Carl Hoffmann im Interview

Was für ChatGPT im Recruiting spricht

Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
ChatGPT ist heiß umstritten. Dennoch kann das KI-Tool im Recruiting hilfreich sein. Gründe dafür nennt Carl Hoffmann, COO und Co-Founder von CleverConnect.
ChatGPT beziehungsweise KI generell bieten dem Personalwesen die Chance, das angestaubte Image abzulegen und weit über das Recruiting hinaus wertstiftender zu arbeiten.
ChatGPT beziehungsweise KI generell bieten dem Personalwesen die Chance, das angestaubte Image abzulegen und weit über das Recruiting hinaus wertstiftender zu arbeiten.
Foto: 3rdtimeluckystudio - shutterstock.com

KI im Recruiting ist keine Neuigkeit, doch ChatGPT scheint hier neue Impulse zu setzen. Herr Hoffmann, wie schätzen Sie das Potenzial von ChatGPT für den HR-Bereich ein?

Carl Hoffmann: Lange Zeit war künstliche Intelligenz nicht mehr als das berühmte Buzz-Word in der HR. Genutzt wurde die Technologie in den vergangenen Jahren bereits zur Prozessautomatisierung oder beim Parsing und Matching. Wenn also ein bestimmtes Talentprofil gesucht wurde, kam KI zum Einsatz, um Datensätze wie beispielsweise Lebensläufe oder LinkedIn-Profile zu screenen und über Auswahl verschiedener Parameter ein entsprechendes Match zu suchen. Oder Dokumente des Lebenslaufs wurden ausgelesen und in strukturierte Datensätze umgewandelt.

Jetzt hat mit ChatGPT die generative KI Einzug gehalten. Damit hat sich dieses Anwendungsspektrum noch einmal deutlich vergrößert. Früher war es eine große Herausforderung, guten Content zu erstellen; also nicht nur fachlich korrekte, sondern auch ansprechende Inhalte, die potenzielle Kandidaten überzeugen, ihre Bewerbung zu übersenden. Aus meiner Sicht sind deshalb die Möglichkeiten, mit ChatGPT starken und aufmerksam machenden Content zu produzierenoder spannende Interviews vorzubereiten, ein echter Fortschritt. Das Potenzial ist enorm.

Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie ChatGPT im HR-Bereich erfolgreich eingesetzt werden kann?

Hoffmann: Die Technologie kann als Bindeglied zwischen HR-Bereichen dienen, die aus heutiger Sicht noch viel Verbesserungspotenzial hin zu mehr Professionalität haben. Das sind erstens datenbasierte Entscheidungen, zweitens die Erstellung von hochwertigem Content und drittens die Verbesserung der Candidate Experience im gesamten Recruiting-Prozess.

Lassen Sie mich ein Beispiel für eine datenbasierte Entscheidung nennen: In einer Arbeitswelt, in welcher einige Berufsgruppen nicht mehr zwingend physisch anwesend sein müssen, kann ich durch die strategische Standortwahl des zu besetzenden Stellenprofils die Erfolgswahrscheinlichkeit entschieden erhöhen. So könnte ich ChatGPT auf Basis der gesammelten Daten fragen, an welchem Standort die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit für die Besetzung der Stelle existiert und welches Gehaltsniveau dafür einkalkuliert werden muss.

Ein weiterer Aspekt: Welcher Kanal ist für meine Personalsuche überhaupt der passende? Wer hier die richtige Wahl trifft, spart nicht nur Zeit, sondern in vielen Fällen auch Budget.

