ServiceNow baut sich um
Service-Management – die Plattform ist das Ziel
"Wir arbeiten an einer eigenen deutschen Identität des Unternehmens und verstehen uns nicht als Niederlassung eines US-amerikanischen Softwareanbieters" – Ende Oktober zog Detlef Krause, Area Vice President Germany bei ServiceNow, auf der Kundenkonferenz "Now at Work" in Frankfurt am Main Bilanz seines ersten Jahres an der Spitze der hiesigen Landesorganisation. "Wir haben uns in den vergangenen zwölf Monaten komplett neu aufgestellt", berichtete er. Man habe das Enterprise-Geschäft vertikalisiert, einen stärkeren Fokus auf den Mittelstand gelegt und die Mannschaftsstärke hierzulande nahezu verdoppelt.
Doch nicht nur in Deutschland hat sich viel verändert bei ServiceNow. Der Anbieter ist dabei, seinen Fokus im Markt zu verschieben. "Wir kommen vom IT- Service-Management (ITSM) und sind heute ein Plattformanbieter für digitale Workflows", beschreibt Krause den Wandel.
Um diese Plattform dreht sich alles bei ServiceNow. Sie bildet das Fundament des gesamten Portfolios. "Wir entwickeln ausschließlich Anwendungen und Erweiterungen für die eigene ServiceNow-Plattform. Wir bauen keine Anwendungen für einen Third-Party-Technology-Stack", bekräftigte Karel van der Poel, Vice President and General Manager von Now X, dem Bereich für Future Products & Incubation bei ServiceNow.
Eigene Plattform - eigene Cloud
Der Manager spricht von einer One-Platform-Vision. Darin enthalten sind ein Persistenz-Layer, eine Datenbank, native Mobile- und Virtual-Agent-Funktionen, eigene Chatbots und Analytics-Tools sowie selbst entwickelte Algorithmen etwa für Natural Language (NL) Understanding und NL Queries. "Wir verwenden keine Analysewerkzeuge von anderen Anbietern, um ServiceNow-Daten auszuwerten", betonte van der Poel. "Alles, wovon wir glauben, dass es nützlich ist, bauen wir in die Plattform ein – aber nicht als separate Anwendung, die dann wieder integriert werden muss."
Das alles geschieht in der Cloud. ServiceNow betreibt seine Plattform in eigenen Rechenzentren mit eigener Hardware. Erst kürzlich hat der Anbieter zwei Data Center in Deutschland eröffnet, in Frankfurt am Main und Düsseldorf, die gegenseitig als Failover dienen und Kunden eine hohe Verfügbarkeit bieten sollen. "Wir nutzen keine Public Cloud anderer Anbieter", sagte van der Poel. Es gibt allerdings vereinzelt Ausnahmen, in denen regulatorische Gründe einen bestimmten Betrieb erfordern. Beispielsweise verlangen US-Behörden, ServiceNow auf Microsofts Cloud-Plattform Azure zu betreiben.
Zweimal pro Jahr bringt ServiceNow ein neues Major Release seiner Cloud-Plattform heraus, die traditionell nach Städten benannt werden. Das aktuelle Release aus dem dritten Quartal 2019 heißt New York, im ersten Quartal 2020 folgt Orlando und im dritten Quartal 2020 Paris. Jedes Release bringt Hunderte neue Funktionen und Services mit – in Orlando sollen es knapp 700 sein.
"Ein Upgrade pro Jahr reicht"
Hier den Überblick zu behalten ist nicht ganz einfach. Er glaube nicht, immer über alle Innovationen vollends informiert zu sein, räumte Marian Zaler ein, Program Manager ServiceNow bei Henkel. "Dafür ist die Dynamik in dem sechsmonatigen Wechsel einfach zu groß." Henkel bringt seine ServiceNow-Plattform grundsätzlich nur einmal pro Jahr auf den neuesten Stand. So ein Upgrade sei immer mit administrativem Aufwand und einer gewissen Frozen Period verbunden, berichtete Zaler. "So etwas kann ich in meiner Organisation nicht zweimal im Jahr verkaufen. Ein Upgrade pro Jahr reicht."
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Möglich macht dies die Single-Tenant-Architektur von ServiceNow. Jeder Kunde hat sein eigenes System mit seiner eigenen Datenbank und mit seinen eigenen Upgrade-Zyklen, erläuterte van der Poel. Eine solche Single-Instance-Architecture auf einem virtualisierten Hardware-Stack sei ein großer Unterschied zu anderen Anbietern wie beispielsweise Salesforce mit seiner Multi-Tenant-Architektur.
Dort habe man in den vergangenen Jahren immer wieder von Ausfällen gehört, die eine Reihe von Kunden betroffen hätten, sagt der ServiceNow-Manager. "Das kann uns nicht passieren." Wenn es ein Problem gebe, dann lasse sich das schnell isolieren, so dass die anderen Kunden nicht betroffen seien.
