Volkswagen auf Speed
Kann Diess das Tempo anziehen?
Zugegeben, ein industrieller Supertanker ist Volkswagen immer noch. Dessen Steuer herumzureißen - das bleibt schwer. Aber das Hauptziel des Mitte April angetretenen neuen Konzernchefs Herbert Diess lautete ohnehin: Tempo machen. Volkswagen müsse im "ausgesprochen anspruchsvollen Wettbewerbsumfeld" das Tempo nochmals deutlich erhöhen, sagte er damals, als er dem Koloss auch eine neue Struktur verordnete. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer stellte nun fest: "Diess bringt Speed rein." Sein Kollege Stephan Bratzel meinte, der VW-Chef arbeite an den "richtigen Stellschrauben", um schneller und flexibler zu werden.
Schon mitten im Abgasskandal, im Herbst 2015, hatten die damals neuen starken Männer, Diess-Vorgänger Matthias Müller und Chefaufseher Hans Dieter Pötsch, eine Strukturreform durchdrücken wollen. Ein Neuanfang sollte es sein, schneller sollten die Einzelteile werden, weniger aus Wolfsburg gesteuert. Dieses Versprechen gab auch Diess, der zuvor allein die Kernmarke VW geleitet hatte. Nach etwas mehr als 100 Tagen im neuen Amt stellt sich die Frage: Wo steht Volkswagen - und wo steht Diess?
1. Strategie
Der VW-Chef selbst sagte bei Amtsantritt, es gehe um eine Weiterentwicklung, keine Revolution. Oder doch um eine Rückbesinnung? Diess behielt die Leitung der Kernmarke VW Pkw - und kehrte damit zu dem Doppelmodell zurück, das vor allem mit dem von "Dieselgate" aus dem Amt gefegten Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn verbunden wird. Dudenhöffer kritisierte dies scharf, die Personalunion sei "nicht ideal", Diess solle sich "nicht daran gewöhnen, es selbst zu machen". Nun hat Diess auch eine rechte Hand fürs Tagesgeschäft der Kernmarke gefunden, Marken-Einkaufschef Ralf Brandstätter soll auch den neuen Posten des "Chief Operating Officer" (COO) ausfüllen.
"Diess ist umsetzungsstark, das hat sich in den drei Monaten gezeigt", sagte Dudenhöffer. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil - der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsrats ist - sagte: "Ich empfinde den Start als sehr gelungen. Herbert Diess setzt konsequent das fort, was gemeinsam strategisch unter dem Vorsitz von Matthias Müller entwickelt worden ist." Anfang Juni forderte Diess vor Managern erneut, das Tempo und die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen.
Zur Strategie gehört: Die Lkw- und Bussparte soll im Sommer 2019 an die Börse, VW will dabei laut Spekulationen am Markt rund 25 Prozent der Anteile losschlagen. Dies hängt aber auch von der Stimmung am Finanzmarkt ab. Schon im Juni hatte Volkswagen die Lkw-Sparte in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und so die Voraussetzung für einen Börsengang geschaffen. Die hausinternen Zuliefer- und Komponentenwerke sollen in einer eigenen Sparte gebündelt werden - laut Dudenhöffer einer der "wichtigsten Punkte". Skoda übernimmt die Verantwortung für den indischen Markt, eine Milliarde Euro wird bis 2021 dort investiert.
Weitere 100 Millionen Euro steckt Volkswagen in den Batterieentwickler Quantumscape, bis 2025 soll eine erste Fabrik für Feststoffbatterien entstehen - diese gelten als Technologie der Zukunft bei den Akkus. Bei den leichten Nutzfahrzeugen wiederum ist eine Kooperation mit dem US-Rivalen Ford geplant.
2. Konzernumbau
Nach Bratzels Einschätzung hat Diess keine Fehler gemacht - und darüber hinaus auch in der eigenen Mannschaft vielfach den richtigen Ton getroffen. Dennoch müsse ihm noch Zeit gegeben werden, um zu sehen, ob seine Maßnahmen erfolgreich seien.
Das dürfte beispielsweise die neue Konzernstruktur betreffen, die bereits umgesetzt ist: Eingeführt wurden die Markengruppen "Volumen" (VW, Skoda, Seat, leichte Nutzfahrzeuge, Moia), "Premium" (Audi, Lamborghini, Ducati) und "Super Premium" (Porsche, Bentley, Bugatti). Für Truck & Bus wird ein Börsengang vorbereitet, hinzu kamen die Sparten Beschaffung/Komponente sowie Finanzdienstleistungen.