Oder Stichwort Content: Inhalte sind nur dann gut, wenn sie konvertieren. Stellenanzeigen sowie die aktive Ansprache von Kandidaten auf Linkedin oder anderen Plattformen können mit Unterstützung von ChatGPT noch stärker auf die Bedürfnisse der Bewerber ausgerichtet werden. Hat es ein Talent dann auf die Karriereseite eines Unternehmens geschafft, kann KI auch hier sehr hilfreich sein: Kandidaten werden über Chatbots oder Matching von Lebensläufen direkt dorthin geleitet, wo es Relevantes für sie gibt. Das Wegfallen unzähliger Klicks und die Odyssee durch einen Dschungel an Informationen hat damit ein Ende und Kandidaten erhalten alle Informationen, die sie brauchen.

Nach der Bewerbung kann ChatGPT Recruiter bei der Vorbereitung von Interview-Leitfäden unterstützen. Denn Standardfragen sind der absolute Killer im Auswahlprozess. Und im besten Fall verlief das alles so kurzweilig, dass sich die Kandidatin oder der Kandidat angesprochen und im wahrsten Sinne von seinem potenziellen neuen Arbeitgeber abgeholt fühlt. Eine echte Win-win-Situation also: Bewerbende freuen sich über gute Candidate Experience und Recruiter finden auf effiziente Weise neue Mitarbeitende.

Carl Hoffmann, Co-CEO CleverConnect: "Nur wenn die Qualität, also der Input in die KI wirklich gut ist, werden Inhalte mit Differenzierungspotenzial generiert."
Carl Hoffmann, Co-CEO CleverConnect: "Nur wenn die Qualität, also der Input in die KI wirklich gut ist, werden Inhalte mit Differenzierungspotenzial generiert."
Foto: Hoffmann - CleverConnect

ChatGPT kennt keine Unternehmenskultur

Innovationen bedeuten auch immer eine Abwägung von Chancen und Risiken. Wo sehen Sie die Grenzen von ChatGPT im HR-Bereich?

Hoffmann: Wie bei jeder Technologie gilt: Sie ist nur so gut - oder eben auch schlecht - wie der Mensch, der sie bedient. Wir müssen blindes Vertrauen vermeiden. Deshalb rate ich auch bei ChatGPT zur Achtsamkeit. Es ist immer der Mensch, der hier Verantwortung trägt, in diesem Fall die HR-Fachkraft. Getreu dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sollten Verantwortliche die generierten Inhalte der KI also immer überprüfen.

Doch vor dem zu kontrollierenden Output steht der Input. Denn ChatGPT ist nichts ohne das richtige "Futter". Wer ungefiltert alles in die KI eingibt, bekommt vermutlich auch ein dürftiges Ergebnis - vielleicht viel Output, aber mit wenig Gehalt. ChatGPT ist nur ein Tool. Es kennt keine Unternehmenskultur, keine individuelle Tonalität und schon gar nicht die Vision, die ein Unternehmen oft in einem langen, unternehmerisch-schöpferischen Prozess erarbeitet hat. Deshalb plädiere ich dafür, sich mit dem Prompten, also dem "Füttern" von ChatGPT auseinanderzusetzen, was man früher klassisch als Briefing bezeichnete. Hier braucht es in den Unternehmen Konzepte und entsprechende Schulungen für die Mitarbeitenden.

Nur wenn die Qualität, also der Input in die KI wirklich gut ist, werden Inhalte mit Differenzierungspotenzial generiert - ein Faktor, der weiter an Bedeutung gewinnen wird, je mehr HR-Abteilungen sich mit Technologien wie ChatGPT anfreunden. Tonalität oder Unternehmenskultur und Vision: Das sind in meinen Augen die Themen, warum sich eine Kandidatin oder eine Kandidat für das eine oder eben andere Unternehmen entscheidet. Und eines ist für mich klar: Der Einsatzbereich von ChatGPT sollte sich immer nur auf die flankierenden Maßnahmen fürs Recruiting (Recherchen, Content-Erstellung, Vorbereitung, etc.) beschränken. Gespräche, E-Mails oder auch Rückfragen an Kandidaten sollten immer durch Menschen erfolgen.