Der Plattformansatz spricht aus Sicht von Zaler für ServiceNow. Henkel habe 2017 vor der Entscheidung gestanden, wie es mit einer Vielzahl von Altsystemen im IT-Service-Management weitergehen sollte. Man hätte jedes alte Tool durch ein neues ablösen oder aber eine Plattformlösung einführen können, in der Hoffnung, dort möglichst viel integrieren zu können. Mit ServiceNow plant Henkel möglichst viele Prozesse im Unternehmen zu automatisieren, auch über das klassische ITSM hinaus.
ServiceNow tastet sich an Finance heran
Derzeit baut ServiceNow seine Plattform nach und nach mit zusätzlichen Funktionen für andere Fachabteilungen aus. Neben ITSM-Abläufen lassen sich auch Kunden- und HR-Prozesse sowie künftig auch Finanz-Workflows über die ServiceNow-Plattform abbilden. Van der Poel verwies in diesem Zusammenhang auf eine neue Produktlinie für Finanzabteilungen.
Eine erste Lösung soll beispielsweise bei Bilanzabschlüssen helfen. "Hier gibt es noch viele manuelle Tätigkeiten und Abläufe", konstatierte der ServiceNow-Manager. Teilweise bestehe dieser Prozess aus rund 3000 Einzelaufgaben. "Und alles muss unter einem enormen Zeitdruck erledigt werden." Finanzchefs hätten oft keine Transparenz darüber, wo sie gerade innerhalb dieses Gesamtprozesses ständen. Das meiste werde nach wie vor über Excel und E-Mail abgewickelt.
Van der Poel will seine Lösung nicht als Konkurrenz zu klassischen Finanzsystemen positioniert sehen. Ein ERP-System diene dazu, all diese Finanzinformationen zu verarbeiten. Aber das Management der Workflows bilde einen Experience-Layer, der über dem ERP-System liege, erläuterte der Manager. Damit wolle man die Arbeit in den Finanzabteilungen effizienter machen.
Es gehe darum, den Weg und den Prozess zu strukturieren sowie festzustellen, wie gut oder schlecht der Workflow funktioniert. "Wir selbst sind ein SAP-Anwender und wir haben diesen Workflow auf Basis unseres SAP-Systems gebaut", berichtete van der Poel. Der erste Kunde dafür sei Paypal.
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"Unsere Vision ist, die Abläufe in der Arbeit genauso einfach zu machen wie im Privatleben." Van der Poel nennt als Beispiel eine Bestellung bei Amazon oder das Rufen eines Uber-Taxis. Das funktioniere überaus einfach mit ein paar Klicks. In vielen Betrieben liefen die meisten Prozesse aber nicht einfach: Es brauche oft viele Schritte, Genehmigungen etc.
"Etwas bei Amazon oder in ServiceNow zu bestellen, sind für mich immer noch zwei Welten", relativierte Henkel-Mann Zaler. Nicht jeder Mitarbeiter komme rein intuitiv und ohne Schulung mit der Plattform klar. Zaler verweist auf die heterogene Nutzerschaft bei Henkel, zu der auch Schichtführer gehören, die seit 35 Jahren an der Produktionslinie arbeiten. "Die muss ich anders vorbereiten als jemanden, der frisch von der Uni kommt." Da bedürfe es Trainings, Weiterbildung und viel Erklärung. In den IT-Bereichen wie am Helpdesk sei das anders: "Hier kommen wir ganz gut klar damit."
Für jeden Workflow die richtige Plattform
Den Weg über das klassische ITSM hinaus will Zaler mitgehen. "Wir haben einen Plan für das nächste Jahr, etwas expansiver aus dem IT-Bereich hinauszugehen." Beispielsweise diskutiere man über Workflows im Bereich der Finanzen.
Hier seien verschiedene Workflow-Lösungen im Einsatz: "Asset-Management, Approval-Szenarien – da arbeiten wir derzeit schon konkret an einigen Request-Workflows und diskutieren mit den Business-Units, wo man noch andere Szenarien auf ServiceNow aufbauen könnte." Der Henkel-Manager geht davon aus, dass schon im ersten Quartal 2020 die ersten Use Cases im Rahmen eines Minimal Viable Product (MVP) live gehen könnten. "Die Neugier wächst." Wöchentlich fragten mindestens drei, vier Leute, was man noch in ServiceNow machen könnte.
Allerdings will sich Zaler auch andere Optionen offenhalten und nicht nur auf ein Pferd setzen. "Es geht für uns nicht darum, möglichst viel in die eine Plattform ServiceNow zu bringen." Gerade im SAP-Umfeld sei möglicherweise eine Variante von SAP sinnvoller. Um datenlastige SAP-Workflows in ServiceNow abzubilden, seien erst einmal jede Menge Schnittstellen erforderlich, die sich im Zweifelsfall negativ auf die Performance auswirken könnten, warnte Zaler.
Der Manager will eine redundante Datenhaltung vermeiden. "Wir werden keine Daten aus SAP im Massen-Load nach ServiceNow schaufeln, um sie dort vorzuhalten." Dafür habe man andere Systeme. "Es gibt Bereiche, da passt ServiceNow sehr gut", lautet sein Fazit. "Aber genauso gibt es Fälle, in denen wir uns für einen SAP-Workflow entschieden haben."
