Deutschland im Verzug
Mittelstand trödelt bei Digitalisierung
Der digitale Umbruch bringt die deutsche Wirtschaft unter Zugzwang: Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse müssen umgekrempelt und die Beziehungen zu Kunden und Zulieferern neu justiert werden. Doch vor allem viele Mittelständler reagieren noch zu behäbig auf die Herausforderungen, mahnen Experten. Dabei ist Eile geboten, um den Anschluss nicht zu verpassen.
Beispiele wie der Fahrdienst-Anbieter Uber oder der Zimmer-Vermittler AirBnB machen deutlich, wie rasant sich viele Märkte wandeln. Eben noch fühlte sich manches Unternehmen sicher und gut aufgestellt in seiner Nische mit angestammten Produkten und Dienstleistungen, doch praktisch über Nacht drängen neue Konkurrenten auf den Markt, "und das aus Ecken, aus denen man es gar nicht erwartet hat", sagt Nikolay Kolev, Partner beim Beratungsunternehmen Deloitte Digital.
Betroffen sind fast alle Firmengrößen und Branchen - nach Einzelhandel und Medienwirtschaft auch die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern, Lebensmittelhersteller, aber auch BankenBanken, VersicherungenVersicherungen und andere Wirtschaftszweige. "Die Digitalisierung wird vor keiner Branche haltmachen", sagt Maximilian Hille vom IT-Beratungsunternehmen Crisp Research. Top-Firmen der Branche Banken Top-Firmen der Branche Versicherungen
Der wohl größte Investitionsbedarf zeichnet sich bei Industrieunternehmen ab, die ihre Produktion vernetzen, Lieferketten umstellen und eine ganz neue Kundenkommunikation betreiben müssen. Für Unsicherheit sorgen dabei Themen wie die IT-Sicherheit, aber auch rechtliche Fragen, wie etwa eine kürzlich veröffentlichte Befragung des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages ergab.
Mit der Aufrüstung der firmeneigenen IT-Infrastruktur alleine ist es also nicht getan, hat auch Deloitte-Experte Kolev festgestellt. Nötig sind digitale StrategienStrategien, die von Management, Aufsichtsräten und Gesellschaftern mitgetragen werden müssen. "Sie müssen verstehen, dass der Aufbau neuer Geschäftsmodelle Teil ihrer DNA werden muss." Alles zu Strategien auf CIO.de
- Arbeiten von zu Hause aus
Im Arbeitsalltag wollen deutsche Entscheider ihre Mitarbeiter lieber im Büro sitzen sehen, als sie ins Home Office zu schicken. Das zeigt eine Studie des Branchenverbandes Bitkom mit dem Titel „Digitalisierung der Arbeitswelt“. Rund 1.500 Geschäftsführer und Personalentscheider verschiedenster Branchen haben daran teilgenommen. - Anwesenheit ist oft Pflicht
In drei Vierteln der Unternehmen (75 Prozent) besteht nach wie vor Anwesenheitspflicht für alle Mitarbeiter. - Bedeutung des Büroarbeitsplatzes
Sieben von zehn Befragten sind denn auch davon überzeugt, dass der klassische Büroarbeitsplatz in seiner Bedeutung konstant bleiben wird. - Home Office nicht vorgesehen
Hier haben die Autoren der Umfrage nach den Gründen geforscht. Fazit: Knapp zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) erklären, die Arbeit vom Home Office aus sei "generell nicht vorgesehen". - Künftig mehr Freie
Ohne eine Flexibilisierung der Arbeitsplatzstrukturen wird es aber nicht gehen. Denn 31 Prozent der Befragten wollen künftig stärker als bisher mit freien Mitarbeitern kooperieren. - Vorteile externer Spezialisten
In solche Kooperationen setzen die Befragten große Erwartungen. 73 Prozent erwarten, dass das Innovationstempo steigt. 67 Prozent freuen sich auf einen interessanteren Arbeitsalltag. - Chancen der Digitalisierung
Grundsätzlich schreiben die Befragten der Digitalisierung große Vorteile zu.
Diesen Weg ist beispielsweise die Hain GmbH aus Offenbach am Main gegangen: Das Unternehmen vertreibt nicht nur Kopierer, Drucker und Faxgeräte, sondern bietet seit einigen Jahren auch digitale Büromanagement-Lösungen, etwa fürs Rechnungswesen der Kunden. Damit habe man auch auf den Preisverfall bei den Geräten reagiert, sagt Geschäftsführer Maurizio Pittello. Das zweite Standbein steuere mittlerweile die Hälfte zum Gesamtumsatz des Unternehmens mit 23 Beschäftigten bei.
