Abschied vom klassischen Management

Warum Führung heute anders geht

16.03.2015
Von Winfried  Kretschmer
Linienhierarchie und kennzahlengesteuertes Management sind nicht mehr zeitgemäß. Die Führungskultur ist im Umbruch. Davon ist Management-Vordenker Peter Kruse überzeugt.
Peter Kruse, Berater und Wissenschaftler: "Adäquate Lösungen sind immer nur kooperativ zu haben. 'Ich gegen den Rest der Welt' - das funktioniert nicht mehr."
Peter Kruse, Berater und Wissenschaftler: "Adäquate Lösungen sind immer nur kooperativ zu haben. 'Ich gegen den Rest der Welt' - das funktioniert nicht mehr."

CIO.de: Sie haben sich in mehreren Studien mit Führung beschäftigt, sowohl aus der Sicht der Mitarbeiter als auch der von Führungskräften. Legt man die Ergebnisse übereinander, wird ein Muster erkennbar: Es gibt Hinweise auf einen Paradigmenwechsel. Ist das richtig interpretiert?

Peter Kruse: Das ist richtig. Nicht nur die überwältigende Mehrheit der FührungskräfteFührungskräfte, sondern auch 85 Prozent der Mitarbeiter halten einen Paradigmenwechsel der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, für absolut erforderlich. Auf Mitarbeiterseite gibt es massive Kritik an der Arbeitssituation. Die Verdichtung von Arbeit, die in den letzten zwei Jahrzehnten unter der Maxime von Shareholder-Value, Effizienzoptimierung und dem Streben, mit minimalen Kosten höchstmöglichen Profit zu erzeugen, erreicht worden ist, hat eine herausfordernde, druckbelastete Situation erzeugt. Alles zu Führung auf CIO.de

BurnoutBurnout ist nicht per Zufall zum Modewort geworden. Ein großer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagt heute: So geht es nicht weiter, wir müssen grundlegend etwas ändern. Da steht besonders die soziale Frage im Raum. Neudefinition gesellschaftlicher Solidarität wird angemahnt. Die Beschäftigten üben deutliche Systemkritik. Alles zu Burnout auf CIO.de

CIO.de: Und was bemängeln die Manager?

Peter Kruse: Auch von den befragten 400 Führungskräften sagen 77 Prozent intuitiv: So, wie wir im Moment arbeiten, geht es nicht weiter; die Linien-Hierarchie und das klassische kennzahlengesteuerte Management sind nicht mehr zeitgemäß. Manche sagen sogar: Das aktuelle Führungsmodell gefährdet den Standort Deutschland. Dass auch die Führungskräfte in der überwiegenden Mehrheit einen Paradigmenwechsel fordern, hat mich schon verblüfft.

CIO.de: Wo sieht das Führungspersonal Herausforderungen?

Peter Kruse: In der schwierigen Sandwichposition, in der Führungskräfte sind - auf der einen Seite fordern die Shareholder gute Renditen, auf der anderen die Menschen gute Arbeitsbedingungen -, fühlen sie sich unter einem kaum noch zu bewältigenden Druck. Sie sagen, wir müssen uns ändern, aber die Notwendigkeit, Kapitalrendite zu erzeugen, behindert die notwendige Neuorientierung im Verständnis von guter Führung. Deshalb springen sie als Perso-En in die Bresche und wollen eine Art multiple Superpersönlichkeit werden, die es schafft, doch noch allen Anforderungen gerecht zu werden.

CIO.de: Viel ist die Rede davon, dass die aktuellen Entwicklungen eher zu Unsicherheiten und Unklarheiten führen.

Peter Kruse: Gegenwärtig arbeiten verschiedene Kräfte gegeneinander. Das Kapital hat immer noch das Bedürfnis, seine Rendite zu sichern. Rendite-Erwartungen bewegen sich ja manchmal im zweistelligen Bereich. Und man wird positiv bewertet, wenn man etwas planvoll mit Vorhersage ins Ziel bringt. Das heißt, die Bewertungskriterien für Führung haben nichts mehr mit der von den Führungskräften wahrgenommenen Realität zu tun. Die Beobachtung, dass irgendetwas nicht stimmt, begegnet einem mittlerweile auch in fast jedem Buch über Management-Themen.

