besucher besser ansprechen.
"Wir müssen den Handel neu interpretieren als Teil der Freizeitgestaltung. Wir kämpfen mit Vereinsamung und dem Wunsch nach mehr menschlichen Kontakten. Das muss in moderne Handelskonzepte integriert werden. Es reicht nicht, einfach nur Ware anzubieten", meint Hedde. (dpa/rs/rw)