Allerdings: Ein ähnliches Modell wie Diess hatte einst Ex-Chef Bernd Pischetsrieder verkündet. Wichtig laut Bratzel: Diess müsse alles tun, was möglich sei, ohne eine Revolution anzuzetteln. "In diesem Korsett muss er agieren", betonte der Experte. Für den SPD-Politiker Weil steht fest: "Der Umbau des Konzerns ist in vollem Gange, und ich habe den Eindruck, dass dieser Prozess unter dem Vorsitz von Herbert Diess sehr konzentriert nach vorn getrieben wird."
3. Personalien
Mit dem Wechsel an der Spitze des Konzerns kam es zu einer Reihe von Veränderungen im Konzernvorstand: Zeitgleich mit Müllers Abschied schieden der langjährige Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz - auf eigenen Wunsch - und Personalchef Karlheinz Blessing aus. Neu in den Konzernvorstand kamen Porsche-Chef Oliver Blume und der bisherige Betriebsrats-Generalsekretär Gunnar Kilian als Personalvorstand. Kürzlich entschied der Aufsichtsrat, dass Stefan Sommer, Ex-Chef des Zulieferers ZF, auf den Posten des Einkaufsvorstands rücken soll. Dudenhöffer sprach von einer bemerkenswerten Verpflichtung: "Es gibt keinen Besseren." Sommer kann am 1. September beginnen.
Der bisherige Strategiechef Thomas Sedran übernimmt ebenfalls zum 1. September den Vorstandsvorsitz bei den leichten VW-Nutzfahrzeugen. Sein Vorgänger Eckhard Scholz verlässt das Unternehmen auf eigenen Wunsch - zumindest dies war dem Vernehmen nach keine Entscheidung, die auf Diess' Wunschzettel stand. Weil der Konzernchef die Volumen-Markengruppe persönlich führt, war spekuliert worden, dass Scholz befürchtete, Diess könne ihm zu sehr hineinregieren.
Ein Coup: Volkswagen warb den bisherigen BMW-Einkaufsvorstand Markus Duesmann ab. Dieser soll in den Konzernvorstand eintreten - wann das der Fall sein wird, war zunächst unklar. Ebenso wie seine künftige Rolle: Zu den möglichen Optionen zählt der Posten als künftiger Audi-Chef ebenso wie die Leitung des wichtigen China-Geschäfts. Auch Diess selbst kam von BMW zu Volkswagen.
4. Kulturwandel
Schon Diess' Vorgänger Müller hatte einen grundlegenden Kulturwandel im Konzern ausgerufen. Der neue Konzernchef hat sich diesen Kulturwandel weitgehend zu eigen gemacht. "Die Ursprünge für den Skandal liegen letztlich in der Führungskultur, die seit Beginn der 90er Jahre bei Volkswagen praktiziert wurde", sagte Diess Anfang Juni vor Führungskräften. "Aber mit zunehmendem Erfolg wurden eben auch ethische Maßstäbe verrückt oder gerieten in einigen Bereichen aus dem Blick." Er forderte ein fest verankertes Bewusstsein für richtig und falsch und eine Kultur des konstruktiven Widerspruchs.
Bratzel betonte: "Der Kulturwandel im Unternehmen muss gelingen." Dieser sei die Voraussetzung, um künftig erfolgreich sein zu können - werde sich aber über Jahre erstrecken. Er mahnte aber auch an: "Ich hätte mir noch mehr Transparenz bei der Aufarbeitung gewünscht."
5. Zukunftstechnologien
Nach Einschätzung von Bratzel geht Diess die richtigen Themen an, die E-Mobilität spiele eine immer wichtigere Rolle. Auch Dudenhöffer bescheinigte Volkswagen hier "große Schritte in der Umsetzung". Diess selbst benannte vor den Führungskräften aber auch Defizite - vor allem bei digitalen Technologien. Beim autonomen Fahren gäben die Amerikaner das Tempo vor. "Wir haben dem in Europa derzeit nichts entgegenzusetzen", mahnte er. (dpa/ad)