Analysten-Kolumne
Shared Service Center - Herausforderungen und Chancen
Martin Lippert lebt und arbeitet als Unternehmerberater in Darmstadt. Zu seinen Spezialgebieten zählen unter anderem die Bereiche Benchmarking, Outsourcing / Managed Services und Prozessoptimierung mit Auto-ID-Systemen in Handel, Logistik und Supply Chain Management (SCM).
Die Idee spricht zunächst für sich: Aufgaben, die bislang wiederholt an mehreren Stellen im Unternehmen durchgeführt wurden, werden in einem zentralen Shared Service Center gebündelt, um durch Skaleneffekte effizienter und kostengünstiger zu arbeiten. Meistens handelt es sich um dienstleistende Funktionen für die eigentlichen Kernbereiche des Unternehmens, die dann die Leistungen zentral abrufen und sich die Kosten teilen. Die neue, halbautonome Einheit tritt ihnen gegenüber wie ein Dienstleister am Markt auf.
Geeignet sind alle Bereiche, in denen die Marktstandardisierung eine größere Rolle spielen wird als individuelle Ansätze. Dazu gehören insbesondere Aufgaben aus Verwaltung, Einkauf, Kundendienst, Finanz- und Personalwesen, IT, Marketing und Vertrieb sowie zahlreiche Backoffice-Funktionen.
Für die bisherigen operativen Bereiche - insbesondere die IT und deren CIOs - ergeben sich dadurch zusätzliche Chancen: Sie können neue Verantwortungsbereiche übernehmen, werden wesentlich stärker in die Geschäftsprozesse eingebunden und ihre Bedeutung im Unternehmen steigt. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Sie stehen nämlich zugleich vor der Herausforderung, sich gegen externe Dienstleister zu behaupten, die diesen Markt ebenfalls intensiv angehen. Da durch die Neuorganisation Schnittstellen schon definiert sind, wächst insbesondere die Gefahr der vollständigen Ausgliederung.
Ob das Konzept überhaupt die versprochenen Früchte trägt, entscheidet sich bereits in der Vorbereitungs- und Aufbauphase. Die Auswertung von 37 Compass-Studien zeigt deutlich die wichtigsten Herausforderungen bei Shared-Service-Projekten in Unternehmen:
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Unklare Zielformulierung: 51 Prozent
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Mikropolitik: 78 Prozent
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Organisationsprobleme: 83 Prozent
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Produkt- und Servicegestaltung: 68 Prozent
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Steuerung/Governance: 72 Prozent
Herausforderung 1: Zielformulierung
Zu Beginn muss die Unternehmensleitung das Ziel des geplanten Dienstleistungszentrums klar und eindeutig benennen: Soll es sich um ein Cost- oder ein Profit-Center handeln? Im ersten Fall geht es darum, durch die Bündelung von Aufgaben und die Nutzung von Skaleneffekten Eigenleistungen für das Unternehmen günstiger zu erbringen. Ein Profit-Center hingegen spricht zusätzlich den Drittmarkt an. Dies verschiebt den Schwerpunkt bei der Produktgestaltung. StandardisierungStandardisierung - die auch in einem Cost-Center zur Effizienzsteigerung beiträgt - wird noch wichtiger. Das zweite Konzept lohnt sich nur, wenn der adressierbare Markt groß genug ist. Deshalb sollten die Verantwortlichen zunächst die Marktfähigkeit der zentralen Produkte und Services genau überprüfen. Alles zu Standardisierung auf CIO.de
Auf jeden Fall handelt es sich bei der Zieldefinition um eine strategische Grundsatzentscheidung. Man kann nicht erst einmal mit einem Cost-Center beginnen und es dann in ein Profit-Center hineinwachsen lassen. Im ersten Fall werden die Produkte zu ihren reinen Kosten weitergegeben, im zweiten Fall mit Gewinn. Bei einer Vermischung kann das Controlling die tatsächlichen Kosten kaum noch nachvollziehen.
Herausforderung 2: Mikropolitik
In der Management-Theorie hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Eigeninteresse und die Machtstrategien der Akteure die Funktionsweise einer Organisation wesentlich prägen. Beim Aufbau eines Shared Service Centers ist dies exemplarisch zu beobachten. Hier werden in der Regel verschiedene Abteilungen zu einer zentralen Einheit zusammengefasst. Damit werden plötzlich viele Karten neu gemischt. Wer leitet dieses Zentrum? Wer profitiert - je nach Gestaltung der neuen Rollen und Prozesse - davon am meisten?
