Abschied vom klassischen Management

Warum Führung heute anders geht

16.03.2015
Von Winfried  Kretschmer

CIO.de: Sehen Sie schon das Nachfolgemodell der dynamischen Vernetzung?

Peter Kruse: Interessanterweise folgt in der Vorstellungswelt der Führungskräfte auf die dynamische Vernetzung im nächsten Schritt die solidarische Integration. Das Modell wechselt von Shareholder zu Stakeholder. Man sagt: Wenn wir in diese dynamische Vernetzung gehen, dann bekommen wir das gesellschaftliche Problem der solidarischen Gegenbalance. Denn Netzwerke sind nicht sehr fürsorglich, sondern sie erhöhen noch mal die Dynamik.

Vom Gewinner-Verlierer-Syndrom

Also müssen wir uns mit dem Gesellschaftlichen auseinandersetzen, sonst gleitet das ab in eine noch kältere Wettbewerbsorientierung. Und weil die Mitarbeiter dies spüren, entsteht dieses Gewinner-Verlierer-Syndrom. Ungefähr die Hälfte sagt: In dieser Welt der dynamischen Vernetzung fühle ich mich wohl, dafür fühle ich mich gerüstet, das kann ich. Die andere Hälfte sagt: Weder mein Einkommen noch meine Ausbildung machen mich wirklich stark für eine solche dauernde Wettbewerbssituation, wie sie in Netzen stattfindet.

CIO.de: Sie sagen, dass es nicht nur um eine Veränderung im Führungsmodell geht, sondern um einen Paradigmenwechsel von gesamtgesellschaftlicher Dimension.

Peter Kruse: Es geht darum, das Neue diskursiv zu erfinden: What's next? Welche Werte wollen wir realisieren? Was wollen wir als Lebensqualität definieren? Welche Form von Führung hat noch Sinn? Natürlich gibt es Ansätze, auf die man zurückgreifen kann, etwa Design Thinking mit seinem iterativen Vorgehen als professionelle Alternative zur planvollen Steuerung. Es geht um eine neue Form der gemeinschaftlichen Professionalisierung.

Wir haben jahrelang Management perfektioniert, wir haben gute Systeme erzeugt, um mit maximaler Sicherheit vom Ist zum Soll zu kommen, immer mit der Unterstellung der Stabilität und der Planbarkeit. Jetzt geht es nicht mehr um die Professionalisierung von Management, sondern um die Professionalisierung von Unternehmertum. Das hatte schon immer diese instabile Komponente. Ein Unternehmer ist jemand, der mit Achtsamkeit und Intuition Marktdynamik aufgreift, seine Wette setzt und sich einlässt auf nicht planbare Prozesse.

CIO.de: Wie optimistisch sind Sie, dass sich tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Führung vollzieht?

Peter Kruse: Sehr optimistisch. Laut unseren Interviews - wie gesagt ist das keine statistisch repräsentative Stichprobe, aber bezogen auf das kulturelle Kraftfeld durchaus aussagekräftig - liegt bei den Führungskräften die Präferenz für das klassische effizienzgetriebene Modell, das Steuern nach Zahlen, nur noch bei rund 29 Prozent. Die Präferenz für die Stimulation von Netzwerkdynamik liegt bei 24 Prozent - aber auf den Topetagen wird die Netzwerkorganisation bereits favorisiert.

Die Führungskräfte gehen immer mehr in kooperative Modelle. Sie merken, dass sie Lösungen nicht mehr in rein wettbewerblichen Strategien finden können. Adäquate Lösungen sind immer nur kooperativ zu haben. "Ich gegen die Welt" - das funktioniert nicht mehr. So gibt es viele Hinweise darauf, dass sich hier tatsächlich ein Mindset ändert. Das heißt: Die Chancen für grundlegendes Umdenken sind gut. Das lässt mich für die Zukunft hoffen.

CIO.de: Und wie sieht die aus?

Peter Kruse: Das Einzige, was man sicher sagen kann, ist: Ein Zurück in alte Modelle kann vielleicht bei dem einen oder anderen noch für einige Zeit als Wunschvorstellung überleben, aber die Wirklichkeit in den Unternehmen und in der Gesellschaft wird sich auf Dauer nicht gegen die neuen Herausforderungen verschließen können: Und bist du nicht willig, so brauch ich Geduld.

Vita - Peter Kruse

Prof. Dr. Peter Kruse ist am 1. Juni 2015 im Alter von 60 Jahren gestorben. Als Wissenschaftler und Berater ist er oft ausgezeichnet worden. Seine Forschung bewegte sich an der Schnittstelle von Neurophysiologie und Experimentalpsychologie. Er war zudem Gründer und Ideengeber des Beratungsunternehmens Nextpractice GmbH in Bremen, das sich auf die strategische und praktische Begleitung von kulturellem Wandel sowie Trend- und Zukunftsforschung spezialisiert hat. Kruse widmete sich dabei vor allem Management- und Führungsthemen sowie der Analyse von Veränderungen in Markt und Gesellschaft.

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