Strategien


Exklusiv-Interview mit dem CTO

Warum Siemens-Vorstand Russwurm sich für den Raspberry Pi interessiert

Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Wie viele Softwareentwickler hat Siemens?

Siegfried Russwurm: Von den rund 32.100 Menschen, die bei uns in der Forschung und Entwicklung arbeiten, sind mehr als 17.500 Softwareentwickler. Die bauen sowohl reine Softwareanwendungen als auch Embedded Systems. Aber die Grenze zwischen Information Technology und Operational Technology verschwimmt ohnehin immer mehr, es ist eigentlich nicht mehr sinnvoll, hier allzu präszise zu differenzieren.

Software entwickeln nach dem Zwiebelschalen-Modell

Wie ist die Entwicklungsmannschaft organisiert?

Siegfried Russwurm: Wir haben eine Art Zwiebelschalenmodell. Es gibt eine Kerngruppe in der zentralen Forschung und Entwicklung, die sich um Themen kümmert, die alle verwenden können, etwa Analytics-Engine, Kommunikationswege oder IT Security. Sie erstellen sozusagen die Plattformen. Wir haben aber nicht alle Softwareentwickler zusammengezogen, weder organisatorisch noch räumlich. Für uns ist es wichtig, dass auf Basis dieser zentralen Plattform Spezialisten für die jeweiligen Arbeitsgebiete von Siemens aktiv werden können, die dann die jeweiligen Lösungen für ihre Kunden erstellen - für die produzierende IndustrieIndustrie, für die Energiewirtschaft, für Mobilitätsunternehmen und für viele mehr. Top-Firmen der Branche Industrie

Das Thema Industrie 4.0Industrie 4.0 bildet so zum Beispiel die zweite Schicht der Zwiebel, Lösungen für die produzierende Industrie, und die dritte umfasst branchenspezifische Softwarelösungen, etwa für die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. In der vierten Schicht adressieren wir dann beispielsweise das Brauereiwesen. Verantwortlich dafür sind unsere Leute, die die Sprache der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sprechen und darin auch, um im Sprachbild zu bleiben, den Dialekt Brauerei verstehen. In der Großmolkerei etwa wird ein anderer Dialekt gesprochen, deshalb sind unsere Lösungen dort anders - und doch aufbauend auf den gleichen "inneren Zwiebelschalen". Alles zu Industrie 4.0 auf CIO.de

Unsere Kunden bekommen also nach außen hin maßgeschneiderte Lösungen, aber nach innen, im Kern, sind sie gleich. So nutzen wir alle Skaleneffekte, die sich ergeben. Der Kunde sieht verschiedene Lösungen - immerhin inzwischen für rund 300.000 vernetzte Systeme in den unterschiedlichsten Anwendungsfällen, aber im Kern sind sie verwandt, und das macht es uns leichter, Systeme beispielsweise im Sicherheitsbereich vernünftig abzuschirmen.

Wir sitzen Operations- und IT-Verantwortlichen gemeinsam gegenüber

Wie erleben Sie die Rolle des CIOs bei Ihren Kunden? Nimmt er dort das Heft in Sachen Digitalisierung und Industrie 4.0 in die Hand?

Siegfried Russwurm: Der CIO ist auf jeden Fall viel mehr Wertschöpfungspartner als früher. Wir erleben immer öfter, dass wir Operations- und IT-Verantwortlichen gemeinsam gegenübersitzen. Wir bringen sie auf unserer Seite mit Branchenexperten zusammen, die genau wissen, wie die Prozesse in der neuen Welt laufen. Manchmal hat man aber auch mit Kunden zu tun, die noch in der alten Welt zu Hause sind. Diese adressieren wir dann eher konventionell. Das Schöne ist: Man kann sehr genau sehen, welche Fortschritte dort gemacht werden, wo IT und Operations zusammenarbeiten. Dort entstehen die richtig spannenden Projekte, bei denen auch für uns die Grenze dessen, was geht, erweitert wird.

Übrigens sitzen immer öfter auch Vertreter unserer eigenen IT-Organisation mit am Tisch. Sie stellt einem Kunden bei Bedarf beispielsweise eine sichere Private Cloud aus unserem Rechenzentrum zur Verfügung. Unsere interne IT steuert also einen Teil zum Leistungsangebot für unsere Kunden bei. Und so, wie sich das bei uns verändert, verändert es sich auch bei vielen Kunden. Das ist die neue Welt: Der CIO sitzt mit am Tisch.

Siemens hat bewusst keinen Chief Digital Officer berufen

Hat Siemens eigentlich einen Chief Digital Officer?

Die Digitalisierung ist bei Siemens allgegenwärtig. Gesteuert werden muss sie laut CTO Russwurm von jedem Mitarbeiter und nicht von einem einzelnen Chief Digital Officer.
Die Digitalisierung ist bei Siemens allgegenwärtig. Gesteuert werden muss sie laut CTO Russwurm von jedem Mitarbeiter und nicht von einem einzelnen Chief Digital Officer.
Foto: Siemens

Siegfried Russwurm: Nein. Unser Glaubensgrundsatz ist, dass an der Digitalisierung niemand vorbeikommt. Es ist gefährlich, eine Digitalisierungsorganisation zu schaffen, denn man signalisiert dem Rest der Organisation: Dafür haben wir jetzt einen Chief Digital Officer, der kümmert sich schon darum. Ihr müsst es nicht tun. Nehmen wir einmal unsere Großgetriebesparte, in der wir Getriebe für Windturbinen oder für Zementmühlen entwickeln: Heute wird kein Großgetriebe mehr gebaut, das nicht mit Sensorik für "Condition Monitoring" ausgestattet ist. Vor fünf oder sechs Jahren war die Frage, ob dieses Geschäft irgendetwas mit Digitalisierung oder Software zu tun hat, noch ein kontroverses Thema.

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