Komplexität in IT-Projekten

Von agilen Entwicklungsteams lernen

Kommentar  06.08.2021
Daniel Pötzinger ist Chief Technology Officer der AOE GmbH.
Die technische Expertise ist Voraussetzung für IT-Projekte, aber längst nicht alles. Warum es auch auf die Lernfähigkeit der Teams ankommt, lesen Sie hier.
Wenn eingespielte agile Entwicklungsteams für Innovationsvorhaben eingeplant werden, gibt es für die Organisation deutlich mehr zu lernen und zu beachten als nur die technisch notwendige Expertise im Projekt zu haben.?
Wenn eingespielte agile Entwicklungsteams für Innovationsvorhaben eingeplant werden, gibt es für die Organisation deutlich mehr zu lernen und zu beachten als nur die technisch notwendige Expertise im Projekt zu haben.?
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Dieser Beitrag will Gedanken aus CTO-Sicht zum Thema Komplexität in IT-Projekten sowie im Zusammenspiel mit Entwicklungsteams geteilt werden. Dabei stehen innovative Projekte im Vordergrund, also solche, die potenziell wichtig für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens sind, weil sie entweder helfen sollen, bestehendes Geschäft auszubauen oder neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen. Solche Unternehmensprojekte spielen sich sowohl nach außen als auch nach innen in einem komplexen Umfeld ab. Mit dieser Komplexität möglichst gut umzugehen, ist ausschlaggebend für das Gelingen des Projekts und letztlich auch den Erfolg des gesamten Betriebs.

Gerade in der aktuellen Zeit, in der große gesellschaftliche Themen sowie Krisen an Relevanz gewinnen und Änderungen in Gesellschaft sowie im Wirtschaftssystem mit zunehmender Geschwindigkeit und Dynamik geschehen, ist ein funktionierendes Komplexitätsmanagement unerlässlich. Je anpassungsfähiger und dynamikrobuster ein Unternehmen in diesem sich komplex verändernden Umfeld agiert, desto erfolgreicher kann es sein.

Gerade für etablierte Organisationen wie zum Beispiel große Konzerne, die durch die Veränderungen zu Reaktionen gezwungen werden, ist diese Herausforderung ungleich schwieriger. Hier ist oft zu beobachten, dass initial gut gemeinte und durchdachte IT-Initiativen zu wenig Schwung und Wirkung entwickeln und hochskalierte IT-Vorhaben somit teuer und ineffektiv werden. Anstelle eines in Sachen "agile Transformation" überspringenden Funkens auf das ganze Unternehmen mit positiver Wirkung auf sämtliche Abteilungen, ist oft Zynismus oder Frust festzustellen. In dem Spannungsfeld, das hierbei in etablierten Unternehmen entsteht, werden sogar Dynamiken sichtbar, die bereits eingespielte Entwicklungsteams negativ beeinflussen - obwohl man doch so viel hätte erlernen können.

Was ist Komplexität?

Komplex ist eine Situation, wenn nicht vorhersehbar ist, was genau passieren wird. Wenn es nicht möglich ist, alle Elemente, die damit in Verbindung stehen, zu kennen, zu berücksichtigen und mitzudenken. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Entscheidungsprozesse nur schwer strukturierbar sind. Dennoch müssen aber ständig Entscheidungen getroffen werden, um Projekte erfolgreich zu managen. Für komplexe Situationen gibt es keine einfachen Lösungen. Und es darf auch nicht erwartet werden, dass die bloße Einführung agiler Methoden oder das alleinige Befolgen von Management- oder Transformationshandbüchern hier nachhaltig helfen.

Wir sollten uns stattdessen motiviert fühlen, ständig zu lernen und unsere Managementfähigkeiten in Sachen Komplexität und die Kommunikation darüber mit anderen permanent zu verbessern. Funktionierendes Komplexitätsmanagement kann unter anderem dadurch erreicht werden, mehr sinnvolle Perspektiven oder Aspekte differenziert mitzudenken und sich Zusammenhänge zu erschließen. Es bedeutet auch, dies gemeinsam tun zu können und an funktionierender Kommunikation und Kollaboration zu arbeiten. Moderne System- und Organisationstheorien geben hier wertvolle Perspektiven, die dabei helfen, wichtige Zusammenhänge besser analysieren zu können.