Ein Beispiel aus der Beratungspraxis illustriert diese Mechanismen. Ein Industriekonzern hat den vorher in den Fachbereichen angesiedelten Einkauf zentralisiert. Das neue Shared Service Center nimmt nunmehr Ausschreibungen vor. Nach wie vor prüft jedoch der Fachbereich die eingehenden Angebote auf Eignung - eine hervorragende Gelegenheit, zu zeigen, dass er im Grunde alles viel besser kann …
Die Interessen aller Beteiligten richtig einzuschätzen, sie von vornherein zu berücksichtigen und zu harmonisieren ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu müssen die Verantwortung und die Prozesse sowohl innerhalb des Shared Service Centers als auch zwischen ihm und den Fachbereichen eindeutig definiert werden. Eine bewährte Strategie ist es, Sponsoren zu benennen, die die Entscheidung mittragen und helfen, sie durchzusetzen. Ein solcher Sponsor sollte in Unternehmenshierarchie möglichst hoch angesiedelt sein. Ideale Kandidaten sind beispielsweise der CFO, besser noch die Business-Vorstände.
Herausforderung 3: Organisation
Interessenkonflikte können außerdem durch die organisatorischen Strukturen aufgefangen werden. Auf beiden Seiten sollten "Brückenköpfe" mit neuen Rollen installiert werden, die das Demand-Supply-Management übernehmen. Der Fachbereich als Auftraggeber muss ein professionelles Anforderungs-Management installieren, das den Bedarf genau beschreibt und den internen Dienstleister steuert. Das Shared Service Center wiederum muss eine Dienstleistungsorganisation aufbauen, die die Kundenanforderungen genau kennt und daraus ein bedarfsgerechtes, wettbewerbsfähiges Leistungsportfolio ableitet. Letztendlich muss sich das Shared Service Center wie ein eigenes "Unternehmen im Unternehmen" verhalten.
Die neuen Organisationseinheiten funktionieren nur, wenn sie mit den richtigen Skills besetzt sind. Das Unternehmen muss die entsprechenden Mitarbeiter gezielt auf ihre neuen Rollen vorbereiten. Insbesondere ist ein anderes Selbstverständnis notwendig - auf Seiten der Leistungserbringer eine stärkere Kundenorientierung, auf Seiten der Fachbereiche das Management von Dienstleistern statt der Durchführung der Leistung selbst.
Weiterhin müssen Unternehmen darauf achten, dass sie die zusätzlichen Strukturen schlank halten, damit der Overhead nicht den Nutzeneffekt überlagert. Gerade Unternehmen, die mit entsprechenden Funktionen noch keine Erfahrungen haben, können viele Fehler vermeisen, wenn sie sich auf marktgängige Modelle für die einzelnen Funktionen stützen.
Herausforderung 4: Produkt- und Service-Gestaltung
Ein Shared Service Center wird nur von den Fachbereichen akzeptiert, wenn es seine Produkte sauber aufbaut und der Zuschnitt seines Angebots sowie dessen Preise dem Markt entsprechen. Eine bewährte Methode ist es, Produkte und Services in ihre einzelnen Leistungsbestandteile zu zerlegen und zu neuen, marktüblichen Produkten zusammenzusetzen, deren Preise dann ebenfalls mit ausgewählten Referenzgruppen verglichen werden. Es empfiehlt sich, wo immer möglich standardisierte Komponenten anzubieten - einerseits um bei der Produktion Skaleneffekte zu nutzen, andererseits um Markttransparenz herzustellen. Damit kann den Kunden zugleich aufgezeigt werden, was ein nicht standardisiertes Vorgehen kostet.
Als Voraussetzung für marktgerechte Preise muss das Shared Service Center auch seine interne Leistungserbringung unter die Lupe nehmen. Durch Analyse der Kostenstrukturen und einen Vergleich mit Referenzgruppen kann es erkennen, ob sie den marktüblichen Konditionen entsprechen, sowie Preis- und Kostentreiber identifizieren. Zugleich erhält es Ansatzpunkte zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung, etwa durch weitere Standardisierung von Leistungen, Verfahrensoptimierung oder auch das OutsourcingOutsourcing einzelner Prozessschritte. Alles zu Outsourcing auf CIO.de
Herausforderung 5: Gesamtkontrolle und Governance
Um Erfolge messbar und kontrollierbar zu machen, werden Kennzahlensysteme benötigt. Diese müssen unterschiedliche Perspektiven abbilden - Stückkosten ebenso wie Gesamtkosten. Das Shared Service Center erhält damit zugleich die Chance, herauszuarbeiten, dass ein interner Dienstleister einen größeren Wertbeitrag für das Unternehmen leisten kann als ein externer. Dazu braucht es entsprechende Business-Kennzahlen.
Eine zentrale HR-Funktion beispielsweise könnte nachweisen, dass sie die für Fachbereichsaufgaben notwendigen Rollen und Qualifikationen besser versteht und eher in der Lage ist, die Lücke zwischen dem vorhandenen Skill-Mix und dem tatsächlichen Bedarf zu füllen. Eine geeignete Kennzahl dafür könnte die durch Befragung gewonnene Projektzufriedenheit der Fachabteilung sein. So kann das Shared Service Center der Geschäftsleitung seinen eigenen Mehrwert im Vergleich zu Outsourcing-Optionen darstellen.
Dr. Martin Lippert ist Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH, Wiesbaden.