Überstunden, Stress und Bluthochdruck
Anleitung zur Selbstausbeutung
Zurück zur Stechuhr?
Um die Grenzen wieder in die Arbeit zurückzubringen, fordern einige Betriebsräte sogar wieder die Einführung einer Art Stechuhr - klar, dass sich die Firmen dagegen wehren. Ob das so sinnvoll ist, daran hat Voß seine Zweifel. "Ich glaube jeder Einzelne muss lernen, besser auf sich zu achten", sagt er. Er weiß, dass er damit Kritik erntet. "Aber jeder einzelne muss auf seinen Körper hören und frühzeitig die Symptome erkennen." Man müsse sich selbst Grenzen setzen. "Ich weiß, dass das schwer ist", gibt Voß zu. Wer große Probleme damit habe, sich Grenzen zu setzen, der könne diese Aufgabe auch delegieren. "Da muss man es zulassen, wenn Angehörige einem sagen, dass man zu viel arbeitet", sagt Voß. Im Zweifel ist eine Psychotherapie mit Medikamenten nötig, um die Erschöpfungserscheinungen wieder in den Griff zu kriegen.
Firmen müssen sich umstellen
Dass diese Forderungen nach anderer Strukturen und anderen Unternehmenskulturen nicht einfach in die Realität umzusetzen sind, weiß auch Voß. "Welche Führungskraft hat denn tatsächlich die Weisungsbefugnis, einen Mitarbeiter nach einem sehr anstrengenden Projekt auch nach Hause zu schicken, damit er sich erholen kann?" Auch die Unternehmenskultur kann ein Problem sein: Wenn in Firmen eine Kultur der unbedingten Leistung gelebt wird, ist klar, dass vor allem Führungskräfte sich nicht als "schwach" darstellen lassen.
Dabei wäre es die höchste Priorität für Betriebe, den Burnout zu verhindern, ganz unabhängig vom menschlichen Schaden. Einerseits arbeiteten Menschen unter Druck schlechter, meint Voß. Die Qualität der Arbeit leidet genauso wie der Mensch. Andererseits kostet ein Totalausfall - zumal von Spezialisten oder Führungskräften - den Staat und das Unternehmen Unsummen. Laut einer Sudie summierte sich das zu etwa 60.000 Euro während eines sechsmonatigen Ausfalls. So schnell ist kein temporärer Ersatz für eine Führungskraft aufzutreiben. Und wer will langfristig in einem Unternehmen arbeiten, das seine Mitarbeiter zugrunde richtet? In Zeiten der umkämpften Fachkräfte können sich das nur wenige Unternehmen leisten.
Arbeiten ohne Augenringe
Immerhin, ein Wandel scheint sich abzuzeichnen. Obwohl noch immer zu viele Firmen den Druck weitergeben, wächst langsam das Bewusstsein, dass die Mitarbeiter das wertvollste Kapital sind. "Vor einigen Jahren sprach ich mit einem Personalverantwortlichen einer großen Firma, der sagte: Wer bei uns keine Augenringe hat, ist kein Leistungsträger", erzählt Voß. Eine solch menschenverachtende Haltung sei nicht mehr so häufig anzutreffen, sagt der Professor. "Die Unternehmen merken, dass da was schief gelaufen ist." Der Wandel kommt. Hoffentlich rechtzeitig.