Das Unternehmen als System

Unternehmen agieren im Wirtschaftssystem und lösen Probleme (denen sie sich widmen), dafür gibt es in der Regel eine Vergütung, die letztlich notwendig ist, damit das Unternehmen Gewinn erzielt und weiter überleben kann. Wenn wir einen solchen Betrieb als komplexes System betrachten, so haben wir zum einen das komplexe System des Unternehmens selbst (interne Referenz) und zum andern die Komplexität in dessen Umfeld (externe Referenzen).

Beiderseits gibt es viele Dimensionen und Differenzierungen, die mitgedacht werden wollen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Hier einige Beispiele für externe Dimensionen:

  • Kundenbedürfnisse,

  • verschiedene Konkurrenzunternehmen,

  • Partner und Lieferantenbeziehungen,

  • Investoren und Aktionärserwartungen,

  • Regeln und Gesetze,

  • bestehende Netzwerke sowie

  • die Wechselwirkungen mit Politik und der Einfluss von Krisen etc.

Nach innen ist es die Realität der Unternehmenskultur und der etablierten Zusammenarbeit. Zum Beispiel:

  • Vorhandenen Assets,

  • Hierarchiestrukturen,

  • Weiterentwicklungs- und Karrieremöglichkeiten und

  • welche Ziele Mitarbeiter (wirklich) verfolgen.

Systemisch ausgedrückt also die etablierten Kommunikationsmuster innerhalb des Systems Unternehmen.

Mit dieser Unbestimmtheit und Komplexität will umgegangen werden - es zählt, Zusammenhänge zu sehen und mitzudenken, kreativ in Teams zusammenzuarbeiten, sich zu vernetzen sowie zusammen Visionen und Lösungen zu entwickeln.

Prinzipien für Transformationsvorhaben

Es gibt viele großartige Denker, die sich zum Thema Komplexität geäußert haben, sowie in Bezug auf Unternehmensorganisation eine aktive Community von Denkern, Beratern und Coaches mit viel Erfahrung im Bereich Komplexität. An dieser Stelle deshalb nur ein paar zu diesem Thema publizierte Impulse, die beachtenswert sind. Man findet sie teilweise auch in den agilen Prinzipien und sie sind auch oft wichtige Bestandteile von Transformationsvorhaben.

  • Lernen: Unternehmen sollten sich heutzutage immer auch als Bildungs- beziehungsweise Lernorganisationen begreifen. Wenn sich die zu lösenden Probleme (komplex) ändern, muss Lernen selbstverständlich zur Wertschöpfung gehören. Auch der Umgang mit Komplexität kann ständig gelernt werden: Die Fähigkeiten Komplexität zu managen, lassen sich beobachten und aneignen. Dazu gehört das Verständnis darüber, wie Lernen (oder besser Selbstbildung) für uns Menschen eigentlich funktioniert.

  • Systemisches Denken: Hierbei sollte man berücksichtigen, wie man systemisches Denken etablieren kann - um eben nicht (wieder) auf zu einfache Modelle und Theorien zurückzugehen und nicht auf eingespielte Muster, Konditionierungen oder Ideologien hereinzufallen.

  • Entscheidungen: Viele Entscheidungen in Projekten müssen nicht am Anfang getroffen werden, sondern später im Prozess, wenn man mehr über ein Thema "weiß" und es wahrscheinlicher ist, mit der gewonnenen Erfahrung und Kompetenz "bessere" Entscheidungen herbeizuführen. Wenn Neues gelernt wurde, müssen diese Erkenntnisse integriert werden - ein Festhalten an "überholten" Entscheidungen zeugt oft nicht von wirklichem Lernen.?Wenn man von Kompetenz getragene Entscheidungen will, ist es auch wichtig, wo Entscheidungen getroffen werden dürfen und woran sie sich ausrichten.

  • Externe Perspektive: Menschen sind normalerweise gut darin, (echte) Probleme zu lösen. Eine Ausrichtung an externen Referenzen, an der Wertschöpfung, ist essenziell, damit Kreativität und Problemlösungen auch dem Zweck des Unternehmens dienlich sind. Dagegen kann eine Ausrichtung nach innen (an internen Referenzen) oft dysfunktional wirken und in unnötiger (Eigen-)Beschäftigung münden. Gerade das macht es in vielen Konzernstrukturen schwer.

  • Teams und Kommunikation: Kollektive Intelligenz ist für den Erfolg wichtig, da mehrere Perspektiven (oder Dimensionen) zusammenkommen und man gemeinsam viel mehr Wirkung erzielen kann. Damit diese kollektive Intelligenz entstehen kann, sind eine klare, reflektierte Kommunikation sowie das Erkennen von Kompetenzen wichtig.

