IT-KOMPETENZ IM MITTELSTAND
Undercover-CIOs
OFFIZIELL IST BERNHARD WIESER „Zentralbereichsleiter für Informatik und Prozessgestaltung“ bei den Schön-Kliniken, einer privaten Krankenhauskette in Prien am Chiemsee. Immer wenn der ehemalige SAPBerater im Ausland auf Kongresse geht, wird der ITVerantwortliche kurzerhand zum CIO. „In multinationalen Unternehmen ist der Titel akzeptiert“, sagt Wieser; „bei uns hingegen löst er eher Erstaunen als Zustimmung aus.“ Was solle ein CIO denn schon anderes tun als ein IT-Leiter, so die Frage von Wiesers Kollegen.
Der 39-jährige Informatiker und Betriebswirt Wieser ist ein CIO unter dem Deckmantel eines IT-Leiters. Er hat schon oft ProjekteProjekte durchgesetzt, die in anderen Mittelstandsfirmen noch fehlen. So kann er die Bettenbelegung aller sieben Kliniken sowie die Fall- und OP-Zahlen zentral im „Business Information Warehouse“ einsehen. Durch eine zentrale Bündelung des Einkaufs in allen Kliniken spart das Unternehmen „mehr als zehn Prozent“, zudem hat Wieser ein Krankenhausinformationssystem (KIS) als „medizinischen Backbone“ installiert.
Wenige Mitarbeiter, effiziente IT
„Nicht technik-, sondern prozessgetrieben muss die IT sein. Nicht Spezialisten, vielmehr Generalisten sollen die IT leiten“, forderte Wieser im Führungszirkel der Klinikkette. Der Vorstand habe akzeptiert, dass ein IT-Verantwortlicher für Gesamtprozesse zuständig sein muss. Daten von einem Patienten, die etwa in der Notfallaufnahme gesammelt werden, sollten auch den Stationen und Spezialabteilungen zur Verfügung stehen und nicht von Abteilung zu Abteilung neu abgefragt werden müssen. Nur so ließe sich eine Gesamtkalkulation aufstellen.
Der Begriff CIO ist auch bei den Mittelstandsverbänden noch weitgehend unbekannt. „CIO, was ist denn das?“, fragt Barbara Vogt von der Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer. Auch die Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand ist ratlos. Armin Heinzl wundert das nicht. Der Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bayreuth geht noch einen Schritt weiter. Er behauptet, dass CIOs im Mittelstand gar nicht nötig seien. Den Beweis dafür sieht Heinzl in einer kürzlich an seinem Lehrstuhl erstellten Studie über die Effizienz des „OutsourcingOutsourcing der IT in mittelständischen Unternehmen“. Das überraschende Ergebnis: „Mittelständische Firmen aus dem Bau-, Keramik- und Glasgewerbe betreiben ihre IT sehr effizient und verfügen über derart viel IT-Wissen, dass sie gar nicht outsourcen müssen.“ Deshalb hat Heinzl den Eindruck, dass die IT umso effizienter ist, je weniger Mitarbeiter dafür zuständig sind.
Kurze Wege dank Vorstandsposten
„Die Aufgaben sind im Mittelstand zwar ähnlich komplex wie in Großunternehmen, aber der Pragmatismus ist stärker ausgeprägt“, meint Wieser. Lösungen kommen schnell auf den Tisch der Geschäftsführung, die oft nur einen Raum weiter sitzt. „Je kleiner die Einheiten, desto pragmatischer die Lösungen“, sagt auch Michael Niklas, CIO der Immobilienfirma Viterra. Das ist erforderlich: Denn die Aufgaben im Mittelstand gelten als ähnlich komplex wie in Großkonzernen. Als CIO verantwortet Niklas die IT an 160 Standorten der in 27 Ländern aktiven Firma. Mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro hält er seinen Arbeitgeber allerdings nicht für ein Mittelstands-, sondern für ein Großunternehmen. Um pragmatische Entscheidungen auch bei Viterra zu ermöglichen und die Arbeit von 160 IT-Mitarbeitern zu koordinieren, richtete Niklas ein CIO-Office mit drei Personen ein, das direkt an den Vorstand berichtet. „So können wir schnell Entscheidungen treffen und letzten Endes professionellen Mehrwert für unsere Kunden schaffen“, so Niklas.
Mit nur 20 IT-Mitarbeitern leistet sich der Logistikdienstleister IFCO Systems aus Pullach bei München einen CIO. Der Betriebswirt Wolfgang Orgeldinger sitzt im Vorstand des Unternehmens, eine für den Mittelstand außergewöhnliche Konstellation. Den Vorteil sieht Orgeldinger darin, dass er als Teil des Managementteams kurze Wege zur Firmenleitung hat. „In Großunternehmen spielt der CIO eine politischere Rolle als bei uns“, räumt Orgeldinger ein, der vor wenigen Jahren noch Geschäftsführer der Großhändlers Computer 2000 war. Ein CIO sei für den Mittelstand nur dann nicht sinnvoll, „wenn die Top-Manager des Unternehmens bereits IT-vorbelastet sind und wissen, wie sie Prozesse gestalten.“ Um die Prozessdenke komme bei IFCO wegen der Aufgliederung in zehn Landesgesellschaften und der Fokussierung auf E-Logistik längst niemand mehr herum. Da spielt es auch keine Rolle, ob auf der Visitenkarte CIO oder IT-Leiter steht. „Etikettenschwindel ist in Deutschland ohnehin eher unwahrscheinlich“, sagt Heinzl. Die Unternehmensstrukturen in den USA begünstigen den Aufstieg von CIOs in eine wichtige (Vorstands-) Position weit mehr als die deutschen. „Während in den Staaten der CIO ausschließlich für Informationsmanagement zuständig ist“, so der Professor, „ist diese Zuständigkeit in Deutschland mit einigen anderen vermischt: Unternehmensentwicklung, Controlling und FinanzenFinanzen.“ In der Bundesrepublik wird Informationsmanagement traditionell als eine von mehreren Aufgaben miterledigt. Die Folge: viele CIOs in den USA, wenige in Deutschland.
„Undercover-CIO“ Bernhard Wieser hat sich angewöhnt, jedes seiner sieben Krankenhäuser einmal im Monat zu besuchen, um die Hand auf den Puls der lokalen IT zu legen. „Eines Tages“, da ist er sich sicher, „werden die Mitarbeiter nicht mehr über den Titel CIO erstaunt sein.“ Doch auf den geeigneten Zeitpunkt, um neue Visitenkarten zu ordern, will Wieser noch warten.
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