Von Konkurrenten und Partnern
Für ServiceNow-Deutschland-Chef Krause geht es in erster Linie darum, sich richtig im Markt zu positionieren. "Wir werden sicher kein CRM-System entwickeln", versicherte Krause mit Blick auf den Wettbewerb. "Hier kratzen sich schon Salesforce, Microsoft und SAP gegenseitig die Augen aus." Andererseits betonte der Manager, genau auf die Integration der Marktbegleiter achten zu wollen. Als Beispiel führt Krause Workflows für HR an wie den Onboarding-Prozess.
Dafür müssten im Backend entsprechende Systeme wie SAP oder SuccessFactors angebunden werden. Hier spreche man mit den Anbietern, wie sich Schnittstellen in deren Systeme bauen ließen. Gebündelt werden diese Schnittstellen in einem Integration Hub innerhalb der ServiceNow-Plattform. Dieser bildet eine Art Integrationsschicht mit einem einheitlichen Datenmodell.
Darüber hinaus gebe es Partnerschaften, ergänzte van der Poel. "Wir gehen nicht davon aus und erwarten es auch nicht, dass sämtliche Daten in ServiceNow residieren." Der Manager führte Daten aus dem Internet of Things (IoT) als Beispiel an. Diese lägen in Plattformen wie AWS oder Microsoft Azure oder bei Firmen wie Siemens. Wenn man digitale Workflows dafür baue, müsse man auch dafür sorgen, über die Systeme hinweg kommunizieren zu können, egal wo die Daten liegen.
Diese Hilfestellung wird auf Kundenseite goutiert. Henkel-Manager Zaler berichtete von der eigenen Chatbot-Factory. Dafür könne er auf vorkonfigurierte Use Cases in der ServiceNow-Plattform bauen. Das Charmante an der Lösung ist aus seiner Sicht: Wenn weitere Funktionen wie beispielsweise der Virtual Agent dazugenommen würden, müsse man sich nicht mehr darum kümmern, wie Datenbanken anzubinden seien. "Schließlich habe ich ja meine Daten schon in der Plattform."
Vorsicht beim Customizing
Beim Ausbau gelte es jedoch, Fingerspitzengefühl an den Tag zu legen, erklärte der Henkel-Mann. Das System biete viele Möglichkeiten für Customizing. Zaler will sich so eng wie möglich am Standard orientieren. Allerdings komme man in gewissen Prozessen nicht um Anpassungen herum: "Vermutlich hat jedes Unternehmen so seine Spezialitäten und Eigenheiten."
Der Manager räumt offen ein: "Die Bereiche, in denen wir viel angepasst haben, bereiten uns jetzt die meisten Probleme." Das betreffe weniger die Upgrades als vielmehr den User-Support. Zaler will deshalb künftig genau auf die Weiterentwicklungen im Standardsystem schauen, um "goldene Wasserhähne" zu vermeiden. Hier gebe es durchaus Möglichkeiten, alte Zöpfe abzuschneiden.
Die Customizing-Probleme könne man nicht ServiceNow anlasten, sagte Zaler. An anderer Stelle gebe es aber durchaus noch Verbesserungsbedarf. Der Manager moniert komplexe Lizenzmetriken. Das ganze Lizenzmodell sei verwirrend und intransparent.
Die einzelnen Module innerhalb der Plattform hätten unterschiedliche Bemessungsgrundlagen – Zahl der Tabellen, Mitarbeiter, Server-Knoten etc. Hier wünscht sich Zaler ein einfacheres Modell und außerdem mehr Übersicht auf der Plattform: Was hat Henkel eingekauft? Was ist gerade im Einsatz? Welche Lizenzkapazitäten gibt es noch? Diese Fragen hätte der Manager gerne auf einen Blick beantwortet.
Mit Bill McDermott zu zweistelligen Milliarden-Umsätzen
ServiceNow steckt sich ehrgeizige Ziele. "Wir wollen uns in Richtung zehn Milliarden Dollar Jahresumsatz entwickeln", sagt Deutschland-Chef Detlef Krause. Dieses Ziel wolle der Softwarekonzern schneller erreichen als jede andere Company zuvor. Momentan steht der 14 Jahre alte Anbieter bei etwa vier Milliarden Dollar. Salesforce habe dafür 20 Jahre gebraucht, setzt Krause den Maßstab. "Wir glauben, dass wir das noch schneller schaffen können."
Dabei helfen, die hoch gesteckten Ziele zu erreichen, soll der neue CEO Bill McDermott, der Anfang kommenden Jahres den zu Nike wechselnden John Donahoe ablöst. Krause setzt große Hoffnungen in den ehemaligen SAP-Chef. McDermott habe viel erreicht und bringe große Erfahrung im Enterprise-Applications-Geschäft mit. Speziell in Deutschland, das ServiceNow neben Japan als Wachstumsmarkt einstuft, könne ein Mann wie McDermott viele Türen öffnen. "Er kennt jeden Vorstandsvorsitzenden aus dem Dax", sagt Krause. "Das hilft mir in meinem Geschäft."