Eingespielte Entwicklungsteams als Lehrbeispiel

Wenn man mit dieser Perspektive auf bereits erfolgreiche und wirksame (agile) Entwicklungsteams blickt, hat sich in diesen Teams eine Arbeitskultur entwickelt, die in einem komplexen, anspruchsvollen und dynamischen Umfeld gelernt hat. In einer Umgebung also, die von ständiger Veränderung und Innovation in Technologien und wechselnden Projekt- und Kundenanforderungen geprägt ist. In solchen Teams ist oft eine "Ende-zu-Ende"-Verantwortung für ein Thema zu finden und wird regelmäßig (iterativ) ein qualitativ hochwertiges Produkt in den Markt geliefert. Da wir hier von der Annahme ausgehen, dass das Team erfolgreich ist, lohnt sich ein Blick darauf, welche Muster sich entwickelt haben.

Da das Team ständig neue Probleme löst, ist es in der Gruppe etabliert, regelmäßig Neues auszuprobieren und zu lernen. Innerhalb solcher Teams beobachtet man eine hohe Selbstlernexpertise. Die insbesondere im AgilenAgilen etablierten, regelmäßigen Feedback-Schleifen und Reflektionen werden für das gemeinsame Lernen auf den verschiedenen Ebenen genutzt. Teammitglieder haben auch erfahren, dass keiner alles kann und es trotzdem auf die Kompetenz jedes Einzelnen ankommt. In den Teams begegnet man sich auf Augenhöhe und hat erkannt, wie wichtig es ist, wirkungsvoll miteinander zu arbeiten und voneinander zu lernen. Alles zu Agile auf CIO.de

Mit jedem neuen Projekt und jedem neuen Auftraggeber ändern sich natürlich die Rahmenbedingungen für ein Team. Es kann passieren, dass die wirkungsvolle Zusammenarbeit durch "Übergriffigkeit" gestört wird. Kreativität und Energie im Team werden dann abgelenkt. Beispielsweise auf die Beschäftigung mit "außerhalb" getroffenen Fehlentscheidungen, auf Erfüllen ungünstiger Prozesse, Abstimmungen, Überformalisierungen oder auf das ständige Mitdenken sinnloser oder konkurrierender Vorgaben und Regeln. Die Gründe dafür sind meist komplex und liegen in den lang eingespielten Mustern des Auftraggebers - auch einseitige Abhängigkeitsbeziehungen (Auftraggeber - Auftragnehmer) können hierfür Gründe sein. Oft wird es gar nicht bemerkt, weil es unbewusst abläuft. Aber solche dysfunktionalen Auswirkungen können nicht im Interesse des Unternehmens sein.

Es ist daher ratsam, umfangreiche und komplexe IT-Vorhaben mit Lern- und Trainingskonzepten rund um agiles Vorgehen durch erfahrene Berater/Coaches, die geübt im Komplexitätsmanagement sind und systemische Perspektiven anwenden können, begleiten zu lassen.

Diese Coaches können helfen, dysfunktionale Muster und Dynamiken aufzudecken. Aber auch das kann nur wirkungsvoll sein, wenn es zur Gesamtorganisation passt und es Möglichkeiten für sinnvolle Interventionen gibt. Hier ist es hilfreich und oft auch erforderlich, Rollen mit formaler Macht im Unternehmen in den gemeinsamen Lern- und Reflektionsprozess mit den Beratern zu haben.

Fazit

Komplexität ist Teil unserer Realität. Was wir gestern gelernt haben, ist morgen vermutlich nicht mehr funktional. Für Unternehmen, die erfolgreich werden oder bleiben wollen, bedeutet das zu lernen, besser damit umgehen zu können - sonst tun es andere.

Wenn eingespielte agile Entwicklungsteams für Innovationsvorhaben beauftragt beziehungsweise eingeplant werden, so gibt es deutlich mehr für die Organisation zu lernen und zu beachten als nur die technisch notwendige Expertise im Projekt zu haben.

Gemeinsame Reflektions- und Lernprozesse mit erfahrenen (systemischen) Beratern sollten deshalb für viele Vorhaben mit eingeplant werden. Und sie sollten mit dem Bewusstsein angegangen werden, dass hier potenziell noch viel mehr für den Erfolg des Projektes oder gar der Gesamtorganisation getan werden kann als auf dem ersten Blick ersichtlich. (pg)

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