Falsche Prioritäten

Überlastete Mitarbeiter bremsen digitalen Wandel

Wolfgang Herrmann ist IT-Fachjournalist und Editorial Lead des Wettbewerbs "CIO des Jahres". Der langjährige Editorial Manager des CIO-Magazins war unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO sowie Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Konflikte zwischen Business und IT und eine Überlastung der Angestellten behindern in vielen Unternehmen die digitale Transformation. Häufig fehlt es an klaren Vorgaben.
Überlastete Mitarbeiter, traditionelle Denkmodelle und zu viel gesetzliche Regulierung nennen deutsche Entscheider als größte Hemmnisse des digitalen Wandels.
Überlastete Mitarbeiter, traditionelle Denkmodelle und zu viel gesetzliche Regulierung nennen deutsche Entscheider als größte Hemmnisse des digitalen Wandels.
Foto: OPOLJA - shutterstock.com

"Lost in Transformation? - Hindernisse für den digitalen Wandel" - so betitelt die Unternehmensberatung Axxcon eine aktuelle Studie, für die sie 212 IT- und Business-Verantwortliche aus verschiedenen Branchen befragen ließ. 63 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nennen als größtes Hemmnis für schnellere digitale Fortschritte überlastete Mitarbeiter, 59 Prozent beklagen "veraltete traditionelle Denkmuster". Aber auch die starke gesetzliche Regulierung ist für mehr als die Hälfte der Befragten ein Bremsklotz in ihren Bemühungen, Prozesse zu digitalisieren und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Entscheider aus der Finanzbranche sehen darin sogar die größte Hürde.

Die Überlastung könne aufgrund des Fachkräftemangels noch weiter zunehmen, kommentiert Thomas Gondorf, Senior Manager bei Axxcon, die Ergebnisse. Hinzu komme die fehlende Flexibilität mancher Mitarbeitenden: "Traditionelle Denkmuster wie Hierarchiegläubigkeit und mangelnde Eigeninitiative, die den Gegenpol zum gewünschten Startup-Spirit markieren, stechen hervor."

"ITler sind chronisch überlastet"

Besonders kritisch sehen die befragten Führungskräfte die noch immer nicht überwundenen Konflikte zwischen Business- und IT-Abteilungen. Divergierende Prioritäten erschwerten die Zusammenarbeit ebenso wie unklare Anforderungen und Ziele. Wie unterschiedlich ITler und Kollegen aus den Fachabteilungen ticken, zeigt die getrennte Befragung von Führungskräften aus diesen Bereichen. So schätzen Business-Vertreter die IT-Mitarbeiter häufig als "chronisch überlastet" ein. Sie stimmen auch wenig schmeichelhaften Aussagen zu, wie die IT sei im Vergleich zu Startups zu langsam und zu träge, lebe in ihrer eigenen Welt und halte Termine nicht ein.

Die IT-Verantwortlichen andererseits sehen ihre Arbeit von der Business-Fraktion zwar wertgeschätzt, kritisieren aber: "Das Business Development kann den Arbeitsaufwand für Programmierer nicht richtig einschätzen", "ist im Vergleich zu Startups viel zu langsam", "kann nicht mit agilen Methoden arbeiten" und "hat keine Ahnung von IT".

Trotz solcher Kritik sehen die Axxcon-Berater in den Studienergebnissen auch positive Signale. "Beide Parteien wollen auf Augenhöhe zusammenarbeiten beziehungsweise empfinden, dass sie das bereits tun", sagt Senior Consultant Friederike Krause. Fast jede zweite Führungskraft gibt zudem an, dass sich die Zusammenarbeit zwischen IT und Business durch die Corona-Pandemie verbessert habe. Krause: "Die zügige Bereitstellung der Technik für Remote Work war ein Erfolg, der Business und IT zusammengeschweißt hat. Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass dies nur der Anfang war und die wahren Herausforderungen der digitalen Transformation noch bevorstehen."