Doch so weit sind viele Firmen nicht einmal ansatzweise, wie nicht nur der Präsident des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, beklagt: Jeweils rund ein Fünftel der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland sei nicht mit einer eigenen Website im Internet vertreten und nicht in sozialen Netzwerken aktiv, sechs von zehn mittelständischen Händlern betreiben keinen Onlineshop. Ohoven hält das für eine sträfliche Nachlässigkeit, die sich auch im internationalen Wettbewerb rächen könnte: "Nur wer sich als Unternehmer frühzeitig neuen Herausforderungen stellt, wer sie als Chance begreift, kann auf Dauer am Markt bestehen."
Die Gründe sind dabei vielfältig: Der Konjunkturmotor in Deutschland läuft derzeit rund, das schafft vermeintlich wenig Handlungsdruck. Aber auch die Altersstruktur der Unternehmer spielt eine Rolle: Der Firmen-Patriarch mit Mitte Sechzig tut sich tendenziell schwerer mit neuen Technologien als der junge Startup-Unternehmer, der mit dem Internet aufgewachsen ist.
- Zehn Thesen zur Digitalisierung
In Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleister Dimension Data hat Crisp Research Ende letzten Jahres die unabhängige Studie "Digital Business Readiness" umgesetzt. Ziel war es, ein Stimmungsbild deutscher Unternehmen zum aktuellen Stand ihrer digitalen Transformation zu zeichnen. Hier finden Sie Zehn Thesen, die sich aus dieser Studie ableiten lassen - 1. Die digitale Transformation ist bereits in vollem Gange ...
... und hat mittlerweile sämtliche Branchen mehr oder minder fest im Griff. Dennoch steht die Wirtschaft noch am Anfang eines langen Transformationsprozesses. - 2. Die digitale Transformation wird die Unternehmen ...
... in den kommenden Jahren in Gewinner und Verlierer spalten. - 3. Das Gros der deutschen Unternehmen hat erkannt, ...
... welche weitreichenden Implikationen der digitale Umbruch nach sich zieht. Die absolute Mehrheit sieht sich gut bis sehr gut dafür aufgestellt. Allerdings haben nur 42 Prozent bislang eine funktionierende Digitalstrategie. - 4. 39 Prozent der befragten Unternehmen sehen sich als Profiteure ...
... und Gestalter des digitalen Wandels. 61 Prozent bezeichnen sich als Mitläufer und Skeptiker. - 5. Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Digital Excellence ...
... und der erfolgreichen Implementierung einer Digitalstrategie. So haben bereits zwei Drittel (67 Prozent) der Digital Champions (Profiteure und aktive Gestalter) ihre Strategie erfolgreich implementiert und mit der Umsetzung in die Praxis begonnen. - 6. Die IT-Abteilungen sind die entscheidenden Akteure, ...
... wenn es gilt, die Strategie zu entwerfen und die Aktivitäten im Prozess der digitalen Transformation zu steuern und umzusetzen. Allerdings wirkt das Thema weit über die Grenzen der IT-Abteilung hinaus. - 7. Die Kunden sind Treiber der digitalen Transformation.
Von ihnen gehen die Veränderungen aus. - 8. Das Rechenzentrum ist das Epizentrum der Digitalisierung.
Für mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) ist es die alles entscheidende Basis der Digitalisierung. - 9. Für eine zukunftssichere Infrastruktur ...
... sind Investitionen nötig, die über das Rechenzentrum hinausgehen. - 10. Mehr als 80 Prozent der Unternehmen glauben, ...
... dass sie für eine konsequente Umsetzung der digitalen Transformation professionelle Partner brauchen. Diese sollten eine hohe Kompetenz bei der IT-Integration sowie umfangreiches Prozess- und Branchen-Know-how mitbringen.
Gerade ältere Mittelständler stehen vor der Frage, ob und wie viel IT-Personal sie aufbauen und wie viel Geld sie insgesamt in die Hand nehmen müssen, um dem Megatrend gerecht werden zu können. Dabei kann eine erfolgreiche Digitalisierung mittel- bis langfristig helfen, massiv Kosten zu sparen, sagt Experte Hille. Ängstliches oder gar stures Abwarten nach dem Motto "Das haben wir doch schon immer so gemacht" jedenfalls hilft nicht - schließlich geht es darum, die Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. (dpa/tc)