Hydroskin

Neue Gebäude-Technologie soll Stadtklima verbessern

16.08.2024
Häuserfassaden sind zunehmend Hitze und Starkregen ausgesetzt. Eine Architektin hat ein Material entwickelt, das sie wetterfest machen soll und auch der Stadt helfen könnte. Und es gibt weitere Ideen.
Ein Prototop mit der hydroaktiven Gebäudefassade Hydroskin: Die textile Gebäudehülle soll Hochwasser- und Hitzerisiken in den Städten verringern.
Ein Prototop mit der hydroaktiven Gebäudefassade Hydroskin: Die textile Gebäudehülle soll Hochwasser- und Hitzerisiken in den Städten verringern.
Foto: Hydroskin, Christina Eisenbarth

Sie ist biegsam und stabil, porös und reißfest, die Wasserhaut Hydroskin für Gebäude. "Dieses neuartige Material kann den Kampf gegen die Folgen von Hitzewellen und Starkregen in Städten revolutionieren", meint dessen Erfinderin Christina Eisenbarth. Die Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart will die Fassaden von bestehenden und neuen Gebäuden nutzen, um an heißen Tagen zuvor gesammeltes Regenwasser zur Verdunstung und damit Kühlung einzusetzen. Hydroskin besteht aus mehreren Textillagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten werden.

Das System wird nun im Freiluftversuch getestet: Derzeit steht ein Prototyp auf dem Campus der Universität Stuttgart. In bis zu 36 Meter Höhe wird erprobt, ob die Fassade das hält, was die Wissenschaftler sich nach Hunderten von Laboruntersuchungen von ihr versprechen. Hydroskin soll sich wegen der großen Fassadenflächen besonders für Hochhäuser eignen. "Überdies trifft der Regen mit zunehmender Höhe schräg auf die Fassade, sodass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche", erklärt die Erfinderin.

Und so funktioniert das Produkt im Detail: Das System ist außen von einer wasserdurchlässigen Membran umgeben, die nach Auskunft der Universität fast alle Regentropfen eindringen lässt. Eine Folie an der Innenseite leitet das Wasser nach unten ab. Dann kann es entweder in einem Reservoir gespeichert oder direkt ins Gebäudeinnere geleitet werden, wo es etwa für die Waschmaschine, die Toilettenspülung und Pflanzenbewässerung verfügbar ist. Bei Hitze wird die Textilfassade mit Wasser befeuchtet und kühlt durch Verdunstung somit das Gebäude und den umgebenden Stadtraum.

Hitzeinseln machen den Bewohnern von Städten zu schaffen

Der natürliche Kreislauf von Niederschlägen und Verdunstung ist durch zunehmende Versiegelung gestört, wie Hydroskin-Erfinderin Eisenbarth erläutert. "Letztlich verwandeln wir selber unsere Städte in Hitzeinseln und Hochwasser-Wannen." Dieser Entwicklung soll das Konzept der Schwammstadt Einhalt gebieten. Dabei geht es um die Fähigkeit einer Stadt, ein Zuviel an Wasser aufzusaugen, dieses Wasser wie einen Schwamm zu speichern und es dann durch Verdunstung oder Versickerung verzögert wieder abzugeben. Auf diesem Prinzip basiert auch Hydroskin.

Stefan Petzold vom Naturschutzbund Deutschland Nabu sieht in Hydroskin eine Möglichkeit, das Leben in der Stadt angenehmer zu machen - ebenso wie grüne Fassaden, begrünte stillgelegte Kreisverkehre und umgewidmete Parkplätze. "Mit solchen Entsiegelungen geben wir der Natur etwas zurück", sagt der Nabu-Referent für Stadtnatur. Dass Pflanzen im Bau wirtschaftliche Vorteile haben, so Petzold zeige das Beispiel der Humboldt-Uni in Berlin, die durch natürliche Kühlung statt Klimaanlage 15.000 Euro im Jahr spare. Die Investitionen für Hydroskin sind nach Angaben von Eisenbarth überschaubar: Ein Quadratmeter werde die Bauunternehmer mehrere Hundert Euro kosten, schätzt sie.

Container-Kühlung könnte Kitas helfen

Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, findet die Erfindung vor dem Hintergrund zunehmend unwägbarer Wetterphänomene "hochinteressant". Neben den bekannten und bereits extra geschützten Schwerpunkten klassischer Überschwemmungen wie in Passau gebe es immer mehr räumlich und zeitlich unvorhergesehene Schadensereignisse. In solchen Lagen könne Hydroskin flexibel eingesetzt werden. "Man kann nicht jede Stadt vor allem schützen", meint Schubert-Raab, Hydroskin eigne sich aber auch für temporäres Bauen und zur Kühlung etwa von Container-Kitas.

Die Universität Stuttgart nennt einige Zahlen: Während gewöhnliche Gebäudeoberflächen unter der sengenden Sommersonne Temperaturen von über 90 Grad erreichen könnten, senke Hydroskin die Temperatur auf bis zu 17 Grad herunter. Die aufgenommene Wassermenge reduziert den Abfluss, der durch versiegelte Flächen direkt in die Kanalisation gelangt und bei ausgeschöpfter Aufnahmekapazität zu Überschwemmungen führt. 5,7 Quadratmeter Hydroskin kühlen laut Eisenbarth so stark wie eine Klimaanlage mit 2.500 Watt.

Textil aus Plastik-Flaschen

Umweltfreundlich soll auch das Material werden, das derzeit aus wiederverwendbarem Polyester und künftig auch aus PET-Flaschen hergestellt wird. Zudem kann es bedruckt werden. "Der Architekt kann den Gebäuden ein neues individuelles Gewand verleihen", erzählt Eisenbarth. Bedenken wegen möglicher Probleme in der Statik der Gebäude sieht sie nicht - ein Quadratmeter Hydroskin wiege in trockenem Zustand nur 1,2 Kilogramm, im nassen maximal 4,7 Kilogramm.

Die Wissenschaftlerin hat Hydroskin im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Uni Stuttgart entwickelt. Als Gründerin eines Start-Ups will sie die Technik rasch in die Baupraxis überführen. Einen Abnehmer hat die gebürtige Saarländerin schon: Der bayrische Bauunternehmer Schubert-Raab will nach eigenen Angaben im Rahmen eines Projekts mit neuen Baustoffen für Nutzgebäude auch Hydroskin erproben.

Er testet noch mehr klimafreundliche Materialien: So untersucht er die Nutzung von Sturm- und Schädlingsholz für den Bau. Diese Alternative zum Ziegelstein bindet auch viel Kohlendioxid. Zudem prüft er Moospaneele, die im Innen- und Außenbereich von Gebäuden der Wärmedämmung, Luftreinigung und Kühlung dienen sollen. Ferner stehen in seiner Firma Lehmputze auf dem Prüfstand, die besonders viel Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben. Andere Unternehmen setzen etwa auf Solarzellen an der Wand oder auf spezielle Keramikfassaden. (dpa/rs)

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