Etwas überraschend für die Studieninitiatoren werten die Befragten andere Hemmnisse des digitalen Wandels im Vergleich zum Konflikt zwischen Business und IT als weniger bedeutend. Dazu gehören etwa eine falsche Priorisierung der Projekte sowie Defizite bei Strategien und Ziele. Axxcon-Manager Gondorf hat dafür eine Erklärung: "Man sieht die Symptome, ist sich aber der dahinterliegenden Ursachen nicht unbedingt bewusst. Die richtige Priorisierung etwa ist ein ganz entscheidender Hebel, um Arbeitslast zu reduzieren."

Gefragt nach geeigneten Wegen, um das Verhältnis von Business- und IT-Einheiten zu verbessern, spielen solche Aspekte dann doch eine Rolle. So erklären 56 Prozent der befragten Führungskräfte, dass sich die Zusammenarbeit "mit den richtigen Methoden deutlich verbessern" lasse. Konkret wünschen sie sich klar abgestimmte strategische Ziele, regelmäßige Meetings zur Abstimmung beziehungsweise Priorisierung der Aufgaben sowie ein gutes Multiprojektmanagement. Auch agile Methoden und regelmäßige Retrospektiven stehen auf der Wunschliste weit oben.

In der Praxis gibt es diesbezüglich noch reichlich Nachholbedarf, monieren die Studienautoren. So hielten zwar 90 Prozent der Befragten klar abgestimmte Ziele für wichtig. Doch nur 64 Prozent sehen sie tatsächlich in ihren Unternehmen. Ein gutes Multiprojektmanagement ist für 78 Prozent erfolgsentscheidend, doch nur die Hälfte berichtet von entsprechend etablierten Prozessen.

Agile Methoden reichen nicht

Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Thema agile Methoden. Während 73 Prozent sie als wichtig erachten, arbeitet nur die Hälfte auch wirklich damit. Dass agile Methoden die Zusammenarbeit zwischen Business- und IT-Einheiten nachhaltig verbessern, lässt sich aus den Daten aber nur zum Teil ableiten. Wo sie im Einsatz sind, berichten nur 19 Prozent von einer starken Verbesserung; 56 Prozent geben an, die Kooperation habe sich "ein wenig verbessert". Weitere 20 Prozent sehen keine Veränderungen. Auf die Frage, woran es hakt beim Einsatz, antworten Business- und IT-Verantwortliche am häufigsten: "Das Agile ändert nichts an den grundsätzlichen Problemen."

Gonsdorf kennt die Schwierigkeiten aus seiner Beratungspraxis. Beim Umsetzen eines Scrum-Frameworks setzten Unternehmen beispielsweise häufig einen "Proxy-Product-Owner" ein, also einen ITler, der seinem Team die Business-Anforderungen vermitteln solle. Das aber sei nicht zielführend: "Der Product Owner muss aus dem Business kommen. Nur so kann eine effektive Steuerung erfolgen." Dabei müssten Vertreter aus den Fachabteilungen auch die Verantwortung für die Wertschöpfung im cross-funktionalen Team übernehmen.

"Agile Methoden und Tools einzuführen, ist wichtig, reicht jedoch allein nicht aus, um digitale Geschäftsmodelle schneller zu entwickeln und einzuführen", so der Berater. Wichtig seien auch das richtige Mindset, gute Rahmenbedingungen und ein verbindliches Zielbild. Die Teams bräuchten darüber hinaus klar definierte Rollen und Verantwortlichkeiten.

Fokussieren bringt Entlastung der Mitarbeitenden

Und was können Unternehmen gegen eine Überlastung der Beschäftigten tun? Gonsdorf sieht hier die Geschäftsführung in der Pflicht. Laut der Umfrage übernehme sie zwar bereits in 58 Prozent der Fälle die Priorisierung neuer Geschäftsmodelle. Erfolgsentscheidend sei jedoch, Projekte immer wieder neu zu bewerten und solche ohne strategischen Nutzen auszusortieren. Auf diese Weise ließen sich überfüllte Pipelines verhindern: "Fokussierung ermöglicht es den Mitarbeitern, bessere Leistungen zu erbringen. Werden klare und greifbare Rahmenbedingungen gesetzt, finden sie auch ihren Weg durch die Transformation."

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