Exklusiv-Interview mit dem CTO
Warum Siemens-Vorstand Russwurm sich für den Raspberry Pi interessiert
Wie viele Softwareentwickler hat Siemens?
Siegfried Russwurm: Von den rund 32.100 Menschen, die bei uns in der Forschung und Entwicklung arbeiten, sind mehr als 17.500 Softwareentwickler. Die bauen sowohl reine Softwareanwendungen als auch Embedded Systems. Aber die Grenze zwischen Information Technology und Operational Technology verschwimmt ohnehin immer mehr, es ist eigentlich nicht mehr sinnvoll, hier allzu präszise zu differenzieren.
Software entwickeln nach dem Zwiebelschalen-Modell
Wie ist die Entwicklungsmannschaft organisiert?
Siegfried Russwurm: Wir haben eine Art Zwiebelschalenmodell. Es gibt eine Kerngruppe in der zentralen Forschung und Entwicklung, die sich um Themen kümmert, die alle verwenden können, etwa Analytics-Engine, Kommunikationswege oder IT Security. Sie erstellen sozusagen die Plattformen. Wir haben aber nicht alle Softwareentwickler zusammengezogen, weder organisatorisch noch räumlich. Für uns ist es wichtig, dass auf Basis dieser zentralen Plattform Spezialisten für die jeweiligen Arbeitsgebiete von Siemens aktiv werden können, die dann die jeweiligen Lösungen für ihre Kunden erstellen - für die produzierende IndustrieIndustrie, für die Energiewirtschaft, für Mobilitätsunternehmen und für viele mehr. Top-Firmen der Branche Industrie
Das Thema Industrie 4.0Industrie 4.0 bildet so zum Beispiel die zweite Schicht der Zwiebel, Lösungen für die produzierende Industrie, und die dritte umfasst branchenspezifische Softwarelösungen, etwa für die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. In der vierten Schicht adressieren wir dann beispielsweise das Brauereiwesen. Verantwortlich dafür sind unsere Leute, die die Sprache der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sprechen und darin auch, um im Sprachbild zu bleiben, den Dialekt Brauerei verstehen. In der Großmolkerei etwa wird ein anderer Dialekt gesprochen, deshalb sind unsere Lösungen dort anders - und doch aufbauend auf den gleichen "inneren Zwiebelschalen". Alles zu Industrie 4.0 auf CIO.de
- Industrie 4.0 in Deutschland
Die Studie „Industrie 4.0 – Folgen für die deutsche Volkswirtschaft“ von der DZ Bank beleuchtet Themen wie Wertschöpfung, Arbeitsmarkt und Produktivität. Sie basiert auf Daten, die die DZ Bank selbst erhoben hat, ebenso wie auf Analysen vom Fraunhofer IAO, dem Statistischen Bundesamt und weiteren Quellen. - Bevorzugte Branchen
Die Auswirkungen von Industrie 4.0 werden die gesamte Wirtschaft betreffen, doch einzelne Branchen werden stärker profitieren können. Das sind namentlich Chemie, Maschinen, Elektrische Ausrüstungen, Automotive und IT/Kommunikation. Laut Prognosen des Fraunhofer IAO wird die Bruttowertschöpfung in diesen Bereichen weit überdurchschnittlich wachsen. - Arbeitsproduktivität
Mit Blick auf die Steigerung der Bruttowertschöpfung durch die Einführung von Industrie 4.0 und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt lässt sich die Entwicklung der Produktivität abschätzen. Nach Zahlen von Statistischem Bundesamt, Fraunhofer IAO, IAB und der DZ Bank AG wird die Produktivität bis zum Jahr 2025 allein aufgrund der zusätzlichen Wertschöpfung insgesamt um fast zwölf Prozent steigen. - Bevölkerungsentwicklung
Wie die Daten vom Statistischen Bundesamt zeigen, nimmt die Zahl der Deutschen im erwerbsfähigen Alter bis 2060 ab. - Verbraucherpreise
Zahlen vom Statistischen Bundesamt, Statistischem Reichsamt und der DZ Bank AG zeigen den Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und Verbraucherpreisen auf.
Unsere Kunden bekommen also nach außen hin maßgeschneiderte Lösungen, aber nach innen, im Kern, sind sie gleich. So nutzen wir alle Skaleneffekte, die sich ergeben. Der Kunde sieht verschiedene Lösungen - immerhin inzwischen für rund 300.000 vernetzte Systeme in den unterschiedlichsten Anwendungsfällen, aber im Kern sind sie verwandt, und das macht es uns leichter, Systeme beispielsweise im Sicherheitsbereich vernünftig abzuschirmen.
Wir sitzen Operations- und IT-Verantwortlichen gemeinsam gegenüber
Wie erleben Sie die Rolle des CIOs bei Ihren Kunden? Nimmt er dort das Heft in Sachen Digitalisierung und Industrie 4.0 in die Hand?
Siegfried Russwurm: Der CIO ist auf jeden Fall viel mehr Wertschöpfungspartner als früher. Wir erleben immer öfter, dass wir Operations- und IT-Verantwortlichen gemeinsam gegenübersitzen. Wir bringen sie auf unserer Seite mit Branchenexperten zusammen, die genau wissen, wie die Prozesse in der neuen Welt laufen. Manchmal hat man aber auch mit Kunden zu tun, die noch in der alten Welt zu Hause sind. Diese adressieren wir dann eher konventionell. Das Schöne ist: Man kann sehr genau sehen, welche Fortschritte dort gemacht werden, wo IT und Operations zusammenarbeiten. Dort entstehen die richtig spannenden Projekte, bei denen auch für uns die Grenze dessen, was geht, erweitert wird.
Übrigens sitzen immer öfter auch Vertreter unserer eigenen IT-Organisation mit am Tisch. Sie stellt einem Kunden bei Bedarf beispielsweise eine sichere Private Cloud aus unserem Rechenzentrum zur Verfügung. Unsere interne IT steuert also einen Teil zum Leistungsangebot für unsere Kunden bei. Und so, wie sich das bei uns verändert, verändert es sich auch bei vielen Kunden. Das ist die neue Welt: Der CIO sitzt mit am Tisch.
Siemens hat bewusst keinen Chief Digital Officer berufen
Hat Siemens eigentlich einen Chief Digital Officer?
Siegfried Russwurm: Nein. Unser Glaubensgrundsatz ist, dass an der Digitalisierung niemand vorbeikommt. Es ist gefährlich, eine Digitalisierungsorganisation zu schaffen, denn man signalisiert dem Rest der Organisation: Dafür haben wir jetzt einen Chief Digital Officer, der kümmert sich schon darum. Ihr müsst es nicht tun. Nehmen wir einmal unsere Großgetriebesparte, in der wir Getriebe für Windturbinen oder für Zementmühlen entwickeln: Heute wird kein Großgetriebe mehr gebaut, das nicht mit Sensorik für "Condition Monitoring" ausgestattet ist. Vor fünf oder sechs Jahren war die Frage, ob dieses Geschäft irgendetwas mit Digitalisierung oder Software zu tun hat, noch ein kontroverses Thema.