Psychologie

Die Deutschen sollten wieder träumen

28.03.2013
Von Ferdinand Knauß
Der Psychologe Stephan Grünewald sieht Deutschland als eine "erschöpfte Gesellschaft". Gegen das Effizienzdiktat der Controller empfiehlt er die Besinnung auf die schöpferische Kraft des Traumes.

In ihrem Buch "Die erschöpfte Gesellschaft" fordern Sie die Deutschen zum Träumen auf. Der Traum als Therapie gegen die "besinnungslose Betriebsamkeit". Sollen wir nun also alle den Griffel fallen lassen und den Kopf auf den Schreibtisch legen?

Stephan Grünewald: Auf den ersten Blick könnte man sagen, der Grünewald untergräbt die Arbeitsmoral.

Stimmt.

Meine zentrale These ist: Schöpferisches Arbeiten funktioniert nicht über eine Vereinseitigung - indem wir nur in preußischer Akkuratesse am Schreibtisch kleben - sondern funktioniert durch eine Rhythmik von Innehalten und Betriebsamkeit, von Abstraktion und Einfühlung, von Effizienz und Träumen. Und diese Rhythmik sehe ich bedroht. Das finde ich gerade für Deutschland schlimm, weil wir das Land der Träumer, Dichter und Querdenker sind. Was wir ungemein gut können, ist, unsere innere Unruhe über das Träumen in Schöpferkraft zu verwandeln. In Erfindungen, aber auch in Dichtung und philosophische Theorien.

Für den Psychologen und Buchautor Stephan Grünewald ist das Träumen die Voraussetzung für Kreativität und Innovation.
Für den Psychologen und Buchautor Stephan Grünewald ist das Träumen die Voraussetzung für Kreativität und Innovation.
Foto: rheingold GmbH & Co. KG

Nun schläft und träumt ja sowieso jeder Mensch jede Nacht.

Aber wir geben dem Traum am Tage keinen Raum mehr. Wir sind jede Nacht sechs, sieben, acht Stunden stillgelegt. Diese Stilllegung ermöglicht es dem Seelischen den Tag quer zu bürsten, die Erlebnisse noch mal ganz anders durchzuspielen und vieles, was uns nebensächlich erscheint, hervorzuheben. Andere Dinge, die wir am Tag wichtig genommen haben, relativiert der Traum. Er ist ein Korrektiv für die Überspanntheit, die Betriebsblindheit des Tages. Allein, wir haben einen Alltag gebaut, der dieses Korrektiv gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt, sondern es systematisch abblockt. Eine unbewusste Traumfeindlichkeit führt dazu, dass wir dem Effizienzdiktat schon unmittelbar nach dem Aufstehen folgen. Viele hasten dann gleich zum Smartphone oder Computer und überprüfen, ob sie wichtige Mails haben. Es sind eigentlich simple Ratschläge, die ich gebe: Wir brauchen im Alltag Freiräume, Phasen, um zur Besinnung zu kommen und durchlässiger zu werden für das Unbewusste und Ungeahnte. Länger liegen bleiben, Dehnungsfugen einbauen. Ein ausgedehntes Frühstück, bei dem wir nicht nur das Essen, sondern auch die Tagesprobleme durchkauen.

Ich kann mich oft schon bald nach dem Aufstehen nicht mehr an den Traum erinnern. Ist das ein Verlust?

Es ist gar nicht so wichtig, dass man sich an Träume genau erinnern kann. Träume sind ja kein Faktenwissen, sondern Sinnbilder. Wichtig ist, dass wir Momente im Alltag haben, die nicht verplant sind. Wo wir spüren können, was mit uns los ist. Nehmen Sie den normalen Alltag einer Frau. Der ist chronisch überfrachtet durch eine Vielzahl von Perfektionsidealen. Sie will die gute Mutter sein, die ihre Kinder rund um die Uhr umsorgt, aber auch erfolgreich im Beruf sein und KarriereKarriere machen, sie will bis ins hohe Alter die attraktive Gespielin sein, sie will die Freundin ihrer Kumpaninnen sein, stets zu jedem Pferdediebstahl bereit. Und sie will sich auch noch selbst verwirklichen. Nun merkt die Frau täglich, dass sie das gar nicht unter einen Hut kriegt. Am Ende des Tages hat sie ein schlechtes Gewissen, weil die Kinder nicht bespielt wurden, im Büro ist was liegen geblieben, die Freundin hat sie nicht angerufen und auf Sex hat sie schon seit Wochen keine Lust mehr. Wir wollen auf fünf, sechs Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Und es gibt dabei keine Rollenaufteilung und Hierarchisierung mehr. Der Mann muss Vater und Frauenversteher sein, aber auch noch aussehen wie Tarzan und dafür in die Muckibude gehen. Aber wenn wir all diesen Perfektionsidealen folgen, erleben wir am Ende des Tages nur Erschöpfung und ein schlechtes Gewissen. Alles zu Karriere auf CIO.de

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