Die Angst, dass KI unser aller Jobs übernehmen wird, ist durchaus spürbar. Wie sehen Sie das? Wird ChatGPT den Job des Recruiters ersetzen?

Hoffmann: Ich prognostiziere nein. Denn auch hier zeigt sich, dass es aktuell mehr offene Stellen für Recruiter gibt als potenzielle Kandidaten. Zudem fühle ich mich in meiner Einschätzung durch den demographischen Wandel bestätigt. Diese Lücke wird sich nicht ohne Zuwanderung und den Einsatz neuer Technologien schließen lassen. Und: Ich möchte noch ein Argument ins Feld führen. Keiner der Recruiter, die ich kenne, hat zu wenig zu tun.

Was allerdings alle eint, ist zu viel administrative Arbeit und zu wenig Zeit fürs Wesentliche. Und hier kann ChatGPT definitiv Abhilfe schaffen. Ich sehe ChatGPT oder generell KI auch als Chance für die HR-Manager. Sie verschafft ihnen die Chance, das angestaubte Image abzulegen und wertstiftender zu arbeiten. Übrigens: Der Job des Recruiters ist für mich einer der zukunftsträchtigsten überhaupt. Aber auch hier muss klar sein, dass sich die Profile und Aufgabenbereiche für die Mitarbeitenden in HR-Abteilungen über die nächsten Jahre ebenfalls signifikant verändern werden.

Generative KI im Recruting nutzen

Neue Technologien treiben den Wandel voran. In einer idealen Zukunft: Wie könnte das Recruiting von morgen Ihrer Meinung nach aussehen? Und welche Weichen müssen Unternehmen vielleicht heute schon dafür stellen?

Hoffmann: Recruiting wird künftig noch mehr zum Dreh- und Angelpunkt als es das ohnehin schon ist. Auf der einen Seite lastet aufgrund der demographischen Situation ein massiver Druck auf dem Arbeitsmarkt. Der Durchbruch generativer KI eröffnet aber auf der anderen Seite komplett neue Möglichkeiten.

Wagen wir ein Gedankenexperiment zu einer idealen HR-Zukunft: Was müsste passieren, um offene Stellen innerhalb eines Tages ohne externe Ressourcen zu besetzen? Und wichtig dabei ist auch die Frage: Wie kann ich dabei Nachhaltigkeit gewährleisten? Und wie stelle ich sicher, dass die Erwartungen beider Seiten erfüllt werden und Kandidaten das Unternehmen nicht zeitnah wieder verlassen?

Ohne eine stärkere Spezialisierung in allen Teilbereichen der "Candidate Journey" wird es nicht gehen. Und: Nur wenn ein kontinuierlicher und systematischer Beziehungsaufbau mit passenden Kandidaten erfolgt, kann ich Stellen in einem Engpass-Markt schnell besetzen. HR-Abteilungen müssen sich also analog zur modernen Marketing- und Sales-Organisation noch stärker spezialisieren und sich kontinuierlich ein Netzwerk mit passenden Kandidaten aufbauen - nicht erst wenn die Vakanz dringend besetzt werden muss. Aus diesem Grund empfehle ich den Unternehmen, ihr RecruitingRecruiting zeitnah auf eine neue Ebene zu heben und auf moderne Technologie wie beispielsweise ein Candidate Relationship Management System oder ChatGPT zu vertrauen. Alles zu Recruiting auf CIO.de

Dazu gehört allerdings auch, den erforderlichen kulturellen Wandel in der HR-Organisation zu begleiten. Seit dem Launch von ChatGPT gab es viele mahnende Beispiele, in welchen Mitarbeitende vertrauliche Unternehmensdaten geleakt haben. Sofern noch nicht passiert, sollte jedes Unternehmen daher an Richtlinien und Regeln zur Nutzung dieser Technologien arbeiten. Dann steht einer besseren HR-Zukunft nicht mehr viel im Wege. (pg)

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