Thomas Wessinghage

Wie Sie sich fürs Joggen motivieren

10.05.2021
Von Maren Hoffmann

Mein Ziel ist es, die Pulsuhr überflüssig zu machen. Ich benutze sie nur, um dem Läufer ein objektives Kriterium zu geben, an dem er sich orientieren kann. Wenn bei dem Laktattest herauskommt, dass sein optimaler Trainingspuls zwischen 150 und 160 liegt, dann lasse ich ihn laufen, und er darf erst nach einer Viertelstunde auf die Uhr schauen. Wenn er das ein paar Mal gemacht hat, klappt das immer besser, und er braucht die Pulsuhr gar nicht mehr. Dann weiß er auch, wie er sich belasten muss, wenn er die Pulsuhr vergessen hat oder die Batterie alle ist.

Man muss sich daran gewöhnen sich zu bewegen

Wie lange sind die Werte gültig?

Thomas Wessinghage: Das ist abhängig von der Veränderungsgeschwindigkeit im Trainingsregime. Wenn jemand immer schon drei Mal die Woche läuft, dann kann er mit so einer Empfehlung Jahre auskommen. Der Körper verändert sich sehr langsam. Ich habe früher als Leistungssportler Veränderungen von nur einem Herzschlag pro Jahr gehabt. Wenn ich aber gerade im Laufseminar war und ab jetzt vier Mal die Woche trainiere statt nur zwei, dann sollte ich den Test nach einem halben bis dreiviertel Jahr wiederholen.

Sehen Sie, wie Ihr Coach-Kollege Herbert Steffny, ein Ende des Marathonbooms zugunsten der kürzeren Distanzen?

Thomas Wessinghage: Der Halbmarathon bietet das Wettkampfgefühl, ohne sich dem ganz starken Leiden auszusetzen, das beim Marathon jenseits von 30 Kilometern kommt. Beim Marathon spielt das Sozialprestige eine große Rolle. Der Halbmarathon hat weniger Sozialprestige, eignet sich aber als kleine Motivationshilfe im Laufe des Jahres. Ich mache gerne einen Lauf im Frühjahr und einen im Herbst - meist einen Marathon.

Bei diesen Veranstaltungen sieht man aber immer viele Leute, die eigentlich nicht ausreichend vorbereitet sind. Da wäre es vernünftiger, einen Halbmarathon zu laufen, um ein Trainingsziel zu haben. Der Halbmarathon ist ja weniger als ein halber Marathon, denn der zeigt sein wahres Gesicht erst jenseits von Kilometer 30.

Kann jeder normale Mensch einen Marathon laufen? Von Herzkranken vielleicht einmal abgesehen?

Thomas Wessinghage: Wer ist jeder? In Deutschland gibt es sieben Millionen Diabetiker. Das ist eine sehr große Gruppe. Ist das Normalität? Wenn der Mensch einigermaßen gesund ist und einen einigermaßen vernünftigen Bewegungsapparat hat, würde ich sagen: Im Prinzip ja - mit einer entsprechenden Vorbereitung. Diese Vorbereitung kann lange dauern. Das kann auch mehr als ein Jahr sein.

Und wie motiviert man sich, überhaupt mit dem Laufen anzufangen?

Thomas Wessinghage: Sie sollten sich überlegen, was Sie am meisten stört: Der Körperumfang, die Unfähigkeit, mehr als zwei Stockwerke ohne Pause zurückzulegen - daraus können Sie den ersten Antrieb gewinnen. Man kann aber auch aus der Bewegung heraus die Motivation schaffen. Nach einer gewissen Zeit merkt man, dass es einfach gut tut. Und dann versucht man, das zu institutionalisieren.

Man muss oftmals eine gewisse Regelmäßigkeit einführen. Man kann sich an Trägheit gewöhnen; man kann sich aber auch daran gewöhnen, sich zu bewegen. Wer die Kurve geschafft hat, dem fehlt etwas, wenn er es mal nicht kann. Wenn man es wirklich will, sucht man sich die geeignete Motivation heraus und versucht, eine Weile durchzuhalten. In der Regel ist man nach drei Monaten so weit, dass man zwar immer noch eine kleine Schwelle spürt, es aber dann doch schafft - und sich am Ende freut, dass man sich das Bierchen ohne Reue gönnen kann.

Mein eigenes Lebensprinzip ist keinesfalls das eines Asketen. Ich bin vielmehr jemand, der sich gerne etwas leistet, aber bereit ist, dafür vorher etwas zu investieren. Wenn man sich etwas verdient hat, kann man es auch mit gutem Gefühl genießen.

Thomas Wessinghage: Der ärztliche Direktor der Medical-Park-Kliniken des Tegernseer Tals, der Bücher über Sportthemen schreibt und Laufseminare abhält, war 1982 Europameister über 5.000 Meter und wurde 22 Mal deutscher Meister.

Zur Startseite