Mich überrascht die Irritation, weil wir schon seit 15 Jahren den Leuten klarzumachen versuchen, dass die Explosion der Vernetzungsdichte in der Welt mit zunehmenden Nichtlinearitäten einhergeht. Ich habe mir den Mund fransig geredet und doch oft auf Granit gebissen. Die Reaktion war: Nun ja, es funktioniert doch noch, also machen wir weiter so.

Das ist wirklich witzig: Man fährt jahrelang in eine Richtung, von der man erahnen kann, dass sie nicht dauerhaft beizubehalten ist. Aber die eigene Massenträgheit ist so groß, dass selbst eine Mauer, auf die man zurast, einen anscheinend nicht davon abhält, weiterzufahren.

CIO.de: Wie stellt sich für Sie die Entwicklung des Führens in Unternehmen rückblickend dar?

Peter Kruse: Hochinteressant ist, wie klar die Führungskräfte den Entwicklungsweg sehen: In den 50er Jahren galt das Modell der starken Persönlichkeit, einer mehr oder weniger väterlichen Figur, die für Mitarbeiter mit maximaler Verantwortungsübernahme gute Rahmenbedingungen erzeugt und dafür Loyalität eingefordert hat. Man hat Sicherheit gegeben und zuverlässige Pflichterfüllung bekommen. Das war das Modell in den 50ern, 60ern, 70ern und sogar bis in die 80er-Jahre.

Dann gab es einen großen Sprung in Richtung effiziente Zielerreichung, ein neues Modell: kennzahlengesteuert, die klassische Form von Management by Objectives, alles sehr professionell. Doch dann hat auch dieses Modell seinen Grenznutzen erreicht. Ab den 90ern geht es in Richtung kooperative Teamarbeit: Führung gibt Rahmenbedingungen für zahlenmäßig überschaubare Teams vor und lässt diesen viel Freiheit beim Arbeiten.

CIO.de: Wie würden Sie dann die jetzige Situation beschreiben?

Peter Kruse: Auf die kooperative Teamarbeit folgt ein interessanter Wendepunkt, der in der Wahrnehmung der Führungskräfte fast ohne Kritik ist: Es entsteht ein Konzept von iterativ testender Agilität. Da sind wir bei einer Art Segeln auf Sicht, wobei Verfahren wie Scrum oder Design Thinking eine Rolle spielen. Man sagt: Wir müssen situativ arbeiten, dieses Steuern und Regeln, das wir jahrelang praktiziert haben, funktioniert nicht mehr, denn die Rahmenbedingungen ändern sich zu schnell.

Meine Anpassungsprozesse sind langsamer als die Veränderungsdynamik der Wirklichkeit. Um darauf zu antworten, muss ich meine Vorhersagen aufgeben und mich mit Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und wacher Lernbereitschaft schrittweise in Situationen vorwärtstasten.

Auf kooperative Teamarbeit folge ein interessanter Wendepunkt, der in der Wahrnehmung der Führungskräfte fast ohne Kritik sei: Es entstehe ein Konzept von iterativ testender Agilität.
Auf kooperative Teamarbeit folge ein interessanter Wendepunkt, der in der Wahrnehmung der Führungskräfte fast ohne Kritik sei: Es entstehe ein Konzept von iterativ testender Agilität.
Foto: ag visuell - Fotolia.com

CIO.de: Und wo soll das alles hinführen?

Peter Kruse: Von der Teamarbeit und iterativ testenden Agilität geht es in die offensive Bildung selbstorganisierender NetzwerkeNetzwerke: Vom Team mit einer klaren Identität führt die Entwicklung in die eigendynamische und nicht mehr kontrollierbare Vernetzung. Dies birgt immer die Gefahr, Selbstorganisation im Sinne eines relativ diffusen "Wir" misszuverstehen, wo sich alles von alleine löst. Gemeint ist nicht eine solche diffuse Heilserwartung an die Wirkung kollektiver Intelligenz, sondern eine intelligente Form, Vernetzung zu nutzen: leistungsorientiert, professionell, mit iterativen Vorgehensweisen. Alles zu Netzwerke auf CIO.de

Zur Startseite